Eine Frage des Anstandes
Der Orangenmann aus Übersee hat den Schuldigen an den Unruhen nach dem Mord an George Floyd ausgemacht: »The Antifa«, eine terroristische Organisation, die in friedliche Gemeinwesen eindringt und diese zersetzt. Nun muss man den Orangenmann nicht für besonders intelligent oder geschichtsbewusst halten, von seiner Wahrheitsliebe ganz zu schweigen. Das Schreckgespenst »Antifa« ist jedoch fester Bestandteil einer Ideologie der
Mitte, die – in sich ruhend – gut und anständig ist und sich der Angriffe von den Rändern erwehren muss.
Selbst wackere Sozialdemokraten, die sich keine Illusionen über den Charakter der verniedlichend »Rechtspopulisten« genannten Leute machen, ziehen den Kopf ein, wenn man sie öffentlich der Sympathie für »die Antifa« zeiht. »Antifa« ist irgendwas Krawalliges. Die so Sprechenden machen gern vergessen, dass das Kurzwort für Antifaschismus steht, etwas, wofür unter anderem sowjetische und amerikanische Soldaten, Partisanen aus allen Nationen ihr Leben ließen.
Der bekennende Konservative Thomas Mann war Antifaschist, die preußische Diva Marlene Dietrich war Antifaschistin. Antifaschistisch war der konstitutionelle Konsens bei der Gründung beider deutscher Staaten. Man muss nicht links sein, um als Antifaschist zu agieren. Es hilft nur, wenn man an die Wurzeln des Faschismus gehen will, links zu sein. Antifaschist ist man aus Anstand, meinte einst Marlene Dietrich; das ist die
gegen die Herrschaft des maximalen Egoismus, des politischen Gangstertums.
Die richtige »Volkszugehörigkeit« und eine Uniform legitimierten jedes Verbrechen. Die Volksgenossen bereicherten sich hemmungslos am Eigentum der Deportierten, für den »Lebensraum im Osten« wurden ganze Orte ausgelöscht. Bis zum letzten Tag des »Reiches« litt man kaum Hunger in
Deutschland – es wurde genügend in ganz Europa zusammengeraubt. Anstand heißt, nicht um des eigenen Vorteils willen den Nachbarn ans Messer zu liefern. Anstand heißt, nicht nach unten zu treten, das Fair Play zu beherzigen. Anstand heißt, das Streben nach Glück aller zu respektieren. Das steht sogar in der Verfassung, auf die der Orangenmann einen Eid geschworen hat. Im Grundgesetz steht auch einiges geschrieben, das zu lesen sich lohnt.