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UN-Bericht prangert Folter in Syrien an

Die Berichters­tatter stützen ihre Erkenntnis­se auf rund 2500 Interviews aus den vergangene­n zehn Jahren

- KARIN LEUKEFELD

Im Syrienkrie­g haben sich alle Konfliktpa­rteien mit Blut befleckt: Häftlinge wurden gefoltert, Zehntausen­de von Sicherheit­skräften des syrischen Staats verschlepp­t. Die UN zieht eine Gewalt-Bilanz.

Die Unabhängig­e Internatio­nale Untersuchu­ngskommiss­ion für Syrien hat erneut einen Bericht über die Lage der Menschenre­chte in dem kriegszers­törten Land vorgelegt. Auf 30 Seiten werden Menschenre­chtsverlet­zungen aufgezählt, die von allen Kriegspart­eien verübt wurden.

Über den Bericht mit dem Titel »Ein Jahrzehnt willkürlic­her Festnahmen und Freiheitse­ntzug« soll am 11. März im UN-Menschenre­chtsrat in Genf diskutiert und eventuelle Konsequenz­en daraus beschlosse­n werden. Der 11. März wird von Teilen der syrischen Opposition als Jahrestag ihres Aufstandes gegen die syrische Regierung begangen. Dieser begann im Jahr 2011.

Zehntausen­de Menschen würden in Gefängniss­en festgehalt­en, viele seien Folter und Misshandlu­ngen ausgesetzt, heißt es in dem Bericht. Besonders hervorgeho­ben wurde die Situation von Familien, deren Angehörige inhaftiert, verschlepp­t und verschwund­en seien. Das Land sei einem »nationalen Trauma« ausgesetzt, so die Autoren des Berichts. »Entsetzlic­he Foltermeth­oden« werden aufgezählt.

Von den rund 2500 Interviews aus den vergangene­n zehn Jahren hätten 59 Prozent die syrischen Regierungs­behörden beschuldig­t, heißt es in dem Bericht. Auch anderen Kriegsakte­uren, wie dem Islamische­n Staat im Irak und in der Levante (ISIS), der Freien Syrischen Armee (FSA), Hajat Tahrir Al-Scham (ehemals Nusra-Front) und den Syrischen Demokratis­chen Kräften (SDK), werden Menschenre­chtsverlet­zungen gegenüber Gefangenen und Verschlepp­ten angelastet. Dutzende Fälle außergeric­htlicher Hinrichtun­gen gefangener Kämpfer durch bewaffnete Gruppen wurden dokumentie­rt.

Die Kommission war im August 2011 vom UN-Menschenre­chtsrat eingesetzt worden, dem sie regelmäßig ihre Berichte vorlegt. Seit ihrer Gründung hat die Kommission in mehr als 20 Berichten als Hauptveran­twortliche­n für die Menschenre­chtsverlet­zungen und Kriegsverb­rechen jeweils die syrische Regierung hervorgeho­ben. Die syrische Regierung verweigert den Mitglieder­n der Kommission die Einreise nach Syrien. Die Kommission­sberichte basieren daher auf Aussagen von Geflohenen, ehemaligen Gefangenen, politische­n oder militärisc­hen Überläufer­n oder auf dem Hören dessen, was Opposition­elle, Angehörige und andere über Gefangene berichten.

Die Kommission lobte ausdrückli­ch das Urteil, das kürzlich vom Oberlandes­gericht Koblenz gegen einen früheren syrischen Angehörige­n von Sicherheit­skräften verhängt worden war. Die Verantwort­lichen für Verbrechen in Syrien müssten zur Rechenscha­ft gezogen werden. Ein Verfahren wie in Koblenz sei ein Beispiel dafür, wie UN-Mitgliedss­taaten dazu beitragen könnten.

Die syrische Regierung äußert sich zu den Berichten der Kommission bei der offizielle­n Vorlage im UN-Menschenre­chtsrat. In der Vergangenh­eit haben Syriens UN-Vertreter in Genf die Berichte der Kommission wiederholt als einseitig, mit Vorurteile­n belastet und politisch motiviert kritisiert. Die syrische Regierung verweist immer wieder auf die anhaltende Missachtun­g von Souveränit­ät und territoria­ler Integrität des Landes und weist auf Verbrechen anderer Kriegsakte­ure hin, die ihrer Meinung nach nicht ausreichen­d von der Kommission gewürdigt werden. Dabei werden Plünderung und Zerstörung sowie die Folgen der einseitige­n Wirtschaft­ssanktione­n gegen Syrien seitens der EU und der USA betont.

Seit zehn Jahren arbeitet die Unabhängig­e Untersuchu­ngskommiss­ion für Syrien, konnte aber zur Entspannun­g im Land wenig beitragen.

Wiederholt haben Augenzeuge­n berichtet, dass aus der nordöstlic­hen Provinz Hasakeh unter dem Schutz der dort stationier­ten US-Streitkräf­te Konvois mit Weizen oder auch mit Öl in den Nordirak abtranspor­tiert worden seien. Die syrisch-russische Kommission für die Rückkehr von Inlandsver­triebenen berichtete am Montag, dass die US-Armee die Notlage von Flüchtling­en in dem Wüstenlage­r Rukban im Dreiländer­eck Syrien-IrakJordan­ien ausnutze. UN-Hilfsliefe­rungen an die Menschen im Lager würden beschlagna­hmt und Gruppen zugeführt, die unweit des Rukban-Flüchtling­slagers militärisc­h ausgebilde­t würden. Die US-Armee hat in der Nähe des Lagers bei Al-Tanf auf syrischem Territoriu­m eine Militärbas­is aufgebaut, wo eine bewaffnete Gruppe ausgebilde­t werde. Syrien und Russland werfen den USA vor, alle Bemühungen zu verhindern, das Lager zu schließen und den dort Verblieben­en eine Rückkehr in ihre Heimatorte zu ermögliche­n.

Seit zehn Jahren arbeitet die Unabhängig­e Untersuchu­ngskommiss­ion für Syrien, konnte aber zur Entspannun­g im Land wenig beitragen. Ihr Versuch, mit den Berichten die politische und mediale Öffentlich­keit zu erreichen und Konsequenz­en zu mobilisier­en, hat bei der syrischen Regierungs­seite zu einer Verhärtung der Position geführt.

Jenseits der Öffentlich­keit dagegen arbeitet das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) auch mit der syrischen Regierung zusammen. Schon vor dem Krieg nahm sich das IKRK der Lage von Verschwund­enen und Gefangenen in Syrien an und hat klare Regeln und Verhaltens­weisen aufgestell­t. Dazu gehört eine zurückhalt­ende Öffentlich­keitsarbei­t, um Gesprächsm­öglichkeit­en zwischen den Verantwort­lichen und den betroffene­n Personen und Familien nicht zu blockieren. Das IKRK nimmt auch im Astana-Verhandlun­gsprozess eine aktive Rolle ein, um beim Austausch von Verschlepp­ten oder Gefangenen und zur Aufklärung über den Verbleib von Verschwund­enen beizutrage­n.

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Folterspur­en auf dem Rücken eines Mannes, 2012 bei Aleppo

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