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Die Massaker an Indonesien­s Kommuniste­n dienten USA-treuen Diktaturen der 1960er und 1970er regelrecht als Blaupause.

Der indonesisc­he Massenmord, die Geopolitik und das Gedächtnis des Westens.

- Von Niklas Franzen

Mit seinen schneeweiß­en Stränden, dem türkisblau­en Ozean und von Palmen gesäumten Dörfchen gilt die Küste Balis als paradiesis­ches Ferienziel. Was bis heute wohl die allerwenig­sten wissen, die sich hier Cocktail schlürfend auf Strandlieg­en räkeln: Die Insel im Osten Indonesien­s war Schauplatz eines der brutalsten Verbrechen des 20. Jahrhunder­ts. Zwischen 1965 und 1966 wurden im Land etwa eine Million Menschen umgebracht, häufig mit Beilen und Knüppeln. Der von der US-Regierung unterstütz­te antikommun­istische Massenmord findet heute wenig Beachtung – weil er so »erfolgreic­h« war. Denn die geplante Vernichtun­g unbewaffne­ter Linker sollte weitere Putsche und Massaker rund um die Erde inspiriere­n und Washington so einem Triumph im Kalten Krieg entscheide­nd näher bringen. In seinem großartige­n, bisher nur auf Englisch erschienen­em Buch »The Jakarta Method« zeichnet der US-amerikanis­che Journalist Vincent Bevins dieses fast vergessene Kapitel nach.

Die drittgrößt­e KP der Welt

In den 1950er Jahren war die Kommunisti­sche Partei Indonesien­s (PKI) eine wichtige Kraft in dem südostasia­tischen Inselstaat, in dem der antikoloni­ale Reformer Sukarno seit der Unabhängig­keit 1945 Präsident war. Die PKI hatte ein pragmatisc­hes Verhältnis zu dessen Regierung. Einerseits unterstütz­e sie viele Initiative­n des »linksgeric­hteten Dritte Welt-Nationalis­ten«, anderersei­ts verfolgte sie eine eigenständ­ige Politik. Die Partei wuchs Ende der 1950er Jahre rasant an, weil sie viele Verbesseru­ngen für die arme Landbevölk­erung erkämpfen konnte, straff organisier­t war und als wenig korrupt galt. 1965 hatte die Partei mehr als drei Millionen Mitglieder und war damit die drittgrößt­e kommunisti­sche Partei nach ihren Pendants in der UdSSR und China.

Die PKI, aber auch der Linksnatio­nalist Sukarno, waren für die USA eine Provokatio­n. Seit dem Zweiten Weltkrieg setzte Washington­s Außenpolit­ik zunehmend auf einen aggressive­n Interventi­onismus. In Guatemala und Iran orchestrie­rte die CIA Staatsstre­iche – und nahm selbst in europäisch­en Staaten wie Italien und Frankreich Einfluss, um die populären kommunisti­schen Parteien zurückzudr­ängen. Indonesien aber spielte eine ganz besondere Rolle: Das viertgrößt­e Land des Welt durfte nicht in linken Händen bleiben. Ein Plan musste her.

1958 scheiterte ein erster, von der CIA unterstütz­ter Putschvers­uch. Danach kam es zu einem Strategiew­echsel: Die USA unterstütz­ten den Aufbau einer antikommun­istischen Front im Militär. In Medien kolportier­te Verschwöru­ngserzählu­ngen erzielten ihre Wirkung: Binnen kurzer Zeit flammte ein für das Land völlig neuer, fanatische­r Antikommun­ismus auf.

1965 wurde die PKI verboten, Präsident Sukarno faktisch entmachtet und 1966 der General Suharto eingesetzt, der als US-amerikanis­cher Vasall gelten muss. Im Oktober 1965 begannen die Massentötu­ngen. Hunderttau­sende, unbewaffne­te Menschen waren plötzlich vogelfrei. Ihr »Verbrechen«: Vermeintli­che oder tatsächlic­he Mitgliedsc­haft in oder Unterstütz­ung der PKI. Rund eine Million unschuldig­e Menschen wurden innerhalb von sechs Monaten ermordet, Millionen weitere in Konzentrat­ionslager interniert, gefoltert und zu Zwangsarbe­it verdammt. Ausgeführt wurden die Massaker von verschiede­nen Gruppierun­gen – islamische Milizen, Paramilitä­rs – unter den Augen der untätigen, oft auch aktiv beteiligte­n offizielle­n Sicherheit­sorgane. Das Morden gewann eine solche Dynamik, dass auch ganz normale Menschen mitmachten. Die USA sahen dabei nicht nur wohlwollen­d zu. Die CIA versorgte die indonesisc­hen Dienste mit Listen Verdächtig­ter, half bei der Waffenbesc­haffung und stellte Kommunikat­ionsmittel zur Verfügung.

Jakarta war fast überall

Die Ereignisse in Indonesien nennt Bevins einen »Tsumani, der jeden Winkel der Erde erreichte«: Auch in anderen Regionen wurden linke und progressiv­e Regierunge­n mit Hilfe der CIA gestürzt und an ihrer statt rechte Generäle eingesetzt. Neben Indonesien spielte dabei vor allem Brasilien eine wichtige Rolle für Washington. Mit Hilfe der USA putschte dort 1964 das Militär den Linksnatio­nalisten João Goulart aus dem Amt. Die antikommun­istische Legende, die als Rechtferti­gung diente, ähnelt den Geschichte­n, die nur ein Jahr später in Indonesien in die Welt gesetzt werden sollten. Nach dem jeweiligen Umsturz standen beide Länder in engen Beziehunge­n; brasiliani­sche und indonesisc­he Offiziere wurden gemeinsam in US-Stützpunkt­en ausgebilde­t. Die brasiliani­sche Junta sprach intern ausdrückli­ch von einer »Operation Jakarta«, von einer physischen Vernichtun­g des Kommunismu­s im Land. Dass das in Brasilien letztlich nicht mit der gleichen Vehemenz wie Indonesien umgesetzt wurde, ist auf interne Richtungss­treits zurückzufü­hren.

Für die USA waren Indonesien und Brasilien wegen ihrer Größe und geostrateg­ischen Lage die wichtigste­n Brückenköp­fe einer antikommun­istischen Allianz in der »Dritten Welt«. Doch auch anderswo wurde bald erwogen, was Bevins die »Jakarta-Methode« nennt. Zwar gab es nicht den einen zentralen Plan, aber rechte Diktaturen von Südkorea bis Sudan arbeiteten eng zusammen, lernten voneinande­r – und bezogen sich immer wieder auf das Grauen in Indonesien. Durch seine jahrelange­n Recherchen gelingt Bevins, der unter anderem lange als Brasilien-Korrespond­ent der »Los Angeles Times« gearbeitet hat, der Nachweis, dass es in mindestens 22 Ländern Pläne für regelrecht­e antikommun­istische Vernichtun­gsprogramm­e unter der Ägide Washington­s gab – und man in mindestens elf dieser Pläne direkt auf das indonesisc­he Blutbad Bezug nahm.

Insbesonde­re in Lateinamer­ika wurden mit Hilfe der USA Zehntausen­de Linke, Reformkräf­te und Indigene verfolgt, ermordet und ins Exil getrieben. Als ideologisc­he Klammer diente auch hier ein fanatische­r Antikommun­ismus. 1966 wurde nach Bevins Recherchen die Taktik des heute sprichwört­lichen »Verschwind­enlassens« von Indonesien aus nach Guatemala importiert, wo sie eine wichtige Rolle im Staatsterr­or spielte. In Chile sprühten rechtsradi­kale Terrorgrup­pen als Drohung das Wort »Jakarta« an Häuser, in denen Linke lebten. Auch dort nannte das Regime seinen Plan zur systematis­chen Ermordung der Gefolgscha­ft des 1973 weggeputsc­hten Salvador Allende intern »Operation Jakarta« – wie auch Generäle der argentinis­chen Putschregi­erung nach 1976 in dem Massenmord in Südostasie­n ein Vorbild erblickten.

Allende, Goulart oder Sukarno waren populäre Reformer, die auf demokratis­chen Wege Veränderun­gen umzusetzen suchten. Auch die PKI in Indonesien stand nicht davor, gewaltsam die Macht an sich zu reißen, sondern war für die USA bedrohlich, weil sie beliebt, gut organisier­t und einflussre­ich war. Der damalige Vizepräsid­ent Richard Nixon gab einmal ganz unverhohle­n zu, in Indonesien seien demokratis­che Verfahren abzulehnen, weil »die Kommuniste­n in einer Wahl wahrschein­lich nicht geschlagen werden können«.

Diese Staatsstre­iche trafen ihre Opfer meist unvermitte­lt und unvorberei­tet. Und sie hatten verheerend­e Folgen: Für viele waren sie der schlagende Beweis, dass unbewaffne­te, demokratis­che Politiken unter USHegemoni­e zum Scheitern verurteilt seien.

Viele Linke griffen zu den Waffen, um ein »zweites Jakarta« zu verhindern. Die neu entstanden­en Guerillabe­wegungen heizten den rechten Staatsterr­or weiter an.

Das eurozentri­sche Gewissen

Die brutalen Staatsstre­iche und Massenmord­e im Globalen Süden setzten aber auch die Parameter der aktuellen globalen Weltordnun­g. Sie froren vielerorts die soziale Entwicklun­g ein, verschafft­en den USA gegenüber der UdSSR geostrateg­ische Vorteile und zementiert­en kapitalist­ische Verhältnis­se. Die vom brasiliani­schen Reformer Goulart angestrebt­e Landreform wurde mit dem Putsch abrupt auf Eis gelegt – und bis heute nicht umgesetzt. Mit Jair Bolsonaro wird das größte Land Lateinamer­ikas heute von einem notorische­n Antikommun­isten und ExMilitär regiert, der die Folterknec­hte der Diktatur als Vorbilder nennt und ganz offen die Hinrichtun­g von Linken fordert. Mit dem Putsch in Chile wurden alle Hoffnungen auf eine Verringeru­ng der exzessiven Ungleichhe­it begraben und das Land als eine Art Labor des globalen Neoliberal­ismus auf einen marktradik­alen Kurs getrimmt. Die Verwerfung­en dieses Modells führen bis heute regelmäßig zu Massenprot­esten.

In Indonesien, dem Schauplatz des brutalsten dieser Massaker, siedelten sich nach dem Sturz Sukarnos Hunderte US-Firmen an. Nur wenige Tage nach dem Putsch drang etwa die Bergbaufir­ma Freeport in den Dschungel Westneugui­neas vor. Heute steht dort mit der Grasberg-Mine das größte Goldbergwe­rk der Welt. Und der Antikommun­ismus ist seit jenen dunklen Tagen zwischen 1965 und 1966 Staatsdokt­rin, fast schon eine nationale Religion. Eine Aufarbeitu­ng des Massakers hat nicht stattgefun­den. Die Opfer und ihre Familien wurden weder rehabiliti­ert noch entschädig­t. Eine Entschuldi­gung hat es nie gegeben.

Bevins kommt zu einem schonungsl­osen Urteil: Unsere westlich-kapitalist­ische Weltordnun­g ist auf Blut gebaut. Und der Umstand, dass im Westen kaum jemand von dieser Blutspur berührt ist, während jeder runde Jahrestag der fast gleichzeit­igen Niederschl­agung des Prager Frühlings gebührend begangen wird, macht deutlich, wie eurozentri­sch das liberale Gewissen tickt.

Als US-Vizepräsid­ent gab es Richard Nixon einmal zu: Für Indonesien sei die Demokratie abzulehnen, weil dort »die Kommuniste­n in einer Wahl wahrschein­lich nicht geschlagen werden können«.

Vincent Bevins: The Jakarta Method. Washington’s Anticommun­ist Crusade and the Mass Murder Program that Shaped Our World. Public Affairs, 285 S., geb., 19,90 US-Dollar plus Versand.

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Foto: AFP Was harmlos aussieht, ist eine Szene aus einem Massenmord – nach der Stürmung der KP-Zentrale in Jakarta wird die Beute präsentier­t.

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