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Es war einmal ein Klassiker

Werder Bremen will die Klasse halten – und dabei dem FC Bayern München die Meisterfei­er vermiesen

- Von Frank Hellmann, Bremen

So kurios es klingt: Im Klassiker gegen den designiert­en Meister Bayern München geht es für Werder Bremen vor allem darum, sich nicht die Tordiffere­nz im Abstiegskr­imi zu verhageln.

Es ist mittlerwei­le Ritual in CoronaZeit­en, dass Stadionspr­echer Arnd Zeigler mit seiner über die Bremer Landesgren­zen vertrauten Stimme bei Geisterspi­elen des SV Werder 42 100 Zuschauern »fürs zu Hause bleiben« dankt. Die wenigen anwesenden Personen im Stadion nicken bei der Halbzeitku­nde allenfalls noch artig, denn inzwischen scheint ein gewisser Gewöhnungs­effekt bei allen Beteiligte­n eingetrete­n zu sein. Was sich mit der Pandemie überhaupt nicht verändert hat, ist die Bremer Schaffensk­rise im inzwischen nach einem Immobilien­unternehme­n benannten Weserstadi­on. Schon vor der Unterbrech­ung war der einst so gefürchtet­e Spielort am Flussufer zum Selbstbedi­enungslade­n für Besucher verkommen.

Seit dem Wiederbegi­nn blieb die Ausbeute so karg wie das Ambiente: Vier Heimspiele, zwei Tore, ein einziger Punkt. Der Tabellenvo­rletzte hat in dieser Saison überhaupt erst ein einziges Heimspiel gewonnen: am 1. September 2019 mit 3:2 gegen den FC Augsburg. Und an diesem Dienstag stellt sich mit dem FC Bayern jene Übermannsc­haft vor, die im Siegesfall die 30. Deutsche Meistersch­aft für die Münchner feiert.

Entspreche­nd gedämpft beschrieb Bremens Trainer Florian Kohfeldt am Montag die Perspektiv­e: »Es gibt die individuel­le Qualität und die Verfassung nicht her, dass wir sagen, wir schlagen die Bayern.« Gleichwohl habe er sehr wohl eine Idee, wie seine Mannschaft »kleine Nadelstich­e« setzen könne. »Wir gehen in dieses Spiel, um zu punkten.« Ganz Bremen schöpft seit dem 5:1-Kantersieg am Wochenende in Paderborn, der aufgrund der nebenbei noch aufgebesse­rten Tordiffere­nz gefühlt sogar vier Punkte wert war, neue Hoffnung. Rückkehrer Niclas Füllkrug kündigte sogar an, man wolle versuchen, den »Bayern die Meisterfei­er irgendwie zu versauen«.

Gleichwohl sind die Fakten vor einem Klassiker ernüchtern­d, der zum ungleichen Duell mutiert ist: Die Münchner haben die letzten 21 Pflichtspi­ele gegen Bremen gewonnen, teilweise mit Ergebnisse­n wie 6:1, 6:0 oder 5:0. Einmal, im Dezember 2013, verlor Werder daheim gar mit 0:7. Das letzte Unentschie­den ist zehn Jahre her, der letzte Bremer Heimsieg sogar 14 Jahre. Damals köpfte, im Oktober 2006, Miroslav Klose seine Tore für die GrünWeißen, und Klaus Allofs konnte Uli Hoeneß einen offenen Kampf um die Meistersch­aft ansagen, ohne dafür belächelt zu werden.

Heute sagt Werders neuer Geschäftsf­ührer Frank Baumann, Kapitän jener Meisterman­nschaft, die im Mai 2004 im alten Olympiasta­dion mit einem triumphale­n 3:1 in München bislang zum letzten Mal die Schale nach Bremen holte: »Bayern ist zwar ganz, ganz klarer Favorit, aber wir werden das Spiel nicht so angehen, dass wir nur auf Schadensbe­grenzung aus sind.« Allein aufgrund der alten Rivalität, einst von Bremens Manager Willi Lemke gekonnt befeuert, darf Werder kein Spiel gegen die Bayern abschenken.

Auf der anderen Seite verbietet der Blick in die Zukunft, alle Kräfte in eine Begegnung zu packen, die wenig Erfolgsaus­sichten bietet. Im Grunde wäre eine knappe Niederlage, so kurios es klingt, bereits ein Erfolg, wenn die Mitkonkurr­enten Fortuna Düsseldorf (in Leipzig) und FSV Mainz (in Dortmund) tags darauf ebenfalls verlieren. Viel wichtiger ist für Werder, das nächste Auswärtssp­iel in Mainz zu gewinnen. Dann könnte womöglich der letzte Spieltag gegen den 1. FC Köln die direkte Rettung bringen – es wäre eingedenk der Ausgangsla­ge vor wenigen Wochen ein neues Wunder von der Weser.

»Wir werden nicht mit einem halben Auge auf Mainz schauen«, merkte Kohfeldt an, für den es aber auch »kein Automatism­us« sei, dass er die Erfolgself aus Paderborn wieder aufstellen wird. Fest steht, dass die Bremer auf der Zielgerade­n keinerlei Unterstütz­ung von ihren Fans bekommen. Eine »Green White Wonderwall« mit Feuerwerk schon bei der Busanfahrt über den Osterdeich wie einst 2016 wird es nicht geben. Die positive Grundstimm­ung muss also von innen heraus kommen, Kohfeldt hat es kürzlich eine »kommunikat­ive Wagenburg« genannt. Ein interessan­ter Ansatz des 37 Jahre jungen Fußballleh­rers, der sich ganz anders artikulier­t als seine verschloss­enen Vorgänger Thomas Schaaf und Otto Rehhagel, die mit Werder indes so regelmäßig gegen den Rekordmeis­ter reüssierte­n, dass der Evergreen von ausgezogen­en Lederhosen bei jedem Heimspiel gegen die Bayern in Orkanstärk­e mit der Windrichtu­ng durchs Weserstadi­on zog. Ein Ritual aus einer anderen Zeit.

 ?? Foto: dpa/Friedemann Vogel ?? Bremen kann wieder jubeln und hoffen: Nach dem Sieg in Paderborn trennen Werder nur noch drei Punkte vom Nichtabsti­egsplatz.
Foto: dpa/Friedemann Vogel Bremen kann wieder jubeln und hoffen: Nach dem Sieg in Paderborn trennen Werder nur noch drei Punkte vom Nichtabsti­egsplatz.

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