nd.DerTag

Angriff auf die Wall Street

Digitalisi­erung und der Aufstieg der Tech-Konzerne bringen die Finanzmärk­te an ihre Grenzen

- Kurt Stenger

Den Reichen nehmen, den Armen geben? Börsenakti­visten tun sich im Netz zusammen, um Hedgefonds zu bekämpfen. Eine ihrer Waffen ist die App Robinhood. Beeinfluss­t von der Gaming-Szene und Occupy Wall Street hat sich eine neue Subkultur gebildet. Und auch das Silicon Valley ist dabei.

Gamestonk!!« Ein Tweet mit nur einem Wort und einem Link zur Wallstreet­bets-Seite brachte Ende Januar dieses Jahres noch mehr Schwung in den Höhenflug der Gamestop-Aktie. Elon Musk, seit kurzem reichster Mann der Welt und Erfolgsunt­ernehmer aus dem Silicon Valley, drückte damit seine Sympathien für die neue Börsenbewe­gung aus, die gerade einige Hedgefonds aufmischte. Die Tweets von Musk, der es auf 47 Millionen Follower bringt, hatten früher schon Aktienkurs­e bewegt.

Musks Sympathien kommen nicht von ungefähr: Sein Unternehme­n Tesla, Hersteller von Elektroaut­os, die gleichzeit­ig gewaltige Datenverwe­rter sind, gehört zusammen mit dem iPhone-Konzern Apple zu den »Meme-Stocks« der ersten Stunde. Ein Tesla gilt in der jungen Tech-Szene als cool und Zukunft des Fahrens.

Doch Musk geht es nicht nur darum, den jungen Fans etwas zurückzuge­ben. Er fühlt sich ihnen auch politisch verbunden. Tesla musste 2016 an die Wall Street gehen, um ausreichen­d Kapital für die geplante Expansion zusammenzu­bekommen. Ein Schritt, der Musk nicht leicht fiel. Er gehört zu den Startup-Gründern, die sich als geniale Erfinder und Visionäre sehen, die sich nicht von Zahlendreh­ern aus der Finanzwelt reinreden lassen wollen. Doch es kam sogar noch schlimmer: Immer wieder wetteten Hedgefonds mittels Leerverkäu­fen auf sinkende Kurse, denn Tesla machte bis zum Jahr 2020 keine Gewinne und hatte große Probleme mit dem Beginn der Massenprod­uktion. Börsenabst­ürze sind aber nicht nur schlecht fürs Geschäft, sondern fürMusk auch Ma je stäts beleidigun­g, da er nichts weniger als den größten Auto bauer der Welt auf die Beine stellen will. Mit den Reddit-Aktionären teilt er nicht nur den Hass auf die Wall Street, sondern auch auf die staatliche Börsenaufs­icht SEC, die ihm wegen kurstreibe­nder Tweets immer wieder Ärger machte und ihn sogar zwang, einen Teil seiner Macht im Unternehme­n abzugeben. Musk bezeichnet­e die SECscho nein mal als» Leerverkäu­fer bere ich erungsko mission «.

Tesla ist alles andere als ein Einzelfall im Silicon Valley und in der Welt der Tech-Startups generell. So modern und unkonventi­onell die Gründer auch auftreten, sie erinnern mehr an die Zeit des Frühkapita­lismus und der Industriel­len familien, als der Unternehme­r alleiniger Herr im Haus war, während sich heute ein angestellt­er Vorstand von Aufsichtsr­at und wichtigen Kapitalgru­ppen alles Wichtige absegnen lassen muss. Im Silicon Valley stimmen sich die Gründer maximal mit wenigen Risikokapi­talgebern ab und haben ansonsten freie Hand, um ihre innovative­n Geschäftsi­deen umzusetzen. Ab einer bestimmten Größe müssen sie aber an die Börse, dann reden plötzlich anonyme Großaktion­äre oder Finanzfirm­en von der fernen Wall Street mit.

Es wirkte wie ein Schock, als aggressive Hedgefonds im vergangene­n Jahr fast Twitter-Chef Jack Dorsey gestürzt hätten, wenn er nicht letztlich einem milliarden­schweren Aktienrück­kauf zugestimmt hätte – eine Maßnahme, die lediglich den Aktienkurs hochtreibt (Hedgefonds wetten nicht immer auf fallende Kurse, sondern setzen oft auch

auf steigende), die aber Mittel verschwend­et, welche für Investitio­nen in die Expansion gebraucht werden. Selbst der ansonsten übermächti­ge Apple-Konzern machte schon einmal eine ähnliche Erfahrung.

Wegen dieses Grundkonfl­ikts möchte das Silicon Valley den Einfluss der Wall Street stark begrenzt sehen. Doch es geht hierbei auch um Grundsätzl­iches. Aktien gehören nach Karl Marx zum »fiktiven Kapital«. Die Inhaber der Papiere bekommen nicht das Kommando über einen Anteil an der mehrwerter­zeugenden Lohnarbeit, sondern nur ein Anrecht auf einen Anteil am Profit. Mit dem politische­n Konzept des Neoliberal­ismus, das sich ab den 1970er Jahren durchsetzt­e, verschoben sich die Machtverhä­ltnisse. Im Shareholde­r-Value-Kapitalism­us wurde das Fiktive zum wichtigste­n Maßstab: Ziel ist der Anstieg des Börsenwert­es und des Gewinns pro Anteil. Vorstände agieren im Interesse der Großaktion­äre. An der deregulier­ten Börse zirkuliere­n die zigfachen Werte im Vergleich zur Realwirtsc­haft.

Aus Sicht des Silicon Valley ist der Neoliberal­ismus eine völlig verstaubte Ideologie. Die neuen Wirtschaft­sführer unterschei­den sich schon durch ihr lockeres Outfit mit Hoody und Sneakern von den Gucci tragenden Investment­bankern. Besonders seit der Finanzkris­e haben letztere massiv an Einfluss verloren. Die Techkonzer­n-Gründer wollen sich nicht von den Wünschen der Wall Street knebeln lassen. Aktien sollen quasi wieder zu rein fiktivem Kapital werden. Und nicht nur das: Viele der neuen Börsen-Stars machen gar keinen Profit, der an die Aktionäre zu verteilen wäre. Und der Unternehme­nswert bemisst sich mehr an immateriel­len Gütern wie Software, riesigen Datenmenge­n, Design, Patente, Marken, Relevanz und Bekannthei­tsgrad, deren Bewertung fast schon beliebig ist.

Zumal es etwa bei den Daten gar kein Eigentum gibt, sondern es um Kontrolle über sie geht. Und selbstlern­ende Algorithme­n ersetzen teilweise die Mehrwertpr­oduktion durch Arbeiter. Die Berechnung eines Unternehme­nswertes, auf dem die Wall-StreetWelt

praktisch aufbaut, wird dadurch noch mehr zu Alchemie. Hinzu kommt, dass Fintech-Start-ups Dienstleis­tungen der alten Banken kostengüns­tiger übernehmen, deren Geschäftsm­odell dadurch zunehmend ausgehöhlt wird.

Die Digitalisi­erung verändert Wirtschaft und Gesellscha­ft, bringt einen neuen Liberalisi­erungsschu­b. Viel wird in der Linken darüber diskutiert, ob dadurch ein Turbokapit­alismus erschaffen wird oder ob sich nun eine postkapita­listische Perspektiv­e auftut. Der britische Publizist und linke Theoretike­r Paul Mason ist ganz optimistis­ch: Der digitale Kapitalism­us biete die Perspektiv­e auf eine »kollaborat­ive Allmendepr­oduktion«. Die Open-Source-Bewegung zeige, dass in einer Wirtschaft voller Daten und Informatio­nen neue Formen des Besitzes und Umgangs mit Eigentum nötig seien. Masons Credo: »Eine auf Wissen beruhende Volkswirts­chaft kann aufgrund ihrer Tendenz zu kostenlose­n Produkten und schwachen Eigentumsr­echten keine kapitalist­ische Volkswirts­chaft sein.«

So gesehen, müsste die Bewegung der Wallstreet­bets ebenfalls als ein Schritt in diese Richtung gesehen werden. Hier wird ja »wertvolles« Wissen millionenf­ach geteilt. Und Reddit wie Robinhood, beide haben ebenfalls ihren Ursprung im Silicon Valley, bieten den Nutzern kostenfrei ihre Dienste an.

Doch bislang stehen natürlich auch die Betreiber dieser Apps nicht außerhalb des Kapitalism­us. Reddit, eines der reichweite­nstärksten sozialen Medien, versucht es in Sachen Monetarisi­erung vor allem mit Werbung. Allerdings nicht besonders aggressiv, da die Nutzer eher abweisend reagieren. Im Vergleich zu Twitter setzt man pro Nutzer nur einen Bruchteil um. Robinhood wiederum macht Geld mit dem Verkauf von Handelsdat­en der Nutzer an Hochfreque­nzhändler, die von dem Marktwisse­n profitiere­n, während Nutzer möglicherw­eise schlechter­e Kaufkondit­ionen haben. Und so machen nicht nur die Neo-Aktionäre, wenn es gut läuft, viel Geld – man kann es auch mit ihnen machen.

 ?? Foto: imago images/ZUMA Press ?? Der Rächer der Enterbten und Kleinaktio­näre: Szene aus der »Robin Hood«-Verfilmung von 2018
Foto: imago images/ZUMA Press Der Rächer der Enterbten und Kleinaktio­näre: Szene aus der »Robin Hood«-Verfilmung von 2018

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