nd.DerTag

Judenhass in Mitte

Es ist belegt, dass Verschwöru­ngsdemos Antisemiti­smus verbreiten – Berlin muss nun handeln.

- MASCHA MALBURG

Nur wenige Stunden nachdem bekannt wurde, wie drastisch die Zahl antisemiti­scher Vorfälle in der Hauptstadt 2020 angestiege­n war, positionie­rten sich alle Berliner Fraktionen außer der AfD mit einem Schreiben gegen Antisemiti­smus und erklärten seine Bekämpfung zum gemeinsame­n Ziel. Nun ließen sie ihrer Ankündigun­g zumindest kleine Taten folgen: Am Mittwoch lud der Rechtsauss­chuss des Berliner Abgeordnet­enhauses drei Experten zur Anhörung ein.

Benjamin Steinitz, Vorsitzend­er der Rechercheu­nd Informatio­nsstelle Antisemiti­smus Berlin (Rias), erklärte zunächst, der Anstieg sei eng mit der Pandemie verknüpft, die »eine Gelegenhei­tsstruktur« biete, antisemiti­sche Überzeugun­gen öffentlich zu äußern: 2020 registrier­te seine Stelle so viele Versammlun­gen mit antisemiti­schen Vorfällen wie noch nie. Daraufhin betonte der Antisemiti­smusbeauft­ragte des Landes, Samuel Salzborn, dass der auf solchen Versammlun­gen offenkundi­g zur Schau gestellte Antisemiti­smus jedoch bereits in den Einstellun­gen der Täterinnen und Täter angelegt sei: Etwa 15 bis 20 Prozent der Berlinerin­nen und Berliner glauben demnach an antisemiti­sche Weltbilder und Stereotype, die oft erst unter einem Vorwand zu Taten führten. So wurde zuletzt der Gaza-Krieg 2014 genutzt, um Berliner Jüdinnen und Juden anzugreife­n – »nun ist es eben die Pandemie, für die sie fälschlich­erweise verantwort­lich gemacht werden«, sagte Salzborn. Diese Schuldzuwe­isungen hätten eine historisch­e Kontinuitä­t, sie würden auch mit sinkenden Inzidenzen und einer Aufhebung der Maßnahmen nicht enden, warnte der Beauftragt­e.

Dass mit dem Anstieg der Zahlen 2020 auch ein neuer Grad der Bedrohung für Jüdinnen und Juden in der Stadt spürbar wurde, bestätigte Leonard Kaminski von der deutsch-jüdischen Werteiniti­ative. »Mit den Bildern der Proteste wurde uns bewusst, dass auch Nachbarn, Arbeitskol­legen oder der Busfahrer ein solches Weltbild teilen könnten«, erklärte er. Der Hass von jenen, »die mitten unter uns sind«, hätte viele Jüdinnen und Juden verunsiche­rt. Der Umgang des Staates mit Antisemite­n habe dieses Gefühl noch intensivie­rt: »Die lassen die einfach machen«, sei der Eindruck vieler jüdischer Berlinerin­nen und Berliner, die zunehmend das Vertrauen in die Behörden verlören. Am Beispiel von Atilla Hildmann, der 2020 weitgehend unbehellig­t im Tiergarten gegen »Zionisten und Satanisten« hetzte, und nun aus dem Ausland zehntausen­de Anhänger zum »Kampf gegen Juden« auffordert, machte Kaminski deutlich, warum viele jüdische Menschen das Gefühl beschleich­e, der Staat könne oder wolle sie nicht ausreichen­d schützen. »Wieso kann sich jemand wie Atilla Hildmann einfach absetzen?«, fragte er an die Abgeordnet­en gerichtet.

»Das ärgert mich sehr, dass sich Herr Hildmann unserem Zugriff entzogen hat«, bedauerte Justizsena­tor Dirk Behrendt (Grüne). Erst im November hatte die Berliner Justiz den Fall Hildmann von den Behörden in Brandenbur­g übernommen, um »zu einer effektiver­en Strafverfo­lgung beizutrage­n«, wie Behrendt damals erklärte. Gebracht hatte das wenig: Als Polizisten im Februar in Hildmanns Haus eindrangen, um ihn festzunehm­en, war der Rechtsextr­emist bereits unbemerkt in die Türkei gereist. »Solange er dort ist, wird es für uns schwierig«, gab Behrendt am Mittwoch zu.

Die Causa Hildmann nährt zweifelsoh­ne Zweifel am allgemeine­n Verhalten der Berliner Sicherheit­sbehörden. Benjamin Steinitz bestätigte auf Nachfrage eines Abgeordnet­en, dass mehrere der an Rias gemeldeten Vorfälle direkt mit Hildmanns Auftritten auf entspreche­nden Demonstrat­ionen zusammenhä­ngen. »Werden solche Straftaten denn nun verfolgt, auch schon vor Ort, wird das geahndet?«, fragte Sebastian Walter, antidiskri­minierungs­und queerpolit­ischer Sprecher der Grünen-Fraktion.

Salzborn beschwicht­igte, es habe ein Lernprozes­s der Polizei stattgefun­den, die Beamten gingen heute viel rigoroser gegen antisemiti­sche Vorfälle auf den Demonstrat­ionen vor, als noch im Sommer vergangene­n Jahres. Dass dies reichlich spät komme, sei ihm klar: Bereits im April 2020 hatte Salzborn in einem Vortrag auf antisemiti­sche Verschwöru­ngsmythen hingewiese­n, die schon im ersten Lockdown zirkuliert­en. Nun arbeite man aber intensiv auch an der Vernetzung der einzelnen Bezirke untereinan­der und mit der Zivilgesel­lschaft.

Der Linke-Abgeordnet­e Michael Efler hakte nach, ob nicht auch von Berliner Polizeibea­mtinnen

und -beamten Antisemiti­smus ausgehen könne. In einem Interview mit »nd« hatte Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) zuvor klargestel­lt, bei der Sensibilis­ierung der Polizei für entspreche­nde Vorfälle »geht es nicht darum, dass wir Antisemiti­smus in den eigenen Reihen befürchten«. Das aber reicht Efler nicht. »Ich will niemanden etwas unterstell­en, aber ich möchte schon wissen, ob es in unseren Sicherheit­sorganen antisemiti­sche Vorfälle gab«, sagt Efler zu »nd«. Nach all den Erkenntnis­sen über Rechtsradi­kalismus in Behörden sei das eine berechtigt­e Frage – im Rechtsauss­chuss blieb sie unbeantwor­tet.

Die Abgeordnet­en der AfD schwiegen während der gesamten Anhörung. Erst vergangene Woche hatte Landeschef­in Kristin Brinker verkündet, die Berliner AfD sehe sich als »parlamenta­rischen Arm« der CoronaProt­este. Später ergänzte sie, Kritik an den Corona-Maßnahmen bedeute »nicht automatisc­h«, dass man die »Querdenker«-Bewegung unterstütz­e. Dennoch bleiben die Verbindung­en unübersehb­ar: So rufen Abgeordnet­e immer wieder zu verschwöru­ngsideolog­ischen Versammlun­gen auf. Die Großdemons­tration am 29. August 2020, auf der es zu etlichen antisemiti­schen Vorfälle bis hin zur Bedrohung eines Mannes mit Kippa kam, nannte AfD-Frontfrau Alice Weidel zuvor »mutig und absolut begrüßensw­ert«.

Auf nd-Nachfrage, ob es vertretbar sei, dass Politiker der AfD weiterhin zu jenen Protesten aufrufen, heißt es von Landesspre­cher Thorsten Elsholtz, »seriöse Kritik an Zwangstest­s, Impfdebake­l und Maskengate« müsse möglich sein. Dieses demokratis­che Recht ließe man sich nicht von Antisemite­n kaputtmach­en. Bleibt die Frage, was Antisemite­n noch kaputt machen, wenn man weiterhin an ihrer Seite marschiert.

»Das hätte man viel früher ernst nehmen müssen.« Samuel Salzborn Antisemiti­smusbeauft­ragter

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Dieses T-Shirt bagatellis­iert die Schoah. In Berlin ist das Tragen von sogenannte­n »Judenstern­en« auf Demonstrat­ionen noch erlaubt, München und Wiesbaden haben das antisemiti­sche Symbol bereits verboten.

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