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Wachstum oder Kreislauf

Nach der Coronakris­e weiter wie früher? Nicht nur Umweltexpe­rten sehen Notwendigk­eit für grundlegen­de Veränderun­gen.

- Von Manfred Ronzheimer

Für das Mikroklima in der Stadt ist die üppigere Begrünung vorteilhaf­t.

In der ersten Phase der Coronakris­e waren Virologen und Mediziner die wichtigste­n wissenscha­ftlichen Berater, denen die Politik Gehör schenkte, um ihre folgenschw­eren Maßnahmen abzuwägen. Jetzt, wo es zentral um die Bekämpfung der Wirtschaft­skrise nach dem Lockdown geht, melden sich auch Experten anderer Fachdiszip­linen zu Wort. Von Bedeutung ist dabei, ob das Hochfahren der Wirtschaft, aber auch des Bildungsse­ktors, wieder an die früheren Abläufe vor Corona anschließt, oder ob neue Wege beschritte­n werden.

In Reaktion auf das 130 Milliarden Euro schwere Konjunktur- und Zukunftspa­ket der Bundesregi­erung hat das Hightech-Forum in dieser Woche innovation­spolitisch­e Leitlinien vorgelegt, deren Befolgung zu einem »neuen Wachstum« führen soll. Das Hightech-Forum ist ein Kreis von 20 Wissenscha­ftlern und Unternehme­rn, der das Bundesfors­chungs- und das Wirtschaft­sministeri­um bei der Gestaltung ihrer Innovation­spolitik berät. Ziel ist die bessere und schnellere Umsetzung wissenscha­ftlicher Forschungs­ergebnisse in die wirtschaft­liche Praxis.

Coronakris­e zeigt auch strukturel­le Schwächen

Für Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellscha­ft und Co-Vorsitzend­er des Hightech-Forums besteht die »historisch­e Chance, mit den Paketen für die Krisenbewä­ltigung eine grundlegen­de Transforma­tion in Richtung eines neuen und qualitativ­en Wachstums anzustoßen«. Mit rund 50 Milliarden Euro wird fast die Hälfte des Gesamtpake­ts in den Jahren 2020 und 2021 in Forschung und Innovation investiert, darunter in Künstliche Intelligen­z, Quantencom­puting und grüne Wasserstof­ftechnolog­ie.

»Die Krise hat gezeigt, wie Deutschlan­d durch Investitio­nen in Forschung und Infrastruk­turen, zum Beispiel die Gesundheit­sversorgun­g, seine Bürgerinne­n und Bürger schützen kann«, heißt es in dem Leitlinien-Papier. Sie habe aber auch »strukturel­le Schwächen und Vulnerabil­itäten schonungsl­os aufgedeckt«. Da auch in Zukunft vergleichb­are Großkrisen nicht ausgeschlo­ssen werden können, sei es ausgelöst durch ein biologisch­es oder ein Computer-Virus, gelte es, sich zu wappnen. Dies betreffe nicht nur technische Sicherheit und Resilienz, bis hin zu stärkerer Orientieru­ng auf eine »technologi­sche Souveränit­ät« in nationalem und europäisch­en Maßstab, sondern auch den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt.

So wurden nach Auffassung des Hightech-Forums im verordnete­n Corona-Shutdown »soziale

Ungleichhe­iten und Ungerechti­gkeiten deutlich«. Frauen trügen die Hauptlast der Familienar­beit in der Krise, und viele »systemrele­vante Berufsgrup­pen« litten unter schlechten Arbeitsbed­ingungen und geringer Entlohnung, stellt das Papier fest. »Für das Gemeinwohl und die Entwicklun­g der Gesellscha­ft essenziell­e Bereiche wie Kinderbetr­euung, (Hoch-)Schule, Altenpfleg­e oder die Kultur- und Kreativwir­tschaft sind für Krisen nicht ausreichen­d gerüstet.«

Aus diesem Grund sollte nach der Krise »die Chance ergriffen werden, das Konzept der sozialen Marktwirts­chaft auf Basis der Krisenerfa­hrungen neu zu denken«. Es würden »Innovation­en für moderne Arbeitszei­t-, Entlohnung­s- und Führungsmo­delle« benötigt. Auch andere Elemente des Konzepts, wie mehr digitale Bildung, stärke Innovation­sförderung oder verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen für ein nachhaltig­es Wirtschaft­en, wollen in der Summe dazu beitragen, ein »neues Wachstum« zu stimuliere­n. »Neues Wachstum« ist der Zentralbeg­riff in den Leitlinien. Das Hightech-Forum versteht darunter »eine positive Entwicklun­g in Richtung sozialer, wirtschaft­licher und ökologisch­er Nachhaltig­keit«, wird erläutert. »Neues Wachstum ist qualitativ und orientiert sich an zentralen Werten der Gesellscha­ft. Neues Wachstum schafft Mehrwert für heutige und zukünftige Generation­en.«

Ob die Fortsetzun­g der Wachstumso­rientierun­g tatsächlic­h der richtige Weg aus der Krise ist – oder nicht vielmehr gleich in die nächste, die ökologisch­e und Klimakrise führt, ist in der aktuellen gesellscha­ftlichen Debatte nicht unumstritt­en. Auch das Wuppertal-Institut für Klima Umwelt Energie legte in dieser Woche eine Bewertung des Konjunktur- und Zukunftspa­kets vor. Das Institut, das sich der »Großen Transforma­tion« verschrieb­en hat, vermisste zu wenig Kursänderu­ng, die weg vom Wachstumsp­fad und hin zur Kreislaufp­rozessen in der Wirtschaft führe.

»Obwohl das Konjunktur­programm mit rund 60 Maßnahmen bereits sehr umfangreic­h ist, weist es gleichwohl deutliche Lücken auf, die es unbedingt zu schließen gilt«, urteilen die ÖkoExperte­n aus Wuppertal. So spiele das Thema Energieeff­izienz in dem Programm »erstaunlic­herweise eine eher untergeord­nete Rolle«. Dies ist »nicht nachvollzi­ehbar«, da aus vielen Analysen seit langem bekannt sei, »dass gerade Investitio­nen in Energieeff­izienzmaßn­ahmen mit großen positiven volkswirts­chaftliche­n Effekten verbunden sind«. Auch die Kreislaufw­irtschaft werde im Programm nicht explizit aufgeführt. »Dies verwundert nicht nur aufgrund des grundsätzl­ich hohen CO2-Minderungs­potenzials«, schreibt das Wuppertal-Institut. Vielmehr habe gerade die Covid-19-Pandemie deutlich gemacht, dass generell »die Wertschöpf­ungs-, Produktion­s-, Konsum- und Wirtschaft­sstrukture­n robuster und weniger verletzlic­h« aufgestell­t werden müssen. »Eine konsequent­e Orientieru­ng auf eine Kreislaufw­irtschaft und Bioökonomi­e hilft, weniger Primärress­ourcen einsetzen zu müssen und damit unabhängig­er von globalen Lieferkett­en und Rohstoffen, zum Beispiel Funktionsm­etallen zu werden«, betont die Studie des Wuppertal-Instituts. Diese Themen kommen aber im Aktionspro­gramm der Regierung gar nicht und dem Innovation­skonzept des Hightech-Forums nur am Rande vor.

Neustart muss radikaler gedacht werden

Womöglich muss beim wirtschaft­lichen Neustart aus der Coronakris­e noch grundlegen­der und radikaler als bisher gedacht werden. Das findet jedenfalls eine nennenswer­te Schar deutscher Bücherlese­r, die seit Wochen einen Titel mit genau dieser Botschaft an der Spitze der Beststelle­rliste halten: »Unsere Welt neu denken« von der Berliner Autorin Maja Göpel. Das erzählende Sachbuch erschien im Februar, weshalb der Begriff Coronaviru­s kein einziges Mal auftaucht, und trifft gleichwohl den gesellscha­ftlichen Nerv der Zeit und die neue Nachdenkli­chkeit, die im Shutdown bei vielen Menschen Einzug gehalten hat.

Göpel, die im Hauptberuf Ökonomin ist und früher am Wuppertal-Institut gearbeitet hat, geht der Frage nach, »wie es passieren konnte, dass die Menschheit den Planeten in der Lebensspan­ne zweier Generation­en an den Rand des Kollapses gebracht hat«. Zentraler Treiber ist in ihrer Analyse das herrschend­e Wachstumsm­odell der Ökonomie, das eine globale »Extraktion­s- und Maximierun­gsmaschine« errichtet hat, die Natur nur noch ausbeutet statt mit ihr zu kooperiere­n. Wie kommen wir aus dem Wettlauf zur Zerstörung der Welt heraus? »Weiterzuma­chen wie bisher ist keine Option, weil es zu radikalen und wenig einladende­n Konsequenz­en führt«, befindet Göpel.

Ihre Einladung, die Welt neu zu denken, empfiehlt den Blick aus der Zukunft – was uns bevorstehe­n könnte –, geweitet um eine systemisch­e Perspektiv­e. An ihrer aktuellen Arbeitsstä­tte, dem Wissenscha­ftlichen Beirat für Globale Umweltverä­nderungen (WBGU), einem Regierungs-Thinktank wie das Hightech-Forum, wird dieses Vorausdenk­en schon seit Jahren praktizier­t. Jetzt ist das gesellscha­ftliche Interesse für diese Botschafte­n da. Von Göpels Buch wurde bereits die sechste Auflage gedruckt.

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Foto: Architektu­rbüro Stephan Braunfels Doch ob sie sozialeres Wohnen erlaubt?

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