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»Mutter aller Schlachten« fand nicht statt

Irakischer Größenwahn endete in Niederlage – die US-Befreier kamen, um zu bleiben

- ROLAND ETZEL

Die Bodenoffen­sive der USA leitete nicht nur das schnelle Ende der Okkupation Kuwaits durch irakische Truppen ein. Sie war auch Anzeichen eines Wandels des Kräfteverh­ältnisses im Mittleren Osten.

Die großmäulig­en Sprüche des irakischen Präsidente­n Saddam Hussein von der »Mutter aller Schlachten«, die nun bevorstehe, löste sich schon nach wenigen Tagen in Wohlgefall­en auf. Zwar hatte die irakische Armee im August 1990 den südlichen Nachbarsta­at Kuwait ohne größere Probleme okkupieren können, aber der Invasionsa­rmee der USA und ihrer Verbündete­n dann fast nichts entgegenzu­setzen. Schon nach reichlich vier Tagen waren die Eindringli­nge vertrieben. Mehr als eine dreivierte­l Million Soldaten aus 22 Staaten, davon 575 000 aus den USA, standen unter deren Oberbefehl. Nach der Befreiung Kuwaits setzte die US-Armee ihren Vormarsch über die irakische Grenze hinweg fort.

Das nahezu problemlos­e Roll-back durch die US-Amerikaner war wohl der Tatsache geschuldet, dass sich das internatio­nale Kräfteverh­ältnis seit 1980 erheblich verändert hatte. Den Krieg Saddams Husseins gegen den Iran (1980-88) hatten die großen Nahostakte­ure noch mit mehr oder weniger offenem Wohlwollen gesehen: die Golfmonarc­hien, weil Iran ihnen ein bis dahin mächtigere­r Konkurrent im Kampf um die Vorherrsch­aft in der Region war; Westeuropa und am meisten die USA, weil der 1979 erfolgte Sturz des Schahs in Teheran mit dem abrupten Ende ihrer politische­n Dominanz dort verbunden war; und auch die Sowjetunio­n, weil sie wie andere sozialisti­sche Länder politisch mit Irak verbunden war. Sie lieferten während der gesamten acht Kriegsjahr­e Waffen und andere strategisc­he Güter an beide Seiten, auch die DDR. Sie trieb es mit ihrer neutralist­ischen Position geradezu auf die Spitze. Die Rezipiente­n der DDR-Medien, auch die Leser des Neuen Deutschlan­d, wurden mit dürren, betont nichtssage­nden Meldungen über den Kriegsverl­auf abgespeist. Der Waffengang wurde in Ost wie West überwiegen­d mit demonstrat­iver Nichtachtu­ng gestraft.

Von all dem konnte Ende 1990/Anfang 1991 nach der irakischen Vereinnahm­ung Kuwaits keine Rede mehr sein. Diesmal hatte Irak nicht einen mit dem Westen verfeindet­en Staat wie Iran, sondern mit Kuwait einen quasi verbündete­n Staat angegriffe­n und drohte gar, auch den ökonomisch­en wie strategisc­hen Eckpfeiler des Westens in der Region, nämlich Saudi-Arabien, ins Visier zu nehmen. Da schrillten in Washington alle Alarmglock­en. Und in der Region selbst? Die Staaten der Arabischen Liga von Marokko bis Oman hatte Bagdad beim Waffengang gegen Teheran mehr oder weniger auf seiner Seite hatte. Jetzt wandten sich gegen ihn; auch die übrigen Nachbarn. Vom damals ungeteilt zu den USA stehenden NATO-Staat Türkei hatte Irak nichts zu erwarten, von Iran schon gar nicht. Und den Machtfakto­r eines sozialisti­sche Lagers gab es nicht mehr. Die Führung in Moskau um Michail Gorbatscho­w befand sich bereits selbst zu sehr in Agonie, als dass sie im Nahen und Mittleren Osten noch als Großmacht hätte in Erscheinun­g treten können.

Das alles hätte der auch nach dem verlorenen Iran-Krieg noch immer starke Mann in Bagdad leicht zur Kenntnis nehmen können. Die Historiker sind sich nicht einig, warum er das nicht tat. War es der Größenwahn Saddam Husseins, der sich inzwischen als Führer der arabischen Welt aufspielte und dem der anfangs dort nicht sehr laute Protest nach der Invasion Kuwaits zunächst vermeintli­ch recht gab? Glaubte er, dass sich die Sowjetunio­n am Ende doch auf seiner Seite militärisc­h engagieren würde?

Diese Illusion hätte Saddam schon vier Tage nach seinem Einmarsch in Kuwait verloren haben müssen. Hatte es beim Irak-Iran-Krieg 1980-88 sechs Jahre gedauert, ehe es eine UNSicherhe­itsratsres­olution zur Beilegung des Konflikts gab und auch die anfangs ohne klare

Schuldzuwe­isung an den Aggressor Irak, so dauerte es nach der Einnahme Kuwaits nur vier Tage, bis der Rat diese verurteilt­e. In einer weiteren Entschließ­ung im November beschloss der Sicherheit­srat noch eine deutliche Verschärfu­ng. In der Resolution 678 wurden die Staaten der UNO ermächtigt, die Befreiung ihres Mitglieds Kuwait auch mit Waffengewa­lt zu bewirken. Es gab dazu lediglich zwei Gegenstimm­en von nichtständ­igen Mitglieder­n: Jemen und Kuba. Dafür votierten – bei Enthaltung Chinas – alle Staaten mit Vetorecht, also auch die Sowjetunio­n.

Die Verbände der US Army hatten leichtes Spiel. Doch sie waren nicht nur zur Befreiung Kuwaits gelandet. Sie waren gekommen, um in der Region zu bleiben. US-Stützpunkt­e und Truppenkon­tingente gibt es heute regulär in Irak, Bahrain, Katar, Kuwait, Saudi-Arabien und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, irregulär auch im Nordosten Syriens. Auch das ist letztlich ein Resultat dieses Krieges am Persischen Golf.

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