Briefe gegen die soziale Distanz
Leonardo Párraga aus Bogotá, Kolumbien
Seit drei Monaten sitze ich mit meiner Familie in unserem Haus in Bogotá fest. Das ist das Gegenteil von dem, was ich eigentlich mache: Ich bin Friedensaktivist. In den letzten Jahren bin ich um die halbe Welt gereist, um über den Friedensprozess in meinem Land zu sprechen und mich mit anderen jungen Friedensstiftern zu vernetzen. 2016 haben die kolumbianische Regierung und die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) ein Friedensabkommen unterzeichnet. Seitdem habe ich daran gearbeitet, Gemeinschaften vor Ort zusammenzubringen und die Stimmen meiner Generation in diesem Dialog zu verstärken. Denn echter Frieden braucht Zeit: Er passiert erst, wenn alte Feinde und ihre Kinder wieder miteinander reden, sich treffen, einander in die Augen schauen, sich umarmen. Diese direkte Verbindung ist in Zeiten von Kontaktsperren fast unmöglich geworden. Viele vom Krieg betroffene Gebiete sind sehr abgelegen. Sie haben kein Internet, wir wissen kaum, was vor Ort los ist. Ich hörte die Geschichte eines Jungen, der jeden Tag vier Stunden zu seiner geschlossenen Schule läuft, wo er sich draußen auf die Treppenstufen hockt, um sich ins WLAN einzuloggen und den Online-Unterricht zu verfolgen. Man kann sich entsprechend vorstellen, wie schwer es ist, den Dialog zwischen den Gemeinden am Leben zu halten.
Daneben belastet die ökonomische Situation den Frieden. Ein Beispiel: In einem Nationalpark südlich von Bogotá haben wir ein Programm begonnen, in dem sich ehemalige FARC-Kämpfer zu Touristenführern ausbilden lassen können. Seit der Pandemie kommen aber keine Touristen mehr, und man fragt sich, womit die Männer nun ihr Geld verdienen.
Seit dem 6. März, dem Tag unseres ersten Coronafalls, wurden bereits 15 Gemeindeführer und sechs ehemalige FARC-Soldaten ermordet, weit mehr als in den Monaten zuvor. Der Konflikt flammt im Schatten der Pandemie neu auf.
Was mich derzeit am meisten beschäftigt, ist die psychische Gesundheit der Menschen. Natürlich hat das auch mit meiner Erfahrung als Friedensaktivist zu tun: Ich weiß, wie wichtig Gespräche und Austausch sind und dass sich Menschen in ihren sozialen Beziehungen sicher und geborgen fühlen. Das ist momentan nicht wirklich möglich. Viele kämpfen mit Einsamkeit, andere werden aggressiv oder verzweifeln. Das ist übrigens ein Problem, das die ganze Welt betrifft. Daher habe ich mit anderen Aktivisten Menschen aufgefordert, »heilende Briefe« zu schreiben: Briefe, in denen sie ihre Nöte und Ängste schildern und einem Fremden Trost zusprechen. Diese Briefe leite ich zwischen den verschiedenen Gemeinden in Kolumbien, aber inzwischen auch weltweit weiter. So hat zum Beispiel letztens eine Mutter aus Libyen eine Nachricht einer Mama aus Westkolumbien erhalten. Schon vor einigen Jahren habe ich begonnen, die verfeindeten Gemeinden in Kolumbien zu bitten, sich Briefe der Versöhnung zu schreiben. Egal was passiert, es ist immer wichtig, darauf zu achten, dass die Menschen miteinander im Gespräch bleiben.