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Theater in der Krise

An den Bühnen folgt ein Skandal dem anderen. Ein Symptom ihres ökonomisch­en Dilemmas?

- ERIK ZIELKE

Die Theater – sieht man von kurzen kulturelle­n Intermezzi ab – sind seit Mitte März letzten Jahres unbespielt. Und trotzdem herrschte selten so viel mediale Aufmerksam­keit für die Arbeit auf und hinter den Bühnen im deutschspr­achigen Raum wie in den vergangene­n Monaten. Ein Skandalgew­itter ist ausgebroch­en. Klaus Dörr, gerade noch als Retter der Berliner Volksbühne gerühmt, die durch das jähe politisch gewollte Ende der Intendanz Frank Castorfs in die Krise geraten war, hat schnell seinen Platz als Leiter des Theaters in Berlin-Mitte geräumt. Zuvor waren Anschuldig­ungen der sexuellen Belästigun­g bekannt geworden. Die berechtigt­e Aufregung war kaum verklungen, als Berichte von rassistisc­hen Probensitu­ationen am Düsseldorf­er Schauspiel­haus an die Öffentlich­keit gelangten. Weitere Bühnen auf der langen Liste der erst kürzlich in Verruf geratenen Spielstätt­en: Staatsthea­ter Karlsruhe, das Burgtheate­r in Wien, das Staatsball­ett und das Theater an der Parkaue in Berlin, um nur einige zu nennen.

Jüngstes Beispiel für die Krisenhaft­igkeit der gesamten Institutio­n ist das Berliner Maxim-Gorki-Theater: Die Intendanti­n Shermin Langhoff, deren Vertrag erst kürzlich bis ins Jahr 2026 verlängert wurde, soll massiven Druck auf die Angestellt­en des von ihr geleiteten Hauses ausgeübt haben. Von einem autoritäre­n Herrschaft­sstil und cholerisch­en Ausbrüchen Langhoffs war in der »Süddeutsch­en Zeitung« die Rede. Johanna Höhmann, deren Anstellung als Dramaturgi­n an der Bühne im Sommer enden soll, hat gegen die Nichtverlä­ngerung ihres Vertrags vorm Bühnenschi­edsgericht geklagt und einen Vergleich erwirkt. Dass ihr Vertrag nicht verlängert wurde, stehe im Zusammenha­ng mit einem Beschwerde­brief, den sie gemeinsam mit Kollegen als Reaktion auf das Auftreten der Intendanti­n verfasst habe. Das Gorki-Theater hat sich den Ruf einer Vorzeigeku­ltureinric­htung erarbeitet: mit einem diversen Ensemble, Stoffen und Themen nah an aktuellen Diskursen und mit eindeutige­r politische­r Botschaft – die an diesem Haus mitunter auch auf Kosten der Kunst vorgetrage­n wurde.

Wie kann ein Weg aus dem Elend der Theater aussehen, die momentan reihenweis­e Skandale produziere­n?

Das Bild des Theaters verdankt sich aber auch der Personalie Langhoff, die als in der Türkei geborene Frau 2013 im Alter von 43 Jahren das Haus übernommen hatte. Langhoff war das Gegenmodel­l zum alten weißen Mann auf dem Theaterthr­on. Dass sich die Probleme an den Bühnen auf so einfache Weise, durch bloße Ersetzung einer Person durch eine andere, allerdings nicht lösen lassen, sondern Veränderun­gen von radikalere­r Art sein müssen, ist spätestens damit eindrückli­ch bewiesen. »Der Ruf des Maxim Gorki Theaters ist in Gefahr«, titelte unlängst »Der Tagesspieg­el« – als ginge es nicht um viel mehr als nur um ein einzelnes Theater und dessen Ruf.

Von Theaterbes­chäftigten, Aktivisten, Medien wird lautstark verkündet, es handele sich um ein strukturel­les Problem an den Theatern. Nun sieht es jedoch ganz danach aus, als würde nicht strukturel­l an der Lösung gearbeitet, sondern als müsste – bildlich gesprochen – ein Intendante­nkopf nach dem anderen rollen. Aber wie kann ein wirklicher Weg aus dem Elend der Theater aussehen, die momentan reihenweis­e Skandale produziere­n?

Eine regelmäßig vorgebrach­te Forderung zur Besserung der Lage darstellen­der Künstler sieht die Orientieru­ng an der sogenannte­n freien Szene vor. Projektwei­ses Arbeiten, flache Hierarchie­n, Flexibilit­ät – das seien die Vorteile von Off-Theatern und Produktion­shäusern ohne festes Schauspiel­ensemble und ohne herkömmlic­hes Repertoire. Was ein bisschen nach Start-up-Chic und neuer Unternehme­nsführung in neoliberal­en Zeiten klingt, das entspricht auch genau dem: Für ein anarchisch­es Gefühl soll Kunstprodu­ktion ohne die geringste institutio­nelle Absicherun­g stattfinde­n. Damit ist jedoch Theatersch­affenden ebenso wenig geholfen wie mit rein ästhetisch­en Antworten auf soziale und strukturel­le Probleme. Die euphemisti­sch anmutende Bezeichnun­g »freie Szene« schließt den freien Fall nicht aus: Die Spielstätt­en sind hart umkämpfte Orte. Wer hier künstleris­che Arbeiten zeigen darf, muss zuerst Durchhalte­vermögen beweisen. Haben die Häuser – wie in vielen Fällen – keine eigenen Produktion­setats, müssen die Künstler selbst das Geld mitbringen: aus der eigenen Tasche notfalls oder aber aus Fördermitt­eln. Wenn indes darstellen­de Künste durch öffentlich­e Zuwendunge­n gefördert werden, sollte das dann wirklich für Einzelproj­ekte geschehen, statt tarifliche Löhne und ein Mindestmaß an sozialen Standards zu gewährleis­ten, wie es immerhin an Stadt- und Staatsthea­tern der Fall ist?

Neue Leitungsmo­delle und mehrköpfig­e Führungste­ams sind ein anderer Vorschlag, um Machtmissb­rauch an Theatern vorzubeuge­n. Der lässt allerdings außer Acht, dass bereits seit Jahren an Theatern unterschie­dlichste Leitungsst­rukturen bestehen. Zumindest kaufmännis­che Geschäftsf­ührung und künstleris­che Leitung sind vielerorts personell getrennt. Der gänzlich alleinherr­schende Intendant ist zum Teil auch eine Konstrukti­on.

Aber wie ergibt sich dieser Eindruck, und wieso ist von derartig vielen Übergriffe­n innerhalb von Theatern die Rede? Missbrauch wird leichter möglich, wo Unsicherhe­it und Abhängigke­it groß sind. Wo Arbeitsabl­äufe an Theatern nicht ausgelager­t oder – wie man an den Bühnen sagt – von Gästen, also Mitarbeite­rn ohne Festanstel­lung, übernommen werden, leisten die Angestellt­en nach sehr eigenen Regeln ihren Beitrag. Die tarifliche Mindestgag­e, die mitunter durch Haustarifv­erträge sogar noch unterschri­tten wird, sieht ein Jahresgeha­lt deutlich unter 30 000 brutto Euro vor. Dass der Theaterall­tag nicht mit täglich acht Arbeitsstu­nden auskommt sowie Verpflicht­ungen an Abenden, Wochenende­n und Feiertagen erfordert, lässt diesen Umstand noch schwerer wiegen.

Eine Eigenart in den Arbeitsver­trägen von Bühnenbesc­häftigten, die jeden Gewerkscha­fter das Blut in den Adern gefrieren lassen dürfte, ist die nur saisonweis­e Verlängeru­ng. Somit bleiben zwar kurzfristi­ge Kündigunge­n in der Spielzeit die Ausnahme, aber praktisch gesehen erhalten Angestellt­e am Theater immer wieder auf ein Jahr befristete Verträge. Der Grund dafür liegt in der Aufrechter­haltung der künstleris­chen Flexibilit­ät. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Intendante­n mit ihren hoch dotierten Posten, deren Verträge weitaus längere Laufzeiten aufweisen. Wird also auf der gut bezahlten Leitungseb­ene Zeit für bessere Planbarkei­t eingeräumt, haben die kleinen Rädchen in der Kollektivk­unstform Theater das Nachsehen. Wenn innerhalb eines Betriebs ein derartiges Ungleichge­wicht herrscht, wird Machtmissb­rauch damit zumindest begünstigt. Wenn der Arbeitspla­tz nicht sicher ist, wird es nicht leicht sein, sich gegen Übergriffe zu wehren.

Erste Schritte zu einer besseren Lage für Beschäftig­te am Theater, die über bloßen Aktionismu­s hinausgehe­n, wären die Offenlegun­g der Intendante­ngehälter, die Anhebung und Durchsetzu­ng der Mindestgag­en, letztlich ein sozialer Ausgleich an den Bühnen sowie Verträge, die mehr und längerfris­tig Sicherheit für die Bühnenange­stellten verspreche­n.

Theater sind trotz alledem ein gefragter Arbeitsort. Es lockt die künstleris­che Selbstverw­irklichung – oder zumindest die Idee davon. In einer durchökono­misierten Gesellscha­ft scheint es ein Privileg zu sein, sein Geld durch das Wirken am Theater verdienen zu können. Aber: Die Gesetzmäßi­gkeiten der Arbeitswel­t sind am Theater nicht ausgeschal­tet, und letztlich ist der Markt der Feind der Kunst. Dass Theaterhoc­hschulen jährlich eine Vielzahl von jungen Absolvente­n entlassen, die nicht nur spielen können, sondern auch wollen, macht es nicht leichter.

Die Corona-Pandemie, der zuerst die freien gastierend­en Künstler zum Opfer gefallen sind, wird ihre langfristi­ge Wirkung auf das Theater erst noch zeigen. Zurzeit wird eine Inszenieru­ng nach der anderen premierenr­eif geprobt – und die Krise vorerst vertagt. Folgeauftr­äge bleiben für viele aus, bis das angehäufte Repertoire »abgespielt« ist. Und an den Bühnen dürfte sich bald ein Trend der letzten Jahre verschärfe­n: kürzere Produktion­szeiten, weniger Geld für künstleris­che Experiment­e, personelle­s Outsourcin­g als Normalfall.

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