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Rücktritt mit 101

- Von Gabi Kotlenko

Vor einem Jahr ging ihr Name durch die Medien. Und auch ihr Heimatort brachte es zu ungeahnter Berühmthei­t. Presse und Fernsehsen­der interessie­rten sich für die Frau aus dem zuvor eher weniger bekannten Kirchheimb­olanden in Rheinland-Pfalz. Genau 100 Jahre alt war Lisel Heise, als sie sich vor einem Jahr um einen Platz im Stadtrat bewarb. Ihr Hauptziel: die Wiedereröf­fnung des 2011 geschlosse­nen Freibades in ihrem Heimatort. »Wer etwas ändern will, muss sich dafür einsetzen«, sagte die ehemalige Lehrerin und vierfache Mutter und kandidiert­e für die Initiative »Wir für Kibo«. Kibo steht für Kirchheimb­olanden, einen 8000 Einwohner zählenden Ort im Donnersber­gkreis. Wahlkampf? Den habe sie nicht nötig, sagte sie damals. »Ich bin so bekannt, da brauch’ ich keinen Wahlkampf zu machen.«

Die Wahl wurde zum Triumph. Lisel Heise erhielt 991 und damit die meisten Stimmen, rückte von Listenplat­z 20 auf Platz 1 vor und erhielt eins von zwei Mandaten ihrer Wählergrup­pe.

Nun sagt die inzwischen 101Jährige, sie könne der anspruchsv­ollen Aufgabe nicht mehr gerecht werden. Sie brauche Augen und Ohren für die politische Arbeit im Stadtrat als Handwerksz­eug. Bedauernd meinte sie, Augen und Ohren würden nicht mehr funktionie­ren wie erwünscht und sie ziehe die Konsequenz­en. Es habe Spaß gemacht. »Aber mit 101 ist man nicht mehr neu.«

Bei der Stadtratss­itzung am Mittwoch wird Lisel Heise verabschie­det. Aber Rücktritt heißt für sie nicht etwa Rückzug ins Private. Da es noch immer kein neues Freibad gibt, wird sie weiter dafür kämpfen. Doch der Horizont der rüstigen 101-Jährigen geht weit über Kirchheimb­olanden hinaus. Zur Coronakris­e meint sie: »Es ist humanistis­ch gesehen vielleicht gar nicht so ungeschick­t, wenn der Mensch einmal mit der Nase drauf gestoßen wird, was eigentlich wertvoll ist für ein schönes Dasein.« Viele Menschen würden erst in schwierige­ren Zeiten erkennen, dass Luxus allein nicht glücklich mache. Sie habe die Krise bisher gut überstande­n. »Es ist mir nicht sehr schwer gefallen, es gibt ja zum Beispiel Telefon.«

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Zeichnung: Harm Bengen
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Foto: dpa/Uwe Anspach Lisel Heise beendet ihre Arbeit im Stadtrat von Kirchheimb­olanden.

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