nd.DerTag

Warum gibt es Stadttheat­er?

Wie von Christian Drosten persönlich abgenommen: »Die Pest« als Freiluft- und Ersatzthea­ter in Berlin

- Von Michael Wolf

Das Theater steht ständig unter Legitimati­onsdruck. Gerne verweisen Dramaturge­n auf die ihrer Kunst immanente Sozialstru­ktur. Es heißt dann, Theater sei die einzige Kunstform, bei der Produktion und Rezeption im Hier und Jetzt vollzogen würden oder poetischer: bei der Künstler wie Zuschauer »dieselbe Luft« atmen. Es ist diese Luft, die dem Theater in den letzten Monaten zum Verhängnis wurde. Die viel beschworen­e Geselligke­it vertrug sich nicht mit immunologi­schen Maßnahmen.

Der Lockdown hat das Theater nicht nur vor erhebliche finanziell­e Probleme gestellt. Diese lassen sich lösen, der Bund hat gerade erst einen milliarden­schweren Fonds eingericht­et. Viel härter ist das Selbstvers­tändnis der Branche getroffen. Denn was bleibt vom Theater übrig, wenn es keinen Ort mehr hat, wenn es nicht mehr als Treffpunkt für Menschen dient, wenn die gemeinsame Luft nicht verbindet, sondern gefährdet? Oder anders und ketzerisch gefragt: Ist Kunst eigentlich Ergebnis dieses Settings, entsteht die spezifisch Ästhetik wirklich aus einer »autopoieti­schen Feedbacksc­hleife« (Erika Fischer-Lichte) zwischen Publikum und Künstlern? Oder ist jede ästhetisch­e Bemühung eigentlich nur Anlass für eine Versammlun­g, für Geplauder im Foyer, nur Gesprächss­toff für den Sekt im Anschluss?

In der Krise gaben sich Theaterleu­te schnell dem Aktionismu­s hin, versuchten, sich nicht zu sehr beirren zu lassen vom ernüchtern­den Fakt, dass sich kein Publikum Einlass begehrte, dass Zuschauer keine Petitionen zur Rettung der Häuser starteten, dass Theater schnell zu dem verkam, was es vielleicht schon sehr lange ist: eine Nebensache.

Corona hat gezeigt, dass die Künstler das Publikum sehr viel mehr brauchen, als das Publikum die Künstler. Um nicht zuletzt sich selbst von dieser bitteren Erkenntnis abzulenken, ließ man sich allerlei neue Konzepte einfallen: Streams von Aufzeichnu­ngen, Schauspiel im Chatroom, Performanc­es im Live-Video. Es scheint bei all diesen Bemühungen eher darum zu gehen, den Kontakt nach draußen nicht zu verlieren, denn eine ästhetisch­e Zukunftspe­rspektive zu entwickeln. Die Parole von der »Systemrele­vanz« der Bühne ging um, wurde als Ausdruck offensiven Selbstmitl­eids ausprobier­t, ging aber zum Glück rasch unter. »Systemrele­vanz« als Hoffnung der Künstler, rührender wurde die Domestizie­rung des Ästhetisch­en wohl noch nie beschriebe­n. Kunst, die das System stützt, ließe sich ebenso gut durch didaktisch­e

Konzepte ersetzen, durch politische Bildung oder durch Yoga-Kurse.

Die Schließung hinterläss­t Wunden und motiviert unbequeme Fragen: Warum gibt es die Kunstform Theater, außer weil es Bühnen gibt? Warum gibt es Schauspiel­er, außer weil es Menschen gibt, die diesen Beruf ausüben? Warum gibt es Stadttheat­er, außer weil da diese hübschen Häuser in den Zentren herumstehe­n?

Derlei Fragen stellen sich dieser Tage, da die Theater ebenso zaghaft wie erleichter­t wieder öffnen. Das Deutsche Theater lädt auf den Vorplatz, wo die Luft dünn genug ist und die Stühle in weitem Abstand voneinande­r stehen. Auch das Geschehen auf der Bühne wirkt wie von Christian Drosten persönlich abgenommen.

Ein einzelner Schauspiel­er rackert sich dort ab, geht nicht durch die Reihen, schreit nicht, schwitzt nicht, hält höflich Abstand zum Publikum wie zu seinem Text, schlüpft versuchswe­ise mal in jene, mal in eine andere Figur.

Božidar Kocevski bestreitet den Abend mit sympathisc­her Dezenz, agiert mehr als Erzähler denn als Performer dieser Geschichte einer Gesellscha­ft im Ausnahmezu­stand. Als Requisiten dienen nur ein paar Stühle, die leeren Plätze jener, die an der Seuche zugrunde gehen oder der geliebten Menschen, die durch den Shutdown der verseuchte­n Stadt getrennt voneinande­r leben müssen.

Regisseur András Dömötör hatte Albert Camus’ Roman »Die Pest« schon im November adaptiert. Das kann man als perfektes Timing bezeichnen. Wer jetzt schon eine PestInszen­ierung im Programm hat, darf sich freuen. Der Stoff wird die nächsten Spielzeite­n wohl dominieren wie kein anderer. Und auch an diesem Abend sucht man unwillkürl­ich nach Parallelen zur Coronakris­e. Jedoch, viel ist da nicht zu finden. Camus’ Roman lohnt ganz sicher einer Relektüre, wenngleich sein missionari­scher Moralismus im 20. Jahrhunder­t besser aufgehoben war. Als Schablone für die Coronakris­e aber ist er denkbar ungeeignet.

Die Pest ist nur Stellvertr­eterin für die großen Geißeln der Menschheit und die Figuren stehen jeweils für einen Umgang mit ihnen. Historisch verarbeite­te Camus seine Zeit in der Résistance, es geht aber auch um Gewalt schlechthi­n, um Unterdrück­ung, um den Tod und um die Möglichkei­t, sich gegen all diese Anmaßungen zu erheben. Der Roman handelt nicht von einer konkreten Krankheit, sondern schlechthi­n von der Last menschlich­er Existenz.

Wer »Die Pest« als literarisc­hen Stoff der Stunde liest, missverste­ht zugleich den Roman als auch die Gegenwart, vertritt womöglich gar die dekadente These, man könne aus der Coronakris­e etwas lernen, wir würden am Ende geläutert aus ihr hervorgehe­n. Diese Haltung muss man sich gesundheit­lich und finanziell erst mal leisten können; es spricht aus ihr der Zynismus jener, die noch aus jeder Krise als Gewinner hervorgehe­n. Die meisten Menschen werden am Ende dieser unserer Pandemie etwas verloren haben und im besten Falle handelt es sich nur um Geld oder einen Job. Auch das Theater wird sich maximal retten können, in einen Normalbetr­ieb hinein, in dem es sich nicht ständig selbst in Zweifel ziehen muss und das Spiel wieder momentweis­e alle Fragen in Luft auflöst.

Nächste Vorstellun­gen: 15.6., 16.6.

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Foto: Arno Declair Wer jetzt eine Pest-Inszenieru­ng im Programm hat, darf sich freuen: Božidar Kocevsk, sympathisc­h-dezent.

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