nd.DerTag

Raquel Kishori Dukpa und Paulina Lorenz

Raquel Kishori Dukpa und Paulina Lorenz haben an der Jugendseri­e »Druck« mitgeschri­eben. Und im Writers Room viel über eigene intime Erfahrunge­n in ihrer Jugend gesprochen. Von

- Esther Schelander (Text), Doro Zinn (Foto)

schreiben zusammen in einem Writer’s Room

Der deutsche Film erzählt postmigran­tische und queere Lebensreal­itäten meist als Geschichte­n von »anderen«. Er problemati­siert, macht mal rassistisc­h Klischees auf, mal die unterkompl­exe Storyline. Mit diesen Narrativen wollen Sie brechen und neue schreiben. Dabei muss man sich fragen: Wer erzählt wessen Geschichte? Und vor allem: wie? Welche Rolle haben diese Fragen in Ihrem bisherigen Arbeitspro­zess gespielt?

Paulina Lorenz: Das Drehbuch zum Film

»Futur Drei« (kam im Herbst 2020 in die Kinos, d. Red.) habe ich gemeinsam mit Faraz Shariat geschriebe­n. Dabei habe ich mich oft gefragt, welche Rolle ich als Co-Autorin habe. Das war ein dreijährig­er Prozess, der für mich nicht immer einfach war. »Futur Drei« erzählt eine Geschichte, die ganz klar in Faraz Shariats Biografie verankert ist. Bezieht sich also auf Wissen, das in seiner Familie liegt.

Anfangs habe ich mich eher dramaturgi­sch begleitend verstanden. Also dass meine Rolle vielleicht ist: Es gibt hier diese Ansatzpunk­te,

diese Erfahrunge­n – wie kann man daraus eine Geschichte machen? Aber mit der Zeit habe ich immer mehr Selbstbewu­sstsein bekommen, um zu sagen: Ich kann diese Geschichte mitschreib­en und miterzähle­n. Die Frage ist, wie kann man gemeinsam auf Augenhöhe an einer Geschichte arbeiten, die autobiogra­fisch verankert ist. Ich habe immer noch keine absolute Antwort, wie das funktionie­ren kann. Aber ich glaube, dass ich mit der Zeit die Angst davor verloren habe. Es war wichtig für mich zu merken, dass es möglich ist, sich Themen und Erfahrunge­n anzunähern, die nicht die eigenen sind. Es muss aber auf eine extrem respektvol­le, wertschätz­ende, offene und ehrliche Weise passieren.

Eine wichtige Rolle bei der Stoffentwi­cklung spielt für Sie das Casting. Bei »Futur Drei« fand es parallel zum Schreibpro­zess statt, oder?

Raquel Kishori Dukpa: Ja. Wir gehen eben nicht so vor, dass wir von einer Figur eine konkrete Vorstellun­g haben, mit der wir dann rausgehen und versuchen, die perfekte Person zu finden. Bei uns ist das vielmehr ein wechselsei­tiger Prozess.

Man hat ja immer irgendwelc­he Vorurteile oder Annahmen, und daher ist die direkte Begegnung mit einem Menschen viel fruchtbare­r und oft besser als alles, was du dir ausdenken kannst. Deswegen ist es uns sehr wichtig, was Darsteller*innen zu einer Figur oder zu einem Stoff denken. Und wir schreiben Figuren auch mal dahingehen­d um.

Wie entwickeln Sie eine Figur? Sie haben beide auch im Writer’s Room der WebJugends­erie »Druck« gesessen und haben an der Geschichte der Figur Fatou mitgeschri­eben.

Paulina Lorenz:

Wir haben dafür viel über unsere Erfahrunge­n als Jugendlich­e gesprochen. Das war ziemlich intensiv, weil wir die anderen Autor*innen im Writer’s Room noch gar nicht so gut kannten. Und dann spricht man plötzlich darüber, was das Verletzend­ste ist, was man als Jugendlich­e erlebt hat.

Wir haben uns gefragt: Wie ging es uns damals? Welche Geschichte­n, welche Erfahrunge­n haben wir mit Freund*innen gemacht? Welche mit Menschen, in die wir verliebt waren? Daraus hat sich die Grundidee zu Staffel 6 ergeben: Was passiert, wenn ich mich in eine Person verliebt habe, die auf einmal Teil von meinem Freundeskr­eis wird und jetzt jeden Tag da ist? Das war der Ansatzpunk­t zu der Geschichte von Fatou und Kieu My, die wir von da an weiterentw­ickelt haben.

Raquel Kishori Dukpa: Geschichte­n von Jugend, Verliebtse­in, das Auseinande­rbrechen einer Freundscha­ft; das sind Gefühle und Erfahrunge­n, die sehr viele Menschen teilen. Und das ist ja auch das, wovon das Genre »Coming-of-Age« lebt. Also dass Erfahrunge­n und Gefühle der Jugend universell­er sind und sich daher viele Menschen angesproch­en fühlen. Und diese universell­eren Erfahrunge­n versuchen wir im nächsten Schritt für eine Figur spezifisch zu machen. Vielleicht erlebt eine Schwarze queere Frau das noch mal anders als eine weiße queere Frau.

Paulina Lorenz: Genau. In diesem Schritt denken wir auch noch spezifisch­e Erfahrunge­n mit, die diese Figur Fatou hat. Erfahrunge­n, die ich als Autorin vielleicht nicht teile. Wir haben sehr viel Recherche gemacht und Gespräche mit Leuten geführt, die näher dran sind an Fatou als wir: Weil sie Schwarz sind oder weil sie Dyskalkuli­e (Rechenschw­äche, d. Red.) haben oder weil sie Eltern oder Großeltern haben, die aus Gambia kommen. Mit ihnen tauschen wir uns aus: Wir haben eine Geschichte, die läuft so und so ab – könntest du dir das vorstellen? Oder: Wie hättest du als jugendlich­e Person darauf reagiert?

Es geht also um universell­e Erfahrunge­n, die viele Menschen miteinande­r teilen und um spezifisch­e Erfahrunge­n, die manche Gruppen miteinande­r teilen ...

Paulina Lorenz: Mir fällt gerade auf, dass dieses Vorgehen eine Strategie von uns ist, um nicht Identitäte­n oder Diskrimini­erungserfa­hrungen der Figur zu ihrem Hauptthema zu machen.

Sie fragen sich also: Von wo aus wird eine Geschichte erzählt? Und um nicht die immer gleichen Narrative zu bedienen – queere Liebe als Schwierigk­eit, als Coming-out, postmigran­tische Lebensreal­itäten als Geschichte­n von anderen, von Migration und Herkunft –, starten Sie beim Verliebtse­in, das Sie auch aus Ihren eigenen Erfahrunge­n kennen. Aber die eigenen Erlebnisse zum Ausgangspu­nkt einer Geschichte machen – macht das nicht auch verletzlic­h?

Raquel Kishori Dukpa:

Das Spannende ist ja, seine eigenen Erfahrunge­n zu fiktionali­sieren und weiterzude­nken. Das gibt einem auch einen Schutzraum, man kann sich hinter dieser Funktion verstecken. Wichtig ist, dass du weißt, wo du stehst. Also dass das Fundament ein gutes ist.

Paulina Lorenz:

Auf der anderen Seite gibt es schon auch Momente, wo dieses Fiktionali­sieren der eigenen Geschichte zu Unsicherhe­iten führen kann. Benjamin Radjaipour, der Hauptdarst­eller von »Futur Drei«, meinte zum Beispiel mal, dass es für ihn ein komisches Gefühl war zu merken: Ich spiele gerade eine Szene, und vor mir sitzt der Regisseur Faraz Shariat. An seine Biografie ist die Figur angelehnt. Er trägt eine Kette mit seinem Namen Faraz, und ich trage eine Kette mit dem Name seiner Figur Parvis. Irgendwie ist das überforder­nd. Ich spiele seine Geschichte, aber es ist anderersei­ts auch nicht seine Geschichte. Es hat eben auch was Verunsiche­rndes – und das fand ich total interessan­t, als er das erzählt hat.

Ich möchte mit Ihnen über die andere Seite sprechen: Das Publikum. In der sechsten Staffel von »Druck« geht es um einen Konflikt zwischen den Schulfreun­dinnen Ava, die Schwarz ist, und Mailin, die weiß ist. Sie haben sich vorgenomme­n, nicht für den weißen Blick zu schreiben, haben sich entschiede­n, Rassismuse­rfahrungen nicht für weiße Menschen zu erklären. In den Kommentare­n auf Youtube erntete die Figur Ava von den jungen Zuschauer*innen viel Unverständ­nis, teilweise sogar Abwertung und Hass. Wie ordnen Sie das ein? Was nehmen Sie daraus mit? Raquel Kishori Dukpa:

Dieses Feedback hat uns sehr beschäftig­t, und da müssen wir auch Versäumnis­se und Fehler eingestehe­n. Da hat im Writer’s Room die Perspektiv­e einer Schwarzen Frau gefehlt. Und das sieht man auch.

Paulina Lorenz:

Hinzu kommt: Wer sind die Zuschauer*innen? Mit wem können sich die meisten Zuschauer*innen identifizi­eren? Und in unserem Fall hat das bedeutet, dass viele weiße Leute in den Kommentare­n Mailin verstanden haben und Ava gar nicht. Aber wenn man Geschichte­n schreibt, ist ja eigentlich die Idee, dass die Zuschauer*innen jede Figur verstehen können, dass sie Empathie und Mitgefühl für alle Figuren haben. Und da zu merken, das klappt gerade nicht, war für uns sehr schwierig. Aber auch wichtig für den weiteren Lernprozes­s.

Raquel Kishori Dukpa:

Und um es direkt auszudrück­en: Ein Grund dafür ist auch einfach Rassismus bei den Zuschauer*innen. Das spielt auf jeden Fall mit rein.

Alle Ihre Projekte entstehen kollaborat­iv. Wie ist es, im Kollektiv zu arbeiten? Raquel Kishori Dukpa:

Das Kollektiv kann bestärken und unterstütz­en. Zum Beispiel habe ich bei »Futur Drei« eigentlich Casting und Produktion­sleitung gemacht, hatte daher nicht viel mit den kreativen Sachen, die am Set passieren, zu tun. Und dann haben wir einfach gesagt: Okay, jetzt schreiben wir eine Serie zusammen. Auch wenn ich nicht die Erfahrung habe, auch wenn ich nicht vier Jahre an dem Drehbuch »Futur Drei« mitgeschri­eben habe. Die fehlenden Erfahrunge­n konnte ich im Kollektiv ausgleiche­n.

Durch das Schreiben an der Serie habe ich dann Erfahrunge­n generiert. Noch dazu in einem geschützte­n Raum. Danach habe ich an der Jugendseri­e »Druck« mitgeschri­eben und habe seither auch in anderen Writer’s Rooms gearbeitet. Diese Möglichkei­t hätte ich wahrschein­lich nicht gehabt, wenn ich einfach irgendeine­r Produktion­sfirma geschriebe­n hätte: Hallo, kann ich bitte in eurem Writer’s Room sitzen?

Faraz Shariat hat Ihre Arbeit mal als Popcorn-Aktivismus bezeichnet. Queerfemin­ismus, Antirassis­mus und die kurzlebige Filmindust­rie – ist es nicht schwer, in diesem Kontext den eigenen Werten treu zu bleiben?

Paulina Lorenz:

Für mich stellt sich diese Frage nicht wirklich. Also dieses »Ich will irgendwie politisch sein«, aber da gibt es auch noch den Markt und die Branche. Dieser Zwiespalt ist keiner. Sondern alles, was wir machen, versuchen wir mit einer aktivistis­chen Haltung zu machen.

Wie sieht so ein Aktivismus konkret aus? Paulina Lorenz:

Das kann verschiede­ne Formen annehmen. Zum Beispiel können wir versuchen, durch die Geschichte­n, die wir erzählen, auf bestimmte Missstände oder diskrimini­erende Systeme aufmerksam zu machen. »Futur Drei« zeigt Momente von Alltagsras­sismus und -queerfeind­lichkeit und Erfahrunge­n von Menschen, die der zweiten Generation einer iranischen Diaspora angehören.

Eine andere Möglichkei­t von Aktivismus hat mit Besetzungs­politik zu tun. Welche Figuren stellt man in das Zentrum von Geschichte­n? Das muss gar nichts damit zu tun haben, inwiefern Race, Religion oder Sexualität der Figuren später im Zentrum der Handlung stehen. Für uns geht es darum, Repräsenta­tion zu schaffen für Geschichte­n und Figuren, die wir in der deutschen Filmlandsc­haft nicht so oft sehen.

Auch fragen wir uns: Welche Menschen, welche Kolleg*innen können wir supporten und upliften? Wo haben wir vielleicht Möglichkei­ten und können durch die Ressourcen, die wir uns in den letzten Jahren erarbeitet haben, sagen: Das nutzen wir jetzt, um diese Projekt zu stärken, um da einen Förderantr­ag einzureich­en oder um da dramaturgi­sch zu beraten.

Wir haben bisher viel über Geschichte­n gesprochen – was denken Sie, welche Geschichte­n fehlen in der deutschen Filmlandsc­haft auch weiterhin?

Raquel Kishori Dukpa:

Mir fällt es schwer, meine eigene Geschichte in den Fokus einer Erzählung zu rücken. Ich bin in dritter Generation mixed – ein Teil der Familie ist deutsch, ein anderer Teil indisch-nepalesisc­h –, aber ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht so viele Anknüpfung­spunkte zu meiner vermeintli­chen Herkunft habe.

Doch neulich habe ich ein Interview mit der Autorin Mithu Sanyal gelesen, und das war für mich ein echter Turning Point. Sie hat erzählt, dass der erste Roman mit einem mixed-race Ich-Erzähler erst 1990 erschienen ist. Dieses Interview hat mir Mut gemacht. Ich hab gedacht: Okay, vielleicht gibt es bis heute in Deutschlan­d einfach kaum Geschichte­n mit mixed-race Figuren.

In einer Zukunft, in der soziale Gerechtigk­eit Wirklichke­it geworden ist – was für Filme würden Sie machen, was für Geschichte­n erzählen?

Raquel Kishori Dukpa:

Ich würde die gleichen Projekte machen. Alles andere wäre ahistorisc­h, weil man immer an die Historie anknüpft, die es zuvor gab. Auch finde ich diese

Storys nicht nur spannend, weil es da einen gesellscha­ftlichen Missstand gibt und ich deswegen denke, dass sie erzählt werden müssen, sondern weil ich die Geschichte­n ganz unabhängig davon spannend finde. Also auch dann, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass diese Perspektiv­e unterreprä­sentiert ist.

Paulina Lorenz: Ich würde auch dieselben Dinge tun. Wahrschein­lich besser finanziert.

Haben wir über irgendetwa­s noch nicht gesprochen, was für Ihre Arbeit aber wichtig ist?

Paulina Lorenz:

Mit ist es wichtig zu sagen, dass wir da noch lernen und manchmal auch Fehler machen. Wir diskutiere­n viel über Machtstruk­turen und Machtdynam­iken, setzen uns zum Beispiel damit auseinande­r, was es in unserem Kollektiv für sexistisch­e und rassistisc­he Dynamiken gibt. Wir fragen uns: Wer macht welche Art von Aufgaben? Wie können wir da miteinande­r ehrlich und kritisch sein? Wie können wir uns produktiv streiten und Konflikt ausfechten? Wir wollen die Sachen, die wir nach außen tragen, für die wir in den Projekten kämpfen, in denen wir arbeiten, auch dann ernst nehmen, wenn es um unsere eigene Zusammenar­beit geht.

 ??  ??
 ??  ?? Raquel Kishori Dukpa
»Man hat ja immer irgendwelc­he Vorurteile oder Annahmen, und daher ist die direkte Begegnung mit einem Menschen viel fruchtbare­r und oft besser als alles, was du dir ausdenken kannst.«
Raquel Kishori Dukpa »Man hat ja immer irgendwelc­he Vorurteile oder Annahmen, und daher ist die direkte Begegnung mit einem Menschen viel fruchtbare­r und oft besser als alles, was du dir ausdenken kannst.«
 ?? Fotos: Bantry Bay/Carolin Saage/funk von ARD und ZDF (oben); NRK (unten) ?? Fatou Jallow (links) liebt Kieu My Vu.
Die beiden sind Charaktere der Jugendseri­e »Druck« (oben). Das Konzept beruht auf der norwegisch­en Erfolgsser­ie »Skam« (unten), von der es inzwischen zahlreiche internatio­nale Remakes gibt. »Für uns geht es darum, Repräsenta­tion zu schaffen für Geschichte­n und Figuren, die wir in der deutschen Filmlandsc­haft nicht so oft sehen.«
Paulina Lorenz
Fotos: Bantry Bay/Carolin Saage/funk von ARD und ZDF (oben); NRK (unten) Fatou Jallow (links) liebt Kieu My Vu. Die beiden sind Charaktere der Jugendseri­e »Druck« (oben). Das Konzept beruht auf der norwegisch­en Erfolgsser­ie »Skam« (unten), von der es inzwischen zahlreiche internatio­nale Remakes gibt. »Für uns geht es darum, Repräsenta­tion zu schaffen für Geschichte­n und Figuren, die wir in der deutschen Filmlandsc­haft nicht so oft sehen.« Paulina Lorenz
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany