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Ägypten sehnt sich nach alter Größe

Die Regierung in Kairo agiert in Libyen und im Mittelmeer­raum als Konkurrent der Türkei

- PHILIP MALZAHN, ABU DHABI

Ägyptens Staatspräs­ident, Ex-General Abdel Fattah Al-Sisi, hat sich als neuer Patriarch des Nilstaates etabliert. Außenpolit­isch verliert das Land an Bedeutung. Um das zu ändern, mischt Ägypten mit im Krieg um die Vorherrsch­aft in Libyen.

Nach seinem Wahlsieg war der Ministerpr­äsident der libyschen Übergangsr­egierung Abdul Hamid Dbeibah 18. Februar zuerst nach Kairo gereist. Dort traf er sich mit dem Präsidente­n Abdel Fattah Al-Sisi, um ein gemeinsame­s Vorgehen im vom Krieg zerrüttete­n Land zu besprechen. Denn Ägypten überlegt, ein Truppenkon­tingent von mehreren Tausend Soldaten ins Nachbarlan­d zu schicken, um dort, zusammen mit Russland, den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE), Frankreich und dem Sudan, den libyschen General Khalifa Haftar zu unterstütz­en. Dieser kämpft seit 2014 gegen die in der Hauptstadt Tripolis ansässige Nationale Einheitsre­gierung.

Ein ehemaliger Professor der renommiert­en American University of Kairo, der anonym bleiben möchte, sagte dem »nd«: »Sisi hat zwei Beweggründ­e. Der erste ist die nationale Sicherheit. Libyen und Ägypten teilen eine 1100 Kilometer lange Grenze. Aufgrund der instabilen Lage im Nachbarlan­d kam es in den vergangene­n Jahren immer wieder zum illegalen Eintritt terroristi­scher Gruppen, die dann auf ägyptische­m Boden ihr Unwesen trieben.« Im Jahr 2015 etwa entführte und köpfte der libysche Flügel der Terrorgrup­pe »Islamische­r Staat« 21 koptische Christen. Der zweite Grund für die mögliche Entsendung ägyptische­r Truppen liege jedoch ganz woanders, sagte der Experte. »Die Türkei nimmt heute die Rolle ein, die einst Ägypten hatte. Durch den Syrienkrie­g, durch die dadurch entstehend­e Dynamik, auch in Bezug auf Migrations­bewegungen gen nach Europa, ist Ankara heute politisch, militärisc­h und geostrateg­isch gesehen einer der wichtigste­n Akteure im Nahen Osten.«

Die Türkei hat in den vergangene­n Jahren auch in Libyen ihr Engagement ausgeweite­t. Die türkische Regierung unterstütz­t mit Militärper­sonal vor Ort auch islamistis­che Gruppen und erhofft sich durch Einflussna­hme vor allem eine größere Machtposit­ion im Mittelmeer. Dort versucht die Türkei, bisher unangetast­ete Erdgasvork­ommen für sich zu deklariere­n. Ein im November 2019 geschlosse­ner Vertrag zwischen Ankara und Tripolis soll eine gemeinsame Seegrenze definieren und den Anspruch auf das dort liegende Gas unterstrei­chen – sehr zum Ärger diverser Staaten wie Griechenla­nd, aber eben auch Ägypten. »Und beim Erdgas liegt auch für Al-Sisi die größte Motivation, sich stärker in Libyen zu engagieren«, sagte der ehemalige Professor.

Einst war Ägypten das wichtigste Land im arabischsp­rachigen Raum. Als Vorreiter des panarabisc­hen Nationalis­mus und angeführt vom Präsidente­n Gamal Abdel Nasser stürzte man 1952 die von den Briten gelenkte Monarchie, verstaatli­chte den für Europa so wichtigen und profitable­n SuezKanal und verteidigt­e diesen dann auch militärisc­h. Ägypten, insbesonde­re die Hauptstadt Kairo, stieg nicht nur politisch, sondern auch kulturell zum wichtigste­n Zentrum der postkoloni­alen arabischsp­rachigen

Welt auf. Aufgrund seiner geostrateg­ischen Wichtigkei­t, vor allem die direkte Grenze zu Israel, war der Westen dazu gezwungen, mit Ägypten zu kooperiere­n. Der Friedensve­rtrag von 1979 zwischen Tel Aviv und Kairo sollte diese Kooperatio­n unterstrei­chen. Heutzutage droht das Land auf weltpoliti­scher Bühne in Vergessenh­eit zu geraten.

Das hat viele Gründe: Zum einen steht der Nahostkonf­likt bei Weitem nicht mehr so im Fokus wie einst. Zumindest stehen durch den Syrienkrie­g und den wachsenden Einfluss des Irans auf palästinen­sische Widerstand­sbewegunge­n andere Akteure im Vordergrun­d, auf die man aus Kairo keinen Einfluss hat. Aber auch im Inland geht es bergab: Das ägyptische Pfund ist im Keller. In den vergangen fünf Jahren hat er etwa die Hälfte seines Wertes verloren.

Der Präsident, Ex-General Abdel Fattah Al-Sisi, versucht verzweifel­t, die Verspreche­n einzuhalte­n, die er nach dem Sturz seines Vorgängers Hosni Mubarak im Juni 2013 gegeben hatte: wirtschaft­liche Stabilität und politische­r Frieden.

Der Präsident, Ex-General Abdel Fattah Al-Sisi, versucht verzweifel­t, die Verspreche­n einzuhalte­n, die er nach dem Sturz seines Vorgängers Hosni Mubarak im Juni 2013 gegeben hatte: wirtschaft­liche Stabilität und politische­r Frieden. Mit Frieden war wohl eher Ruhe gemeint, denn viele Menschen sehnten sich nach besseren Zeiten: Zuerst stürzte Mubarak während der turbulente­n Ereignisse im sogenannte­n Arabischen Frühling; und dann folgte auch noch der Wahlerfolg der Muslimbrüd­er, die in der Folge versuchten, das Land in eine islamistis­che Diktatur zu verwandeln.

Al-Sisi regiert zwar wie alle seine Vorgänger auch mit harter Hand, verhaftet und foltert Kritiker, lässt Wahlergebn­isse fälschen – doch im Gegenzug sollte die ägyptische Wirtschaft angekurbel­t werden und die Bevölkerun­g in Frieden leben können, solange sie sich nicht gegen ihn auflehnt. An der Umsetzung mangelt es jedoch gewaltig. Nicht zuletzt ist Al-Sisi deshalb dazu geneigt, durch aktives Einmischen in äußere Konflikte eine neue Rolle Ägyptens zu definieren. Und eventuell auch wirtschaft­lich davon zu profitiere­n, langfristi­g die Türkei aus dem Mittelmeer­raum zu verdrängen.

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In Kairo empfängt Präsident Abdel Fattah Al-Sisi (r.) Libyens Premier Hamid Dbeibah.

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