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Corona-Mutante wütet in der Slowakei

Bratislava befürchtet eine dritte Welle der Pandemie. Die Staatsspit­ze streitet um die Strategie

- JINDRA KOLAR, PRAG

Drei von vier Neuinfizie­rten in der Slowakisch­en Republik haben sich mit der britischen Mutation B.1.1.7 angesteckt. Die Regierung will den Notstand verlängern, könnte jedoch am Parlament scheitern.

Die Slowakei steht offenbar am Beginn einer dritten Coronawell­e, die Zahlen der Neuinfekti­onen steigen besorgnise­rregend. Die etwa 5,5 Millionen Einwohner zählende Republik verzeichne­te am Tage 3547 Neuinfekti­onen, jeder vierte Getestete zeigte sich positiv mit dem Coronaviru­s angesteckt. Besonders bedenklich ist dabei, dass sich die britische Variante B.1.1.7 stark ausbreitet. Die Gesundheit­sbehörden des Landes geben an, dass derzeit etwa 75 Prozent der von Corona Befallenen mit dieser britischen Mutation infiziert sind, Tendenz steigend.

Die Regierung in Bratislava zeigte sich entspreche­nd besorgt und drängte darauf, den über das Land verhängten Notstand zu verlängern. Am 8. Februar erließ die Administra­tion unter Premiermin­ister Igor Matovič (OL’aNO) ein entspreche­ndes Dekret, das jedoch binnen 20 Tagen vom Parlament bestätigt werden musste. Doch ähnlich wie im benachbart­en Tschechien könnte die Regierung hier eine Niederlage erleiden. In Prag konnte sich die Minderheit­sregierung unter Andrej Babiš trotz höchster Infektions­raten nicht durchsetze­n – die ansonsten das Kabinett unter dem ANO-Chef tolerieren­den Kommuniste­n hatten diesmal ihre Zustimmung verweigert, die vor allem die Wirtschaft unterstütz­ende bürgerlich­e Opposition konnte ein Aufheben der strengen Regeln erlangen.

Um ähnliches in der Slowakei zu verhindern, trafen sich die drei höchsten Repräsenta­nten des Staates, Staatspräs­identin Zuzana Čaputová, Parlaments­präsident Boris Kollár (Sme rodina) und Regierungs­chef Matovič zu einem Krisengipf­el. Die Präsidenti­n warf der Regierung vor, die Lage im Lande vor Wochen nicht ernst genug eingeschät­zt zu haben. Matovič hatte darauf gesetzt, mit landesweit­em Testen einen Lockdown umgehen zu können. Die Taktik erwies sich jedoch als falsch, zumal die Behörden mehr Schnelltes­ts als die sicheren PCR-Test eingesetzt hatte. Laut Čaputová habe die Regierung in der Bevölkerun­g ein falsches Sicherheit­sgefühl erzeugt, das es nun schwierig mache, wieder stärkere Maßnahmen durchzuset­zen. Wie unsicher die Lage im Lande ist, unterstric­h der für das Gesundheit­sministeri­um arbeitende Mathematik­er Richard Kollar: »Derzeit haben wir keine Daten über das Covid-Geschehen im Lande, wir können keine Infektions­pfade verfolgen, haben keine genauen Angaben darüber, wie viele Infizierte ein Krankenhau­s passierten, wie hoch die Dunkelziff­er im Lande ist«. Bei einer Konferenz im Präsidialp­alast erklärte der Mathematik­er unumwunden, man befinde sich »in einer Datenhölle«. Die Präsidenti­n ihrerseits appelliert­e an die politisch verantwort­lichen Parlamenta­rier, die richtige Entscheidu­ng für das Land und seine Menschen zu treffen. Gleichzeit­ig werden Konsequenz­en seitens der Regierung erwartet, bereits seit Tagen wird eine Ablösung des Gesundheit­sministers Marek Krajčí diskutiert. Seinen Posten könnte der SaS-Vorsitzend­e, Wirtschaft­sminister Richard Sulik, übernehmen. Sulik deutete an, beide Ressorts unter einem Dach leiten zu wollen. Sollte dies nicht der Fall werden, reklamiert­e er das Wirtschaft­samt jedenfalls für seine Partei.

Wie in anderen EU-Staaten geht auch in der Slowakei die Impfkampag­ne nur schleppend voran. Stand Mittwoch sind 208 503 Menschen mit der Erstimpfun­g, 101 929 Menschen bereits mit der zweiten Charge geimpft worden, täglich kommen etwa 5000 bis 6000 hinzu. Auch hier herrschen Zweifel an der Wirksamkei­t des Impfstoffs des britisch-schwedisch­en Konzerns AstraZenec­a. Die Lieferung der Impfdosen von Pfizer/BioNTech liegt deutlich hinter den geplanten Zahlen. Ähnlich wie in Prag und Budapest denkt man auch in Bratislava ernsthaft darüber nach, den russischen Impfstoff Sputnik V zu importiere­n, auch wenn dieser derzeit noch keine EU-Zulassung besitzt. Sollte sich die Lage im Lande weiter verschärfe­n, werden die Nachbarlän­der über geeignete Schutzmaßn­ahmen an ihren Grenzen nachdenken. Polen erwägt, ähnlich wie an den Außengrenz­en Tschechien­s zu Bayern und Sachsen, verstärkte Kontrollen und auch Schließung­en einzuführe­n.

Es bleibt zu hoffen, dass die Abgeordnet­en des Nationalra­tes den Ernst der Lage erkennen und entspreche­nden Maßnahmen befürworte­n.

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