Belästigung ankreiden – auch im Netz
Natasha Harris-Harb aus Ottawa, Kanada
Ich bin eine libanesisch-kanadische feministische Aktivistin. Gemeinsam mit verschiedenen internationalen Organisationen baue ich eine globale Solidaritätsgemeinschaft auf, um eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Für die Vereinten Nationen arbeite ich in der »Initiative für die Bildung aller Mädchen«. Tatsächlich habe ich wegen der mit der Corona-Pandemie verbundenen zunehmenden Ungleichheit mehr zu tun als vor Ausbruch des Virus. Vieles, was wir in den vergangenen Jahren in der Mädchenbildung erreicht haben, droht zusammenzubrechen: Weltweit müssen mehr junge Frauen für ihre Familien arbeiten gehen oder im Haushalt helfen, statt zu Hause weiter zu lernen. Dadurch steigt das Risiko, dass sie nach der Pandemie nie wieder in die Schule zurückkehren. Zum Glück gibt es zahlreiche lokale Initiativen junger Menschen, die sich richtig reinhängen, um sicherzustellen, dass dies nicht geschieht. Jeden Tag spreche ich mit jungen Aktivisten auf der ganzen Welt. Ich arrangiere Videokonferenzen, wo sie mit hochrangigen Führungskräften in Kontakt treten, die in Krisenzeiten oft die Stimme der Jugend vernachlässigen. In dieser Pandemie habe ich realisiert, wie groß das Privileg ist, einen guten Internetanschluss zu haben und sich jederzeit vernetzen zu können. Ich trage eine Verantwortung, Möglichkeiten für diejenigen zu schaffen, die vor Ort mit den geringsten Ressourcen alles geben.
Auch hier in Kanada bin ich aktiv – als Mitbegründerin von »Catcalls of Ottawa«, einer Initiative der globalen Jugendbewegung »Chalk Back« [Kreide zurück!]. Mit Kreide schreiben wir die Sprüche von Männern auf die Straße, die sie uns zuraunen oder hinterherschreien.
In bunten Buchstaben malen wir sie an die Orten, an denen die Belästigung passiert ist. So machen wir diese Straftaten sichtbar.
Covid-19 verändert unsere Arbeitsweise erheblich. Wir können nicht rausgehen und auf dem Boden malen oder mit Leuten auf der Straße interagieren. Im April hatten wir eigentlich eine Riesenaktion zur »Woche gegen Belästigung auf der Straße« geplant. Die haben wir dann ins Internet verlegt: Wir haben Aktivistinnen auf der ganzen Welt gebeten, zu dem Thema kreativ zu werden und ihre Werke abzufotografieren. Wir hatten auch Redner und Zuschauer aus der ganzen Welt – aus Südafrika, Simbabwe, Ägypten, Ecuador usw. Das war ein wunderschöner Moment der Solidarität der Frauen in der Pandemie. Es passt auch, dass das online stattfand, denn die Belästigungen im Internet haben in Zeiten von Corona zugenommen. In meiner Stadt gab es außerdem vermehrt Berichte über Belästigungen auf der Straße. Vielleicht liegt es daran, dass weniger Passanten auf der Straße sind, und die Täter sich eher trauen, etwas zu sagen.
Sowohl bei den Vereinten Nationen als auch bei »Catcalls of Ottawa« erleben wir derzeit eine nie dagewesene Solidarität. Die Menschen nutzen diese Zeit, um zu lernen, zuzuhören und sich gegenseitig Mut zuzusprechen. Wir müssen diese Bewegung nutzen, um die Ursachen der Ungleichheiten anzugehen und die patriarchalen Strukturen vor Ort abzubauen.