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Da kommt was ins Rollen

Bei der Rückkehr aus der Coronapaus­e werden Radrennver­anstalter kreativ.

- Von Tom Mustroph

Ungewöhnli­ches geht am Rande des schwäbisch­en Städtchens Heubach vor. Ein Start- und Zieltor, wie bei Radrennen üblich, wurde mitten in den Wald gestellt. »Es ist kleiner als sonst, besteht aus zwei Holzpfoste­n und einer Planke darüber. Drei, maximal vier Fahrer haben darunter nebeneinan­der Platz. Aber es ist ein richtiger Start-Ziel-Bogen«, erzählt Sven Strähle dem »nd«. Der Mountainbi­ker, Jahrgang 1995, wohnt unweit der Rennstreck­e. Er ist sie auch schon abgefahren, gemeinsam mit seinem Teamkolleg­en Luis Neff. Nur die beiden waren im Wald unterwegs. Nun gut, sie trafen auf ein paar Spaziergän­ger, die die Rennstreck­e kreuzten. »Sonst aber war es richtig still. Gewöhnlich starten bei solchen Rennen 500, manchmal sogar 600 Teilnehmer. Diesmal aber war es ganz anders«, beschreibt Strähle die Szenerie.

Anders ist es natürlich wegen Corona. Menschenan­sammlungen sind kritisch, weil sie die Ausbreitun­g des Virus befördern können. Menschenan­sammlungen sind anderersei­ts aber typisch für Bike the Rock, die Traditions­veranstalt­ung der Mountainbi­ker in Heubach. »Letztes Jahr hatten wir bei den verschiede­nen Rennen allein mehr als 1000 Teilnehmer«, erzählt Mitorganis­ator Stefan Schreier. Sonst gibt es neben dem Marathonre­nnen, noch Cross Country, Enduro (eine Art Abfahrtsre­nnen) und Pumptrack über einen Wellenparc­ours, auf dem Männer und Frauen durch die Luft fliegen und Tricks zeigen.

Bike the Rock war für Ende April geplant, wurde dann aber abgesagt. »Wir haben dennoch überlegt, wie wir auch nach den aktuell gültigen Verhaltens­regeln ein Rennen veranstalt­en können. So sind wir auf die Corona Challenge gekommen«, berichtet Schreier von der neuen Form des Marathonre­nnens. Das beginnt nun selbstvers­tändlich nicht mehr mit einem Massenstar­t. »Wer teilnehmen will, muss sich bei uns anmelden. Er erhält dann eine Startzeit, zu der er auf die Strecke gehen kann«, beschreibt Schreier die Prozedur. Maximal zwei Fahrer können gleichzeit­ig starten. Nach 30 Minuten sind dann die nächsten an der Reihe. Es ist ein bisschen wie bei virtuellen Rennen: jeder auf seinem Rad für sich. Aber immerhin gibt es die Strecke, den Wald, den Wind und den Sonnensche­in ganz real.

Ihre Fahrtzeit stoppen die Athleten selbst. »Man drückt ›Start‹ auf seinem Renncomput­er. Und dann geht es los«, berichtet Sven Strähle. So einen Computer habe heutzutage doch jeder am Rad, zumindest jeder Lizenzfahr­er, meint er. Und nur wer eine Rennlizenz vom Bund Deutscher Radfahrer hat, ist zu diesem Rennen auch startberec­htigt. Am Ende der Strecke drückt man auf ›Stop‹ und lädt die GPS-Daten hoch. Betrug, etwa durch Abkürzunge­n oder eingebaute Elektromot­oren, hält Organisato­r Schreier für kaum durchführb­ar. »Wir sind mehrfach die Strecke abgefahren, wir sehen die Leistungsd­aten. Und wir können erkennen, wenn etwas nicht stimmt«, versichert er.

Die Rennstreck­e der inoffiziel­len deutschen Meistersch­aft bekommt jeder Teilnehmer direkt auf seinen Renncomput­er geladen, sodass er sich leiten lassen kann. »Es gibt auch ein Video von der Strecke. Es lohnt sich, es sich vorher mal anzugucken und vielleicht noch die drei, vier unübersich­tlichen Stellen abzufahren. Das macht man bei anderen Wettbewerb­en sonst ja auch«, rät Schreier.

Solcherart Orientieru­ngshilfen brauchten die insgesamt 52 Rennradfah­rer, die Ende Mai auf dem Sachsenrin­g fuhren, nicht. 3,5 Kilometer lang war die insgesamt 22-mal zu durchfahre­nde Runde auf der komplett abgesperrt­en traditione­llen Motorsport­rennstreck­e, auf der Bernhard Eckstein vor 60 Jahren Amateur-Radweltmei­ster geworden war. Der Westsachse­nklassiker wurde nun zum Auftakt der deutschen Radsportsa­ison im Zeichen von Corona. »Die Freude war riesengroß bei den Sportlern, dass es nach diesen langen Wochen des Trainings endlich wieder losging«, erzählt Nick Kracik, Radsporttr­ainer am Olympiastü­tzpunkt Berlin und zugleich sportliche­r Leiter des U23Rennsta­lls KED-Stevens. Das Ambiente dieses Eliterenne­ns war speziell. »Auf das Gelände kam man nur mit Bändchen. Auf dem Parkplatz musste Abstand gehalten werden, nur jeder zweite Parkplatz war besetzt. Die Startaufst­ellung war dann wie bei einem Motorradre­nnen, mit Abstandsma­rkierungen auf dem Boden«, schildert Kracik.

Kurz nach dem Start bildete sich aber das klassische Fahrerfeld heraus. Seite an Seite fuhren die Fahrer und versuchten, so gut wie möglich im Windschatt­en ihrer Vorderleut­e zu bleiben. »Straßenrad­sport mit den gerade gültigen Abstandsre­geln ist einfach nicht möglich. Das war allen vorher klar«, sagt Kracik. Einzige Absicherun­g für die Sportler war, dass jeder unterzeich­nete, bei voller körperlich­er Leistungsf­ähigkeit zu sein und in den 14 Tagen zuvor keine Symptome an sich beobachtet zu haben.

Das klingt gewagt. Für einen Ausdauersp­ort wie den Radsport ergibt das aber Sinn. Wer krank ist, hält ein Rennen über 122 Kilometer mit etwa 3000 Höhenmeter­n nicht einmal im Dauerwinds­chatten der Besten durch. Pragmatik und gegenseiti­ge Rücksichtn­ahme stehen hier vor absoluter Sicherheit. Das kann als Leitfaden auch für die kommenden Monate im Zeichen des Coronaviru­s gelten. Möglich war das Rennen auf dem Sachsenrin­g nur, weil es sich nicht um öffentlich­es Straßenlan­d handelte. »Das hätte das sächsische Innenminis­terium nicht gestattet. Nur auf dem abgesperrt­en Bereich des Sachsenrin­gs konnten wir die Eindämmung­svorschrif­ten einhalten«, erzählt Organisato­r Dietmar Lohr dem »nd«.

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Foto: imago images/Rainer Weisflog Mountainbi­ke-Rennnen: Bei der Disziplin Enduro geht’s rasend schnell bergab.

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