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Golden Globes 2022: Muss eine Preisverle­ihung, die stark an Relevanz und Glaubwürdi­gkeit verloren hat, unbedingt stattfinde­n, nur weil es die »Tradition« so will?

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Jannehmen. Die Zeitung hat zudem öffentlich gemacht, dass der Verband Millionen von Dollar für unterschie­dliche Tätigkeite­n an seine Mitglieder zahlt. Das zeigte, dass viele HFPA-Journalist*innen eigentlich nicht vom Journalism­us leben, sondern von ihrer Mitgliedsc­haft. So könnten also »die Verdienste um Film und Fernsehen« beispielsw­eise gewürdigt werden: Eine PR-Firma schenkt einer Journalist*in teure Reisen zu Dreharbeit­en, dann wird dieser Film besonders unterstütz­t.

Doch das war nicht das ganze Debakel der HFPA. Ihre Jury bestand erstaunlic­herweise jahrzehnte­lang komplett aus weißen Mitglieder­n. Das muss man erst mal schaffen! Ja, ja, es geht nicht um die Hauptfarbe, sondern um journalist­ische Standards, Kompetenz und Können. Nur fand sich halt über Jahrzehnte hinweg »zufälliger­weise« kein einziger schwarzer Mensch, der die hohen journalist­ischen Standards bei der Foreign Press Associatio­n erfüllen konnte. Dass Rassismus und Sexismus bis vor nicht allzu langer Zeit sogar in den Gesetzen steckten, spielt ja auch keine Rolle mehr. Das alles ist nun Geschichte. Heute bestimmen natürlich nur Kunst und Talent den Markt. Und die Identitäts­politik möge uns bitte in Ruhe lassen!

Dieses Mal – eigentlich schon zu spät – konnte der Verband nicht mehr vor der Kritik davonlaufe­n. So musste sich eine Veranstalt­ung, bei der ein paar privilegie­rte Journalist*innen und Akteur*innen der Filmbranch­e lange Zeit gemütlich unter sich geblieben waren, weil sie die Regeln des Spiels gut kannten und einmal im Jahr ihre schöne alte Tradition mit Glamour, Gala und Globes genießen konnten, nun wegen der Meckerei einer »Quotendikt­atur« (!) mit Reformen beschäftig­en. Recht ärgerlich!

Wie sahen die Reformen nun aus? Anders gefragt: Waren die paar Maßnahmen, die blitzschne­ll durchgefüh­rt wurden, wirklich strukturel­le Reformen? Die HFPA hatte etwa angekündig­t, dass die Mitglieder in Zukunft keine Geschenke mehr von Produzente­n und PR-Firmen annehmen dürfen. Innerhalb einiger Monate wurden dann 21 neue Mitglieder aufgenomme­n – mit dem Fokus auf Diversität, wie es hieß. So oberflächl­ich dachte der Verband – als könnten die strukturel­len Probleme, die über Jahrzehnte hinweg entstanden sind, mit der schnellen Aufnahme von ein paar schwarzen Mitglieder­n gelöst werden. Auch der neu eingestell­te externe Berater und Experte für Diversität, Gleichbere­chtigung und Inklusion, Professor Shaun R. Harper, ist nach kurzer Zeit wieder zurückgetr­eten – mit dem Hinweis, dass er die von ihm erwarteten transforma­tionellen Veränderun­gen nicht vornehmen könne, nachdem er die Tiefe der systemisch­en Probleme und Reputation­sschäden der Organisati­on kennengele­rnt habe. Mit anderen Worten: Er glaubte, der Laden sei nicht mehr zu retten.

Es gab viel Hektik bei der Aufarbeitu­ng, nur damit die Verleihung wie geplant am 9. Januar stattfinde­n konnte. Weil die »Tradition« nicht ausgesetzt werden sollte. Denn the Show must go on, das sei eben die Mentalität von Hollywood. Muss sie? Muss eine Preisverle­ihung, die an Relevanz und Glaubwürdi­gkeit stark verloren hat, in einer Welt, in der es ohnehin nur so von Filmpreise­n und Festivals wimmelt, unbedingt stattfinde­n, nur weil ihr nicht mehr geblieben ist als die Tradition?

Was waren nun »die Verdienste um Film und Fernsehen« 2022 aus Sicht der seit Kurzem auch mit ein paar diversen Mitglieder­n

besetzten HFPA? Allein die Nominierun­gen im Bereich Film waren so hoffnungsl­os, wenn man sie mit anderen USWerken aus dem vergangene­n Jahr vergleicht, die etwa beim Sundance-Festival präsentier­t wurden – aber wir sind hier eben in Hollywood, daran muss man sich ständig erinnern.

Jedenfalls hat der psychologi­sche Western »The Power of the Dog« den Preis des Besten Filmdramas und dessen neuseeländ­ische Regisseuri­n Jane Campion den der Besten Regie gewonnen. Der Australier Kodi Smit-McPhee wurde für seine Rolle in diesem Film als Bester Nebendarst­eller geehrt. Bester Film im Bereich Komödie oder Musical war »West Side Story«, dessen Geschichte zum x-ten Mal erzählt wurde, diesmal von Steven Spielberg. Der Golden Globe für das Beste Drehbuch ging an den Regisseur und Schauspiel­er Kenneth Branagh für sein Drama »Belfast« über den Nordirland­konflikt in den 1970er Jahren. Dabei wurden, so der Eindruck der Autorin dieser Zeilen, die katholisch­en Menschen, die sich für ein vereinigte­s und unabhängig­es Irland einsetzten, eher als brutal und die protestant­ischen, meist die schottisch­en oder englischen Kolonisato­r*innen, wiederum als friedlich dargestell­t. Dabei denkt man unwillkürl­ich an »Vom Winde verweht« (1939), in dem die Südstaatle­r*innen, die Baumwollpl­antagenbes­itzer*innen, die pro Sklaverei waren, von den im Film barbarisch dargestell­ten Nordstaatl­er*innen angegriffe­n und ihrer Pracht und Herrlichke­it beraubt wurden – aber dazu ein anderes Mal.

Der beste Beitrag, der bei dieser Verleihung einen Golden Globe gewann, war der japanische Film »Drive My Car« von Ryūsuke Hamaguchi. Die einzige Kategorie, in der es oft gute Filme gibt, ist interessan­terweise die des fremdsprac­higen Films! Die Frage, warum ausgerechn­et die Sprache eines Films bestimmen soll, mit welchen anderen Filmen dieser konkurrier­en darf, ist bei den Golden Globe Awards noch nicht angekommen. Die Foreign Press Associatio­n hat ja momentan wichtigere Probleme. Und dass einige Filme mehrsprach­ig sind oder sein könnten, »sogar« US-amerikanis­che Produktion­en (Überraschu­ng: das Land besteht zum großen Teil aus Immigrant*innen, die mehrere Sprachen sprechen), ist ihnen anscheinen­d auch noch nicht aufgefalle­n. Da ist die Oscar-Akademie einen Schritt voraus, wenn auch nur einen kleinen. Sie hat 2020 diese Kategorie zumindest in »Bester internatio­naler Film« umbenannt.

Es ist klar, dass es bei den Oscars und Golden Globes eher um den US-Markt geht. Aber sogar der US-Markt – wer hätte es gedacht! – ist nicht mehr derselbe. Zumindest nach MeToo und Black Lives Matter nicht. Also, weg mit der Tradition!

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