Eine Erwiderung auf Wulf Gallerts Thesen zur linken Außenpolitik
Wer eine normative Grundlage seiner zukünftigen Außenpolitik sucht, sollte dies nicht bei einem falsch verstandenen Marx, sondern beim Völkerrecht tun.
in dem Papier wirkt – der Kompromiss mit den realen globalen Verhältnissen bedeutet die Abdankung sozialistischer Außenpolitik.
Gallert treibt die Einseitigkeit der Kritik am Imperialismus und Interventionismus der USA und der Nato um, ohne dass die gleiche Kritik an Russland, China, Venezuela oder Kuba geübt wird. In seiner Vorstellung der Äquidistanz folgt er der bürgerlichen Presse. Er sieht keinen Unterschied zwischen den »russischen Militärinterventionen im Ausland«, den »chinesischen Aktivitäten im Südund Ostchinesischen Meer«, dem Umgang mit der Opposition in Hongkong und den Uiguren in Xingjang – und den Kriegen der Nato-Staaten von Jugoslawien 1999 über Afghanistan, Irak, Libyen bis Syrien.
Doch es geht in diesen Zeiten nicht um Kritik in der Außenpolitik. Es geht um Krieg und Frieden, um die steigende Kriegsgefahr, die nicht vom Osten ausgeht. Da macht es schon einen Unterschied, dass fast 45 Prozent der Welt-Rüstungsausgaben von den Nato-Staaten aufgebracht werden und nur 16,1 Prozent von China und Russland, dass die USA über 800 Militärstützpunkte über die ganze Welt verstreut haben, während Russland derzeit 20 hat und China an seinem ersten Militärstützpunkt in Afrika baut.
Es macht auch einen Unterschied, wer andere Staaten mit jahrzehntelangen Wirtschaftssanktionen gezielt in die größten wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten treibt, um einen »Regime change« herbeizuführen. Dies ist nur von den USA und den anderen Nato-Staaten bekannt und genauso friedensgefährdend wie der ungebremste Zug der Nato gen Osten, Richtung Georgien, Ukraine und Kirgisien – obwohl die Verantwortlichen wissen, wie sensibel diese Grenzregionen für Russland sind und geradezu eine militärische Reaktion provozieren, wie bei der Ukraine erfahren.
Wer eine normative Grundlage seiner zukünftigen Außenpolitik sucht, sollte sie nicht bei einem falsch verstandenen Marx, sondern beim Völkerrecht und der Uno-Charta finden (siehe Afghanistan). Zum Völkerrecht gehören natürlich auch die Menschenrechte, doch nicht als Hebel missionarischer Drohungen und Sanktionen oder »humanitärer Interventionen«, mit denen die Nato 1999 Jugoslawien mit einem völkerrechtswidrigen Krieg überfallen hat. Zwei Parteien in der gegenwärtigen Ampel-Koalition bildeten seinerzeit das Kriegskabinett. Schon damals ging es dem Außenminister Fischer um eine »wertegebundene Außenpolitik«, die in einem blutigen Krieg endete.
Er sollte allen menschenrechtlichen Feldzügen eine Warnung sein. Was nützt die Entsendung einer Fregatte ins südchinesische Meer oder der politische Boykott olympischer Winterspiele außer dem eigenen Zeigefinger? Derartige Symbolpolitik verschärft nur die Spannungen. 2009 warnte Eric Hobsbawn im »Stern«: »Meine geschichtliche Erfahrung sagt mir, dass wir uns – ich kann das nicht ausschließen – auf eine Tragödie zu bewegen. Es wird Blut fließen, mehr als das, viel Blut, das Leid der Menschen wird zunehmen, auch die Zahl der Flüchtlinge. Und noch etwas möchte ich nicht ausschließen: einen Krieg, der dann zum Weltkrieg werden würde – zwischen den USA und China.« Heute hört man die gleiche Warnung von Biden und Xi Jingping. In dieser Situation sollte man mehr auf die Menschenrechte im eigenen Land achten, als sie zum Hebel gegen andere Staaten zu benutzen.
Schließlich ist auch die »Verhinderung der sich anbahnenden globalen ökologischen Katastrophe« ein »zentraler Punkt« linker Außenpolitik. Aber es folgt bei Gallert nicht mehr als die Plattitüde, dass sich »auch linke Akteure im Spannungsfeld von globaler Gerechtigkeit und nationaler Besitzstandswahrung bewegen«. Kein konkreter politischer Gedanke, nur die Erkenntnis, »dass der schnellere Ausstieg aus den fossilen Energieträgern ... ein ausgesprochen dickes Brett« sei. Sollte nicht linke Außenpolitik die sich anbahnende ökologische Katastrophe einmal unter dem Blickwinkel der Folgen von forcierter Rüstung, von Auslandseinsätzen der Bundeswehr, von Krieg und daraus folgenden Flüchtlingsströmen, der Verschwendung von Ressourcen und der Zerstörung menschlicher Gesellschaften betrachten?
Die »Rückkehr zu Marx«, die uns Wulf Gallert empfiehlt, wird die Linke nicht aus dem Graben holen. Eine solche Außenpolitik braucht die Partei nicht, und die Partei mit einer solchen Außenpolitik braucht niemand.
Wenn Wulf Gallert eine inhaltliche Debatte zur Außenpolitik der Linken fordert, sollte die Partei diesen Aufschlag nicht wieder verpennen. Politiker sollten weniger ideologiegeleitet denken und handeln, sondern Lenins Maxime beachten, allen politischen Entscheidungen eine »konkrete Analyse der konkreten Situation« voranzustellen. Und genau daran mangelt es der Linken. Das von Wulf Gallert angesprochene Verhältnis der Linkspartei zu Russland, speziell zur Außenpolitik Putins, zeigt das auf besondere Weise. Der Rückfall von Putins Außenpolitik in das stalinistische Paradigma der Umkreisung Russlands und in das totalitäre Freund-FeindSchema wird von der Linkspartei gespiegelt und nicht überwunden.
Es ist abenteuerlich und völkerrechtswidrig von Putin, entgegen dem Pariser Memorandum von 1994, in dem das Territorium der Ukraine völkerrechtlich von Russland anerkannt wurde, die Krim mit einem scheinbar freien Referendum zu annektieren und die Ostukraine mit Hilfe von Separatisten vom Rest der Ukraine abzuspalten. Ganz zu schweigen von Morden auf fremden Territorien wie im Falle Litwinenkos in London, der versuchten Vergiftung Skripals und seiner Tochter in England oder des Mords im Berliner Tiergarten. Das ist ein Rückfall zu den Instrumenten Stalins und klar zu verurteilen.
Jeder Versuch, die Grenzen der Nachkriegsordnung zu verändern, spielt mit dem Feuer. So ist wohl nachzuvollziehen, wenn die baltischen Staaten, Polen, die Ukraine und andere Angst vor Russlands expansiver Politik haben und unter den Schutzschirm der Nato gingen bzw. dies wollen. Es ist schlicht nicht mit demokratischen Werten zu vereinbaren, wenn die militärische Weltmacht Russland gemeinsam mit den NatoStaaten über dritte Staaten entscheiden würde, diese nicht, auch wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, in die Nato aufzunehmen.
Lenins Nationalitätenpolitik bestand darin, den Nationalitäten das Recht auf Selbstbestimmung und auf staatliche Eigenständigkeit zuzuerkennen. Erst die Außenpolitik unter Gorbatschow ist wieder zu diesen Grundsätzen zurückgekehrt und hat die Unabhängigkeit der osteuropäischen Länder sowie einiger Sowjetrepubliken ermöglicht.
Dr. Monika Runge, Leipzig
Das meiste, was an außen- und innenpolitischen sowie militärischen Aktionen seitens Russlands und Chinas passierte, war Reaktion. Die natürlich vom Westen als Aggression bewertet wurde. Dass viele Linke das genauso sehen und dabei immer auch die damit einhergehende atomare Kriegsgefahr im Auge haben und das im Erfurter Programm und auch in den Standpunkten der Friedensbewegung gespeichert sehen, ist m. E. nicht unmarxistisch. Auch finde ich, dass die Klimaverschlechterung sehr wesentlich mit allem Militärischen zusammenhängt und mit denen, die das herausfordern, und das sind nicht in erster Linie Russland und China. Wenn dieser Zusammenhang, der bei allen Parteien verschwiegen wird, in unserer außenpolitischen Programmatik deutlich erscheint, ist das ein guter Beitrag der Linken zur Klimapolitik.
Berthold Henze, Berlin
Außenpolitik, von wem auch immer betrieben, verfolgt Interessen. Sie resultiert also immer aus den in unserem Land vorherrschenden Interessen – nicht den unseren. Wie linke Politik in einem kapitalistischen System immer ein Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse sein muss, gilt das auch für Außenpolitik. In dieser wird das Beschwören der Menschenrechte genutzt zur Verschleierung jener Interessen, die entsprechend der herrschenden Kräftekonstellation verfolgt werden. Dies zeigen bereits die ersten zwei Wochen der Amtszeit der neuen Außenministerin.
Kern der Gallert’schen Aussage ist, dass die Linkspartei die Außenpolitik »nie auf den Prüfstand der praktikablen Umsetzung gestellt« habe. Was aber kann der praktikable Prüfstand in einer bürgerlichen Koalition sein? Für eine sozialistische Partei kann Politik nicht nach parlamentarischer Mehrheitsfähigkeit fragen, sie kann in der Außenpolitik nur heißen: Nie wieder Krieg! Sollten aber die Menschenrechte oberster Maßstab sein, gilt auch hier: Das erste Menschenrecht ist das Recht auf Leben! Eine Partei, die auf ihre ureigenen Prinzipien verzichtet, verliert ihren Gebrauchswert.
Prof. Dr. Werner Ruf, Ehrenmitglied der RLS
Für mich lautet Gallerts zentraler Satz: »Aufrufe zur Geschlossenheit verlieren dann ihren Sinn, wenn es dafür keine inhaltlichen Grundlagen gibt.« Er gibt mit seinem Rückgriff auf Marx eine solche inhaltliche Grundlage und zugleich ein Kriterium vor, an dem sich die Bewertung außenpolitischer Handlungen orientieren muss: »Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes (...) Wesen ist.« Die logische Konsequenz ist in der Tat, die Logik des Kalten Krieges zu verlassen und außenpolitische Akte aller Länder vorurteilsfrei unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten, auch die Russlands oder Chinas. Aus meiner Sicht braucht unsere Partei solch eine allgemein akzeptierte grundsätzliche außenpolitische Position – nur dann kann in Zukunft ein Desaster wie die widersprüchliche Abstimmung im Bundestag zur Evakuierung aus Afghanistan verhindert werden.
Wie nötig das ist, zeigen auch einige Leserbriefe vom 4.1. (»Meinst du, die Russen wollen Krieg?«, S. 8): Alle drei stellen sich auf die Seite Russlands, eines neoliberalen, autoritär geführten Staates mit imperialistischen Zügen – und sie schaffen es, eine grundsätzliche Frage zu ignorieren: Hält ein anderer Staat russisches Territorium besetzt oder hält Russland Territorien eines anderen Staates besetzt? Ich halte es für nötig, dass Linke und Sympathisanten unserer Partei sich aufrichtig diese Frage beantworten und dann – auch in der Bewertung anderer außenpolitischer Konfliktfelder – hoffentlich zu Marx zurückfinden.
Bernd Friedrich, Leipzig