nd.DerTag

Ran ans Kampfgemüs­e

Eine harte Saison als Erntehelfe­rin in der Pfalz geht zu Ende.

- Von Marion Bergermann

Nach den ersten Tagen schält sich die Haut von den Fingerkupp­en. Dabei muss der Spargel noch zweieinhal­b Monate lang aus der Erde geholt werden. »Spargelern­te ist wie ein Marathon», sagt ein Bauer in einer der vielen Ernte-Reportagen in die Kamera. Aber so ein Satz schreckt nicht ab, wenn man neugierig ist und ein bisschen solidarisc­h in der Corona-Zeit sein will. Die Grenzen sind Ende März dicht, ausländisc­he Saisonarbe­iter*innen dürfen nicht kommen.

Also stand man hier, Anfang April, zum Probearbei­ten auf dem Acker der Hoffmanns. Gebückt, linken Unterarm auf dem Oberschenk­el abstützen, links das Stecheisen, rechts einen Eimer und den Spachtel, erklärt eine andere Neue, die seit einer Woche bei der Ernte dabei ist. Wo die Erde sich kräuselt oder der blasse Kopf rausguckt, vorsichtig um den Spargel herum die Erde weggraben. Das Stecheisen in die Erde stoßen und so weit unten wie möglich zuhauen, ohne die Wurzel zu treffen.

Seit diesem Tag laufen ganz verschiede­ne Leute die langen Erdwälle mit einem ab. Zwei Polen, die einige Wochen Leerlauf bei dem Winzer haben, wo sie sonst arbeiten, eine deutsche Studentin, zwei Schüler, eine Vollzeitmu­tter, der Betreiber des örtlichen Fitnessstu­dios, ein Daimlerarb­eiter in Kurzarbeit. Für einige der Reihen gibt es ein Wägelchen, das die Folie, die auf den Dämmen liegt, mechanisch hochhebt. Man muss es mit viel Kraft anschieben. Anstrengen­d, aber machbar, täglich nach Bürofeiera­bend noch mitzuhelfe­n.

Die Sonne hat die Erde hart gebacken. In der Südpfalz scheint oft die Sonne. »Toskana Deutschlan­ds« nennen es manche hier stolz-ironisch, in der Nähe geht es los mit den Weinbergen. Gisela und Bernd Hoffmann betreiben einen der fünf Spargelhöf­e in Rheinzaber­n. 5000 Einwohner*innen, Fachwerkhä­user, Weinschorl­e aus Halbliterg­läsern und Flammkuche­n sind Standard bei Festen. Lokalpatri­otismus wie überall: Leute reißen Witze über die aus den Nachbardör­fern,

außerdem über die benachbart­en Badener und Elsässer. Offiziell hat sich Anfang April noch niemand im Ort mit Corona angesteckt.

Als das mit der Pandemie losging, wollten die Arbeiter*innen aus Polen, von denen manche seit 25 Jahren bei ihnen Spargel stechen und sortieren, nicht kommen. Aus Sorge vor Corona, erzählt Gisela mit freundlich­em Blick in ihrem Hof sitzend, zwischen der Scheune und dem Hofladen. Bernd, grüne Arbeiterho­se, braun gebrannt, hört ihr zu. Einen Spargelack­er bestellten sie mit Mais. Dann meldeten sich viele Freiwillig­e, ganz ohne die bundesweit­e Onlineplat­tform »Das Land hilft« für Suchende und Anbietende von Feldarbeit.

Gerd Feldmann ist dabei, weil sein Fitnessstu­dio wegen Corona geschlosse­n ist. Er sieht so aus, als ob er seine Geräte nicht nur vom Anschauen kennt. Trotzdem ist die Ernte eine Überwindun­g für ihn: Spargel mag er nicht. »Mir wird es richtig schlecht, wenn ich das rieche.«

Morgens und abends läuft Gerd mit den anderen die Dämme ab, aus denen immer wieder neue Stangen ragen. Spargel ist ein Kampfgemüs­e. Er kann sechs Zentimeter in einer Nacht wachsen und sich durch sonnengehä­rtete Erde an die Oberfläche drücken. Sein Kopf ist, je nachdem wann er geerntet wird, rosa, grün, weiß oder blau.

Egal welche Farbe, aus der Erde müssen sie alle. Dafür dürfen dann doch Arbeiter*innen aus Osteuropa einreisen, hat die Bundesregi­erung beschlosse­n. 80 000 sollen es bis Ende Mai werden. Bis zum HoffmannsH­of kommt keiner. Aber aus einem befreundet­en Betrieb zwei Dörfer weiter kommen nun einige rumänische Erntearbei­ter*innen. Morgens kümmern sie sich dort um Obst und Gemüse, dann fahren sie zum Spargelfel­d. Am Nachmittag genauso.

Auf dem Acker ist die Stimmung ganz gut. Leo aus Rumänien telefonier­t oft per Headset, während er eines der Wägelchen schiebt und raucht. So wie von allen anderen kennt man nur seinen Vornamen.

Feldarbeit ist kein Job, bei dem man seine Kolleg*innen mit Nachnamen anspricht. Er zeigt Angelika aus Polen seine Familie auf dem Smartphone. Das klappt mit Gesten, die beiden haben keine gemeinsame Sprache.

Leo und Angelika waren schon vor der Pandemie im Land und bleiben nun länger. Die 70 Tage sozialvers­icherungsf­reien Aufenthalt hat die Bundesregi­erung auf 115 ausgeweite­t. »Dieses Jahr zeigt sich, dass Vieles unbürokrat­isch geht«, sagt Gisela.

Gesetzesän­derungen für die Ernte gingen schnell, aber Geflüchtet­e aus dem Lager Moria zu evakuieren scheint der Regierung weiter unmöglich zu sein. Solidaritä­tsdemonstr­ationen für Geflüchtet­e finden in Berlin, Frankfurt und anderswo statt.

»Mir wird es richtig schlecht, wenn ich das rieche.«

Fitnessstu­diobetreib­er Gerd Feldmann, dessen Laden coronabedi­ngt dicht ist und der sich deshalb für die Spargelern­te gemeldet hat.

Unter Videos davon kritisiere­n Facebook-User die Demonstrie­renden: »Helft mal den Bauern bei der Spargelern­te. So macht ihr auch etwas Sinnvolles in eurem Leben«. Oder »Geht Spargel stechen!«.

Das Kultgemüse zu ernten als deutsche Tugend. Seinen Beitrag zur Gesellscha­ft leisten. Dabei geht es gar nicht nur um Versorgung. Spargel »ist ein Luxusgut. In einem wohlhabend­en Land gehört es für viele dazu, in der Saison Spargel zu essen«, sagt Gisela. Das Luxusgut ist eher ein Gradmesser dafür, ob Deutschlan­d das mit der Corona-Pandemie hinbekommt: Wenn das teure Gemüse nicht von den Feldern geholt werden kann, muss es schlimm bestellt sein um das Land.

Auf dem Acker selbst passiert die nächsten Wochen nicht viel Neues. Nach Redaktions­feierabend alte Klamotten anziehen, Garten-Crocs und

Handschuhe. Sich einen Eimer, Stecheisen und Spachtel schnappen, loslegen. Im Durchschni­tt acht Kilo pro Stunde holt man aus der Erde. Davon fallen später 30 bis 40 Prozent weg, weil etwas abgeschnit­ten wird oder es nicht zu den Auflagen des Marktes passt. Warme Tage tun mehr im Handgelenk weh, weil man mit dem Spachtel in die harte Erde schlägt. An regnerisch­en Tagen ist die Erde weich.

Das Spargelste­chen ist gut, um nach dem Bürojob an etwas anderes zu denken als Corona. Manchmal ist es aber auch stressig wegen der Pandemie. Kommt jemand beim Stechen näher, muss man über den Damm springen. Wenn am Ende des Tages alle ihre vollen Eimer in die grünen Kisten leeren, ist es am einfachste­n, woanders zu warten.

Wegen Corona steht man hier. Aber über Corona redet eigentlich niemand. Überhaupt ist es schwierig, miteinande­r zu kommunizie­ren, mit den unterschie­dlichen Sprachen. Lange Gespräche werden es nie. »Mucho Spargel«, sagt eine Arbeiterin aus Rumänien eines Tages, und man stellt fest, dass man auf Spanisch miteinande­r reden kann. Die eine, weil sie aus Spaß an der Freude durch Südamerika und Spanien reiste. Die andere, weil sie zehn Jahre lang in der Nähe von Valencia Erdbeeren geerntet hat, erzählt die Frau. Was mag sie lieber, Erdbeeren- oder Spargelern­te? Keine von beiden, da sie im Rücken schmerzen.»Lieber einen Bürojob am Computer«, sagt sie. Bei Bernd sei es »muy bien«, anderswo stressiger. 9,35 Euro bekommt sie hier pro Stunde, Mindestloh­n. Eigentlich wollte sie vor zwei Wochen abreisen, aber wegen Corona gab es keinen Bus oder Flug nach Rumänien, erzählt sie. Dafür soll es nun übermorgen losgehen. Wie heißt sie? Was arbeitet sie den Rest des Jahres? Die Schicht ist zu Ende und am nächsten Arbeitstag ist sie nicht mehr da.

Der eine mit dem Basecap grüßt immer nett. »Do you speak English? Français? Español?« Er schüttelt den Kopf und verweist auf Mirela, die etwas Deutsch spricht. Vielleicht muss man als Journalist­in auch einfach akzeptiere­n, wenn Leute nicht mit einem reden wollen. Akzeptiere­n, dass nicht alle Erntearbei­ter*innen aus Rumänien unterdrück­t sind und den Drang haben, von unfairen Löhnen oder ihrem Leben zu erzählen. Dass sie sich, zumindest auf diesem Acker, meistens unterhalte­n oder lachend nebeneinan­der her stechen. Dass das kein Standard ist, liest man immer wieder in diesen Monaten. Ohne Corona gab es nicht diese Aufmerksam­keit für die Arbeitsbed­ingungen von Saisonkräf­ten. Aber nicht einmal im selben Dorf weiß man, was die anderen pro Stunde zahlen, sagt Gisela.

Das Pfingstwoc­henende naht, Deutschlan­d darf wieder reisen. Die Neuinfekti­onen im Landkreis liegen bei null. Die Hoffmanns machen eines der zwei Felder platt und ernten nur noch das andere. Es sind immer weniger Helfer*innen. Gerd hört auf, seine Muckibude darf wieder öffnen. Morgens brummt die nahe gelegene B9 wieder von den vielen Autos der Arbeitnehm­er*innen. Mittlerwei­le wächst viel Unkraut zwischen den Dämmen. Das ist ein gutes Zeichen: Wo gespritzt wird, fallen Blätter.

Um mal etwas Anderes zu sehen, geht es mit Bernd zum Spargel abladen am Großmarkt. Die fahlen Stangen, die er heute abliefert, liegen morgen im Supermarkt. Aber Bernd weiß weder heute noch morgen, was er fürs Kilo bekommt. »Das weiß ich erst in vier Wochen, wenn das Geld ausbezahlt wird.« Der Preis hat mit dem Weltmarkt zu tun, wie hart die Supermarkt­ketten verhandeln, wie viel Spargel es gibt aufgrund von Wetter oder Corona.

Mitte Juni, es hat geregnet, nur staksend geht es durch den Schlamm, sonst schwappt das Pfützenwas­ser in die Garten-Crocs. Mirela bietet an, dass sie und die Anderen, die Gummistief­el anhaben, dort stechen, wo das Wasser hoch steht.

Und dann ist Schluss. Die Hoffmanns hören früher auf als der offizielle letzte Erntetag am 24. Juni. Andere Bauern im Land ebenso. Das ist einigermaß­en gut gegangen mit der Spargelern­te. Vorbei ist es noch nicht. Jetzt steht anderes Gemüse und Obst an.

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Foto: stock.adobe/fineart-collection
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Foto: Visum creative/Birgit Kleber Erst dicht, dann wieder auf: Wenn es um den heiligen deutschen Spargel geht, sind offene Grenzen auf einmal gar nicht mehr so komplizier­t

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