Ran ans Kampfgemüse
Eine harte Saison als Erntehelferin in der Pfalz geht zu Ende.
Nach den ersten Tagen schält sich die Haut von den Fingerkuppen. Dabei muss der Spargel noch zweieinhalb Monate lang aus der Erde geholt werden. »Spargelernte ist wie ein Marathon», sagt ein Bauer in einer der vielen Ernte-Reportagen in die Kamera. Aber so ein Satz schreckt nicht ab, wenn man neugierig ist und ein bisschen solidarisch in der Corona-Zeit sein will. Die Grenzen sind Ende März dicht, ausländische Saisonarbeiter*innen dürfen nicht kommen.
Also stand man hier, Anfang April, zum Probearbeiten auf dem Acker der Hoffmanns. Gebückt, linken Unterarm auf dem Oberschenkel abstützen, links das Stecheisen, rechts einen Eimer und den Spachtel, erklärt eine andere Neue, die seit einer Woche bei der Ernte dabei ist. Wo die Erde sich kräuselt oder der blasse Kopf rausguckt, vorsichtig um den Spargel herum die Erde weggraben. Das Stecheisen in die Erde stoßen und so weit unten wie möglich zuhauen, ohne die Wurzel zu treffen.
Seit diesem Tag laufen ganz verschiedene Leute die langen Erdwälle mit einem ab. Zwei Polen, die einige Wochen Leerlauf bei dem Winzer haben, wo sie sonst arbeiten, eine deutsche Studentin, zwei Schüler, eine Vollzeitmutter, der Betreiber des örtlichen Fitnessstudios, ein Daimlerarbeiter in Kurzarbeit. Für einige der Reihen gibt es ein Wägelchen, das die Folie, die auf den Dämmen liegt, mechanisch hochhebt. Man muss es mit viel Kraft anschieben. Anstrengend, aber machbar, täglich nach Bürofeierabend noch mitzuhelfen.
Die Sonne hat die Erde hart gebacken. In der Südpfalz scheint oft die Sonne. »Toskana Deutschlands« nennen es manche hier stolz-ironisch, in der Nähe geht es los mit den Weinbergen. Gisela und Bernd Hoffmann betreiben einen der fünf Spargelhöfe in Rheinzabern. 5000 Einwohner*innen, Fachwerkhäuser, Weinschorle aus Halblitergläsern und Flammkuchen sind Standard bei Festen. Lokalpatriotismus wie überall: Leute reißen Witze über die aus den Nachbardörfern,
außerdem über die benachbarten Badener und Elsässer. Offiziell hat sich Anfang April noch niemand im Ort mit Corona angesteckt.
Als das mit der Pandemie losging, wollten die Arbeiter*innen aus Polen, von denen manche seit 25 Jahren bei ihnen Spargel stechen und sortieren, nicht kommen. Aus Sorge vor Corona, erzählt Gisela mit freundlichem Blick in ihrem Hof sitzend, zwischen der Scheune und dem Hofladen. Bernd, grüne Arbeiterhose, braun gebrannt, hört ihr zu. Einen Spargelacker bestellten sie mit Mais. Dann meldeten sich viele Freiwillige, ganz ohne die bundesweite Onlineplattform »Das Land hilft« für Suchende und Anbietende von Feldarbeit.
Gerd Feldmann ist dabei, weil sein Fitnessstudio wegen Corona geschlossen ist. Er sieht so aus, als ob er seine Geräte nicht nur vom Anschauen kennt. Trotzdem ist die Ernte eine Überwindung für ihn: Spargel mag er nicht. »Mir wird es richtig schlecht, wenn ich das rieche.«
Morgens und abends läuft Gerd mit den anderen die Dämme ab, aus denen immer wieder neue Stangen ragen. Spargel ist ein Kampfgemüse. Er kann sechs Zentimeter in einer Nacht wachsen und sich durch sonnengehärtete Erde an die Oberfläche drücken. Sein Kopf ist, je nachdem wann er geerntet wird, rosa, grün, weiß oder blau.
Egal welche Farbe, aus der Erde müssen sie alle. Dafür dürfen dann doch Arbeiter*innen aus Osteuropa einreisen, hat die Bundesregierung beschlossen. 80 000 sollen es bis Ende Mai werden. Bis zum HoffmannsHof kommt keiner. Aber aus einem befreundeten Betrieb zwei Dörfer weiter kommen nun einige rumänische Erntearbeiter*innen. Morgens kümmern sie sich dort um Obst und Gemüse, dann fahren sie zum Spargelfeld. Am Nachmittag genauso.
Auf dem Acker ist die Stimmung ganz gut. Leo aus Rumänien telefoniert oft per Headset, während er eines der Wägelchen schiebt und raucht. So wie von allen anderen kennt man nur seinen Vornamen.
Feldarbeit ist kein Job, bei dem man seine Kolleg*innen mit Nachnamen anspricht. Er zeigt Angelika aus Polen seine Familie auf dem Smartphone. Das klappt mit Gesten, die beiden haben keine gemeinsame Sprache.
Leo und Angelika waren schon vor der Pandemie im Land und bleiben nun länger. Die 70 Tage sozialversicherungsfreien Aufenthalt hat die Bundesregierung auf 115 ausgeweitet. »Dieses Jahr zeigt sich, dass Vieles unbürokratisch geht«, sagt Gisela.
Gesetzesänderungen für die Ernte gingen schnell, aber Geflüchtete aus dem Lager Moria zu evakuieren scheint der Regierung weiter unmöglich zu sein. Solidaritätsdemonstrationen für Geflüchtete finden in Berlin, Frankfurt und anderswo statt.
»Mir wird es richtig schlecht, wenn ich das rieche.«
Fitnessstudiobetreiber Gerd Feldmann, dessen Laden coronabedingt dicht ist und der sich deshalb für die Spargelernte gemeldet hat.
Unter Videos davon kritisieren Facebook-User die Demonstrierenden: »Helft mal den Bauern bei der Spargelernte. So macht ihr auch etwas Sinnvolles in eurem Leben«. Oder »Geht Spargel stechen!«.
Das Kultgemüse zu ernten als deutsche Tugend. Seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Dabei geht es gar nicht nur um Versorgung. Spargel »ist ein Luxusgut. In einem wohlhabenden Land gehört es für viele dazu, in der Saison Spargel zu essen«, sagt Gisela. Das Luxusgut ist eher ein Gradmesser dafür, ob Deutschland das mit der Corona-Pandemie hinbekommt: Wenn das teure Gemüse nicht von den Feldern geholt werden kann, muss es schlimm bestellt sein um das Land.
Auf dem Acker selbst passiert die nächsten Wochen nicht viel Neues. Nach Redaktionsfeierabend alte Klamotten anziehen, Garten-Crocs und
Handschuhe. Sich einen Eimer, Stecheisen und Spachtel schnappen, loslegen. Im Durchschnitt acht Kilo pro Stunde holt man aus der Erde. Davon fallen später 30 bis 40 Prozent weg, weil etwas abgeschnitten wird oder es nicht zu den Auflagen des Marktes passt. Warme Tage tun mehr im Handgelenk weh, weil man mit dem Spachtel in die harte Erde schlägt. An regnerischen Tagen ist die Erde weich.
Das Spargelstechen ist gut, um nach dem Bürojob an etwas anderes zu denken als Corona. Manchmal ist es aber auch stressig wegen der Pandemie. Kommt jemand beim Stechen näher, muss man über den Damm springen. Wenn am Ende des Tages alle ihre vollen Eimer in die grünen Kisten leeren, ist es am einfachsten, woanders zu warten.
Wegen Corona steht man hier. Aber über Corona redet eigentlich niemand. Überhaupt ist es schwierig, miteinander zu kommunizieren, mit den unterschiedlichen Sprachen. Lange Gespräche werden es nie. »Mucho Spargel«, sagt eine Arbeiterin aus Rumänien eines Tages, und man stellt fest, dass man auf Spanisch miteinander reden kann. Die eine, weil sie aus Spaß an der Freude durch Südamerika und Spanien reiste. Die andere, weil sie zehn Jahre lang in der Nähe von Valencia Erdbeeren geerntet hat, erzählt die Frau. Was mag sie lieber, Erdbeeren- oder Spargelernte? Keine von beiden, da sie im Rücken schmerzen.»Lieber einen Bürojob am Computer«, sagt sie. Bei Bernd sei es »muy bien«, anderswo stressiger. 9,35 Euro bekommt sie hier pro Stunde, Mindestlohn. Eigentlich wollte sie vor zwei Wochen abreisen, aber wegen Corona gab es keinen Bus oder Flug nach Rumänien, erzählt sie. Dafür soll es nun übermorgen losgehen. Wie heißt sie? Was arbeitet sie den Rest des Jahres? Die Schicht ist zu Ende und am nächsten Arbeitstag ist sie nicht mehr da.
Der eine mit dem Basecap grüßt immer nett. »Do you speak English? Français? Español?« Er schüttelt den Kopf und verweist auf Mirela, die etwas Deutsch spricht. Vielleicht muss man als Journalistin auch einfach akzeptieren, wenn Leute nicht mit einem reden wollen. Akzeptieren, dass nicht alle Erntearbeiter*innen aus Rumänien unterdrückt sind und den Drang haben, von unfairen Löhnen oder ihrem Leben zu erzählen. Dass sie sich, zumindest auf diesem Acker, meistens unterhalten oder lachend nebeneinander her stechen. Dass das kein Standard ist, liest man immer wieder in diesen Monaten. Ohne Corona gab es nicht diese Aufmerksamkeit für die Arbeitsbedingungen von Saisonkräften. Aber nicht einmal im selben Dorf weiß man, was die anderen pro Stunde zahlen, sagt Gisela.
Das Pfingstwochenende naht, Deutschland darf wieder reisen. Die Neuinfektionen im Landkreis liegen bei null. Die Hoffmanns machen eines der zwei Felder platt und ernten nur noch das andere. Es sind immer weniger Helfer*innen. Gerd hört auf, seine Muckibude darf wieder öffnen. Morgens brummt die nahe gelegene B9 wieder von den vielen Autos der Arbeitnehmer*innen. Mittlerweile wächst viel Unkraut zwischen den Dämmen. Das ist ein gutes Zeichen: Wo gespritzt wird, fallen Blätter.
Um mal etwas Anderes zu sehen, geht es mit Bernd zum Spargel abladen am Großmarkt. Die fahlen Stangen, die er heute abliefert, liegen morgen im Supermarkt. Aber Bernd weiß weder heute noch morgen, was er fürs Kilo bekommt. »Das weiß ich erst in vier Wochen, wenn das Geld ausbezahlt wird.« Der Preis hat mit dem Weltmarkt zu tun, wie hart die Supermarktketten verhandeln, wie viel Spargel es gibt aufgrund von Wetter oder Corona.
Mitte Juni, es hat geregnet, nur staksend geht es durch den Schlamm, sonst schwappt das Pfützenwasser in die Garten-Crocs. Mirela bietet an, dass sie und die Anderen, die Gummistiefel anhaben, dort stechen, wo das Wasser hoch steht.
Und dann ist Schluss. Die Hoffmanns hören früher auf als der offizielle letzte Erntetag am 24. Juni. Andere Bauern im Land ebenso. Das ist einigermaßen gut gegangen mit der Spargelernte. Vorbei ist es noch nicht. Jetzt steht anderes Gemüse und Obst an.