Ästheten, Gleichgültige und fröhliche Denunzianten
Das Morden vor und während des zweiten Weltkriegs war nicht das Werk weniger, die aktive Unterstützung und passive Gleichgültigkeit großer Bevölkerungsteile machten die Verbrechen im industriellen Maßstab erst möglich. Der gelernte Jurist Rüdiger Strempel hat diese Gleichgültigkeit anhand einer fast vergessenen Biografie rekonstruiert. »Lux. Gegen den Nationalsozialismus und die Lethargie der Welt« beschreibt den Weg des Stefan Lux, der sich prekär in Künstlerkreisen bewegt, vor dem immer unverhüllter auftretenden Antisemitismus und dem Terror in rechtsstaatlichem Gewand mit seiner Familie nach Prag flieht und verzweifelt versucht, mit seinen Warnungen vor dem NS durchzudringen. Er sieht keinen anderen Ausweg, als sich in einer spektakulären Aktion 1936 auf einer Sitzung des Völkerbundes zu erschießen. Bemerkenswert, wie es dem Autor gelingt, das Beklemmende einer Normalität zu schildern, in der Diskriminierung und Hass immer nur die anderen trifft und somit tolerabel scheint. Ein empfehlenswertes Lehrstück über das Versagen bürgerlicher Indifferenz.
Frédéric Brun setzt mit am anderen Ende der Zeitachse an; mit dem Tod seiner Mutter, die 1944 nach Ausschwitz deportiert und aufgrund ihrer Schönheit nicht sofort selektiert wurde, überlebte und nach Paris ging. Die Schuld des Überlebens zwingt sie in eine lebenslange Depression. Geradezu impressionistisch ergründet Brun ihr Trauma, das Doppelgesichtige in der Blauen Blume der Romantik, den Hölderlin in der schwarzen Uniform. Es ist ein Kreisen um das Leben seiner Mutter, die nie über Auschwitz sprach, diese Last nicht an ihren Sohn weitergeben wollte. Und der sie doch tragen muss. Ein gelungener erzählerischer Ansatz.
»Heimat, deine Sterne. Leben und Sterben des Erich Knauf«. Der rührige Schreiber und Werbetexter versucht, »mit dem Arsch an die Wand zu kommen«, ebenso wie sein Freund, der Zeichner Erich Ohser, der Schöpfer der Serie »Vater und Sohn«. Beide haben Erfolg als Künstler und werden doch wegen »Defätismus« denunziert und zum Tode verurteilt. Detailliert und kenntnisreich schildert der Biograf das Schlittern in die totale Diktatur, wie dem Geifern der Propagandisten die blutigen Taten folgten, den Versuch, anständig zu bleiben – und die fröhliche Mistigkeit des Denunzianten.
Wenn man von der Faszination des Blöden spricht, kommt man an Hitlers Elaborat »Mein Kampf« nicht vorbei. Dabei gehört dieses Machwerk auf die Bühne. Das großmäulige Pathos, die schiefen, zusammengeklaubten Metaphern, die Wehleidigkeit, das ganze Instrumentarium des gekränkten Wutbürgers ist darin versammelt. Ekkehard Schall und Serdar Somuncu haben den Text vorgetragen, der wahre Meister ist jedoch der Wiener Schauspieler Helmut Qualtinger, der ab 1973 mit einem HitlerProgramm unterwegs war und dessen Lesung von 1985 auf DVD erschien. Beigegeben ist dieser Ausgabe eine Einführung von Willi Winkler und ein sehr guter Essay von Kenneth Burke von 1939 (!) zur Rhetorik Hitlers, dessen quasitheologischer Vereinfachung und verqueren Logik, die ihre Kraft allein aus der penetranten Wiederholung und Verweigerung des Arguments gewinnt. Man vergleiche mit der Wortwahl und Mimik eines Höcke (»wir haben unsere Männlichkeit verloren«) und ähnlicher Gestalten, um den richtigen Eindruck von diesen »Patrioten« zu erhalten. Mein Kollege Martin Hatzius hat bereits 2016 eine ausführliche Rezension im »nd« zu dieser DVD verfasst – schauen Sie einfach mal in das Archiv auf unserer Webseite. »Die Lügenpresse – ein nützliches Instrument für den (Rechts-)Populismus?« die Strategien der AfD vorgenommen, einerseits ein »Opfer medialer Hetze« und »politischer Korrektheit« zu sein, andererseits durch skandalträchtige Postulate Gegenstand der Berichterstattung werden zu wollen. Voigt stützt seine Untersuchung auf Leitfadeninterviews mit fünf aktiven und einem ehemaligen Mitglied der Thüringer und SachsenAnhalter Landtagsfraktion. Der Autor ist sich der Begrenztheit der Arbeit durch die geringe Anzahl von Interviews durchaus bewusst, befleißigt sich aber einer schlüssigen und unaufgeregten Analyse, die umso durchschlagender ist, wenn man die zugrundeliegenden Interviews im Wortlaut liest. Zugleich offenbart seine Arbeit indirekt das Unvermögen vieler Journalistenkollegen, bestimmt und handwerklich sauber diesen Taschenspielertricks entgegenzuhalten. Aufklärung ist mühsam, man muss schon etwas Arbeit investieren. Die Lektüre dieses Büchleins hilft dabei.
Noch dicker ist das Brett, das die Autoren um Merlin Wolf bohren: »Antifaschistische Pädagogik«, ein Band zur gleichnamigen Tagung 2017 in Heidelberg. Erziehung im und nach dem »Dritten Reich« – das ist vielfach ein frommes Wegschauen, ein Nicht-so-genau-wissen-wollen. Der Band untersucht kritisch die Rolle »wertfreier« Geschichtsvermittlung, die Entschuldung nazistischer Pädagogen, das Nachwirken rassismusaffiner Konzepte, das merkwürdige Konstrukt »autoritärer Erziehung« (die stracks zur Gleichsetzung von NS und DDR führt) etc. Leider ist an dieser Stelle viel zu wenig Platz, um jeden Beitrag einzeln zu würdigen, schon die Kapitel zu »akzeptierender Sozialarbeit«, die im Osten zu einer Verfestigung nazistischer Strukturen geführt haben, zu materialistischer Pädagogik bei den »Falken«, zur Fortbildung von »StammtischkämpferInnen« oder antipatriarchalen Arbeit mit (post)migrantischen Jungen lohnen die Lektüre. Für die Lehrer- und Erzieherausbildung sollte das Buch Pflichtstoff sein, um Konfliktbewusstsein und Lösungsansätze zu entwickeln. Aber auch der allgemein interessierte Leser wird aus dem Band Gewinn ziehen, der Wert auf Verständlichkeit legt, ohne an Tiefe zu sparen. Denn Erziehungsfragen sind Gesellschaftsfragen, und Schule ist kein Feld allein für Spezialisten und Turboeltern.
Erziehung ist nicht nur das, was in Schule und Elternhaus stattfindet. Populärkultur ist ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Sozialisation, die in ihrer Wirkmächtigkeit die sogenannte Hochkultur bei weitem übertrifft. Sie wendet sich an die Massen, arbeitet aber zugleich mit der Erzählung vom Besonderen, der Abgrenzung von anderen Gruppen in der Gesellschaft. Die Propaganda des Nationalsozialismus beruhte auf einer Vielzahl popkultureller Techniken, die sie bis zur Perfektion trieb. Die mehrheitliche Zustimmung zu Hitler bis zur letzten Minute (und darüber hinaus) war nicht einem Zwang oder purer Dummheit geschuldet – Hitler war ein Popstar, er wurde bewundert und geliebt.
Die popkulturelle Inszenierung hatte allerdings bereits im späten 19. Jahrhundert ihre Wurzeln, in jugendlichen Aussteigerzirkeln, völkischen Sekten und Esoterikkreisen. Der 1997 entstandene Film »Schwarze Sonne« von Rüdiger Sünner widmet sich ausführlich dem Amalgam aus entlehnten und uminterpretierten Symbolen, quasireligiösen Ritualen, Sakralarchitektur – der Schaffung großer Momente. Der NS und seine Vorläufer begriffen sich als nichts weniger als die Schöpfer einer neuen Weltanschauung. Das Schauen sollte nur nicht vernunftgetriebene Erkenntnis, sondern mystisches Schauen sein, ein »Erfühlen der Wahrheit«.
Dazu bedurfte es einer Überwältigungsästhetik, der Show und strikter Abgrenzung vom Anderen, dem Christlichen, dem Bürgerlichen, dem Gewöhnlichen. Wirkmächtig ist dieser Budenzauber immer noch, Esoterik und die Feier elitärer Abgrenzung nicht gerade im Rückzug begriffen. Entzauberung ist ein Gebot der Stunde.
Den Überlebenskampf eines linken Publizisten in der Nazizeit beschreibt Wolfgang Eckert in
Der Kommunikationswissenschaftler Marcus Voigt hat sich in
Sehr erfreut hat mich das taufrische Buch von Kirill Medwedew
»Antifaschismus für alle. Essays, Gedichte, Manifeste«, eine Bestandsaufnahme russischer Alltagsund Popkultur. Die ist bitter nötig. Die Russlandberichterstattung hierzulande ist deprimierend schlicht (die nd-Korrespondentin Ute Weinmann nehme ich ausdrücklich davon aus), wichtige Filme kommen nicht in unsere Kinos, innerrussische Debatten bleiben so gut wie unerwähnt. Dementsprechend abstrus ist das Russlandbild. Ebenso abstrus ist die politische und kulturelle Situation in Russland selbst, im »toten Imperium«, in dem »Mafia und Macht« eine symbiotische Verbindung eingegangen sind, um einen befreundeten Dichter zu zitieren. Klug erklärt Medwedew den Umschwung vom liberalen Diskurs, den die Marktradikalen unter Jelzin zu ihrem Markenzeichen gemacht hatten, zum antiliberalen, konservativ-repressiven. Auch wie linke und rechte Versatzstücke hemmungslos zusammengewürfelt wurden, unter der Flagge des ästhetischen Avantgardismus üble ideologische Gebräue entstanden, die die Gehirne vergiften. Antifaschistische Gegenwehr ist in Russland nicht nur gefährlicher, sondern ungleich komplizierter. Die Unberechenbarkeit des Lebens im »wilden Kapitalismus« brachte auch eine entsprechende Haltung hervor: Lebe für den kurzfristigen Vorteil; ein geistiges Banditentum, das Lehrer und Ärzte verachtet, Umweltschützer als Bedrohung ansieht. Medwedew ist Künstler und Aufklärer in einem und kritisiert (zu Recht) das Versagen der Kunst, das Schwanken zwischen ewiger Postmoderne – abzüglich ihrer kritischen Potentiale – und gefühliger »Aufrichtigkeit«. Ein wichtiges Buch, mit einem lobenswerten Nachwort der Übersetzer Matthias Meindl und Georg Witte.