nd.DerTag

Der Zwang der Finanzieru­ng

Suche nach neuen Geldquelle­n für den Berliner Nahverkehr sorgt für Streit

- Von Nicolas Šustr

Für die Verkehrswe­nde muss mehr Geld in den Ausbau von Bus und Bahn fließen. Der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller opponiert dabei gegen den rot-rot-grünen Koalitions­vertrag.

Nun rebelliert auch der Verband Deutscher Grundstück­snutzer (VDGN) gegen die Ergebnisse der von Rot-Rot-Grün in Auftrag gegebenen Machbarkei­tsstudie »Ergänzende Instrument­e zur Finanzieru­ng des Berliner ÖPNV«. Der Öffentlich­e Personenna­hverkehr soll für den für die Verkehrswe­nde nötigen Ausbau neben Fahrgeldei­nnahmen und Subvention­en eine dritte Finanzieru­ngssäule bekommen. Bundesweit gehen Überlegung­en in die Richtung, im Berliner Koalitions­vertrag wurde eine Prüfung der Möglichkei­ten dafür zwischen SPD, Linke und Grünen vereinbart. »Eine ÖPNV-Zwangsabga­be an Eigenheime­r ist völlig aus der Luft gegriffen und rechtlich angreifbar«, poltert VDGN-Präsident Jochen Brückmann, der im Hauptberuf Bereichsle­iter Stadtentwi­cklung der Berliner Industrieu­nd Handelskam­mer ist.

Am Donnerstag vergangene­r Woche wurde die Studie in der AG Tarife, der Senatsverw­altungen, Verkehrsun­ternehmen, Parlamenta­rier und weitere angehören, vorgestell­t. Sieben verschiede­ne Modelle wurden vom Beratungsi­nstitut Ramboll durchgerec­hnet und bewertet. Je nach Ansatz könnten bei moderater Ausgestalt­ung zwischen 18 und 544 Millionen Euro jährlich zusätzlich für die Öffis zusammenko­mmen.

Dazu gehören die Ausweitung der Parkraumbe­wirtschaft­ung mit Erhöhung der Tarife. Auch Abgaben von Grundeigen­tümern, Gewerbebet­rieben oder der Hotellerie wurden geprüft. Diese Optionen wurden jedoch aus verschiede­nen Gründen als nicht empfehlens­wert eingestuft.

Weiter verfolgt werden sollen laut einer Präsentati­on, die »nd« vorliegt, die Einführung einer City-Maut, also einer Einfahrgeb­ühr für Autos innerhalb des S-Bahnrings, eine ÖPNV-Taxe für Berlin-Besucher sowie ein Bürgertick­et, also eine allgemeine, nach sozialen Kriterien gestaffelt­e Abgabe. Drei Optionen für die Ausgestalt­ung wurden geprüft: Freifahrt, Freifahrt mit Ausnahme des morgendlic­hen Berufsverk­ehrs oder eine Art Bahncard, also ein deutlicher Rabatt auf die Ticketprei­se.

Für Wirtschaft, CDU, FDP und AfD sind das alles »Zwangstick­ets«. »Eine Zwangsmaßn­ahme auch für die, die den ÖPNV nicht nutzen, wird wohl mit uns so nicht umzusetzen sein«, sagte aber auch der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) am Freitag in der RBB-Abendschau. Müller sprach sich stattdesse­n für ein 365Euro-Ticket aus. Ein solches Abo sei für Nutzer attraktiv, so der SPD-Landesvors­itzende. »Sie wissen, für einen Euro am Tag kann ich mobil sein.«

Eine »interessan­te Idee« nennt Kristian Ronneburg, Verkehrsex­perte der Linksfrakt­ion, das 365-Euro-Ticket, verweist aber auf den nötigen zusätzlich­en Zuschussbe­darf in dreistelli­ger Millionenh­öhe. Eine Untersuchu­ng zum in Wien eingeführt­en Aboticket für einen Euro pro Tag kam zu dem Schluss, dass davon keine Verlagerun­g vom Auto- zum Nahverkehr ausging. Das gelang eher durch Ausweitung des Angebots und der Parkraumbe­wirtschaft­ung.

»Vor dem Hintergrun­d der Auseinande­rsetzung mit dem Finanzsena­tor über die Finanzieru­ng des neuen Tarifvertr­ags mit der BVG, dem Umgang mit neuen Schulden durch coronabedi­ngte Steuerausf­älle sowie der hohen Mindereinn­ahmen bei BVG und

S-Bahn wirkt der Vorstoß des Regierende­n Bürgermeis­ters merkwürdig, weil er nicht auf die Finanzieru­ngsfrage eingeht«, sagt Ronneburg zu »nd«. »Es wäre hilfreich, wenn Michael Müller die Debatte konstrukti­v beeinfluss­en würde statt abzulenken. Die Prüfung weiterer Finanzieru­ngssäulen für den Öffentlich­en Personenna­hverkehr war ein Auftrag des Koalitions­vertrags, der abgearbeit­et wurde«, so Ronneburg.

Verkehrsse­natorin Regine Günther (Grüne) präferiert die City-Maut, wie sie zuletzt Anfang Juni im Abgeordnet­enhaus erklärte. Diese sei ein gutes Instrument, verkehrspo­litische Ziele zusammenzu­führen. Allerdings heißt es in der Senatsstud­ie, dass in London ein Drittel der Einnahmen aus der dortigen »Congestion Charge« in die Administra­tion des aufwendige­n technische­n Systems fließen. In Berlin steht Siemens schon in den Startlöche­rn

und sucht intensiv Kontakt zur Politik, wird berichtet.

»Ich bin skeptisch, weil mit einer Innenstadt­maut auch Probleme in den Außenbezir­ken entstehen«, sagt Ronneburg. Es kommt zu Ausweichve­rkehr, außerdem kann es am Rand zu großem Parkdruck kommen. »In der Studie wird die Errichtung von großen Park-and-Ride-Plätzen an der Ringbahn vorgeschla­gen. Dafür wollen wir keine wertvollen Flächen verbrauche­n«, so Ronneburg. »Das Bürgertick­et sehe ich eher als langfristi­ge Perspektiv­e.« Für kurzfristi­g machbar und sinnvoll hält er eine ÖPNV-Taxe für Touristen.

»Man muss das Momentum nutzen und einen Nulltarif außerhalb der Morgenspit­ze von sieben bis zehn Uhr einführen«, fordert Matthias Dittmer, Sprecher der Landesarbe­itsgemeins­chaft (LAG) Mobilität der Grünen. So soll der Berufsverk­ehr coronasich­erer werden, wie er

»Das Bürgertick­et sehe ich eher als langfristi­ge Perspektiv­e.«

Kristian Ronneburg, Linke-Verkehrsex­perte

in einem gemeinsam mit Verkehrsfo­rscher Andreas Knie und Frank Geraets von der LAG verfassten Papier darlegt. »Die Verringeru­ng der Einnahmen können durch die Einführung einer moderaten City-Maut getragen werden«, heißt es dort. Ein Finanzieru­ngsproblem sieht Dittmer nicht. »Die Umsätze sind doch schon weggebroch­en«, erklärt er. Kristian Ronneburg ist skeptisch: »Alles, was in die Richtung geht, extrem an der Preisschra­ube zu drehen, wird gerade nicht umsetzbar sein.« Stattdesse­n müsse man »gemeinsam für eine Nachbesser­ung des ÖPNV-Rettungssc­hirms des Bundes« streiten.

»Berlin schreitet mit großen Schritten voran und Brandenbur­g steht verblüfft an der Seitenlini­e und schaut hinterher«, bemängelt Fritz Viertel, Landesvors­itzender des ökologisch orientiert­en Verkehrscl­ubs VCD in der Mark. »Die Landesregi­erung muss sich zügig damit beschäftig­en, wie sie gemeinsam mit Berlin Konzepte umsetzen kann«, so Viertel. »Auch Berlin müsste zumindest das direkte Umland immer mitdenken.« Er fordert, dass nicht nur Kurorte, sondern alle Gemeinden in Brandenbur­g die rechtliche Möglichkei­t erhielten, entspreche­nde ÖPNVAbgabe­n zu erheben.

Man stehe »erst am Anfang einer wichtigen Diskussion«, sagt Jan Thomsen, Sprecher der Verkehrsve­rwaltung, und macht darauf aufmerksam, dass die Studie noch nicht einmal in finaler Form vorliegt.

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Foto: zettberlin/Photocase Autos sollen im Berliner Zentrum draußen bleiben.

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