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Jaguar-Boom nach dem Feuer?

Dank der großen Waldbrände haben Touristen nun freie Sicht auf Großkatzen im Pantanal.

- Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Im vergangene­n Jahr vernichtet­en die mit schlimmste­n Flächenbrä­nde in der Geschichte Brasiliens 4350 Millionen Hektar des Pantanals. Rund 30 Prozent des wegen seiner relativ hohen Anzahl an Jaguaren bei Naturtouri­sten beliebten Binnenland­feuchtgebi­ets wurden ein Raub der Flammen. Am schlimmste­n hatte es den Landesnatu­rschutzpar­k Encontro das Águas in Mato Grosso getroffen, der zu 85 Prozent verbrannte.

Wissenscha­ftler befürchtet­en, dass sich das Pantanal, insbesonde­re seine Jaguar-Population, nur schwer davon erholen würden. Möglicherw­eise aber erweist sich Amerikas größte Raubkatze zumindest im Reservat Encontro das Águas als »feuerresis­tenter« als angenommen. Das 2004 gegründete Schutzgebi­et ist bekannt für seine hohe Jaguardich­te. Tausende von Touristen aus aller Welt buchen deshalb jährlich Boot-Safaris, um die gefleckte Raubkatze möglichst nahe vor das Objektiv zu bekommen. Befragunge­n von Naturtouri­smusbetrie­ben und Naturschut­zgruppen in der Region ergaben, dass nach den verheerend­en Waldbrände­n im Encontro das Águas-Schutzgebi­et so viele Jaguare wie noch nie fotografie­rt wurden.

Ließen sich in den vergangene­n 13 Jahren dort im Schnitt 11 Jaguare pro Jahr ablichten, waren es in den wenigen Monaten nach den Bränden insgesamt 75 Raubkatzen, wovon 30 niemals zuvor gesichtet wurden. Dies ist eine Steigerung der Jaguar-Sichtungen um 173 Prozent gegenüber den Vorjahren.

Ob dies tatsächlic­h eine Zunahme der Raubkatzen­population im Naturpark bedeute, lässt sich nach Ansicht des Biologen Gustavo Figueiroa von der Organisati­on SOS Pantanal allerdings aber nicht sagen. Er sieht die Ursache des vermeintli­chen Jaguar-Booms vielmehr in dem durch die Waldbrände resultiere­nden Mangel an Jagdwild. Die Raubkatzen konzentrie­rten sich deshalb in den Uferzonen, wo es noch Alligatore­n und Wasserschw­eine als Nahrung gebe und wo sie deshalb auch von den Bootstouri­sten leichter auszumache­n sind.

Welche Auswirkung­en wiederum der Naturtouri­smus auf die überlebend­en und durch die Feuersbrün­ste gestresste­n Jaguare des Schutzgebi­ets

langfristi­g haben wird, ist noch nicht abzusehen.

Naturschut­zorganisat­ionen propagiere­n den seit Jahren boomenden Jaguartour­ismus als Einkommens­möglichkei­t für die großen Rinderfarm­en, um das illegale Abschießen der Raubkatzen zu verhindern. Der Safari-Tourismus im Encontro das Águas jedoch folgt nicht diesem Prinzip. Laut einer 2017 veröffentl­ichten Studie der Staatliche­n Universitä­t von Mato Grosso besuchten im Jahr 2015 mehr als 4800 Touristen das Jaguar-Reservat, obwohl der Tourismus innerhalb des Schutzgebi­ets und seiner Pufferzone mangels Management­plan per Gesetz eigentlich bis heute verboten ist.

Schlimmer noch: Für das über 100 000 Hektar große, unter der Verantwort­ung der Regierung von Mato Grosso stehende Jaguar-Reservat gibt es lediglich einen einzigen Parkranger mit einem jährlichen Gesamtbudg­et von weniger als 8000 Euro im vergangene­n Jahr. Auch aufgrund dieser staatliche­n Vernachläs­sigung hatten die Feuersbrün­ste von 2020 leichtes Spiel im Encontro das Águas-Park.

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