Folterlager ohne Ende Die USA betreiben seit 20 Jahren das Gefangenenlager Guantanamo
Seit 2001 haben alle Bundesregierungen die Rechtsbrüche der USA toleriert und den Opfern Hilfe verweigert
Berlin. Seit zwei Jahrzehnten besteht in der Guantanamobucht auf Kuba das US-Foltergefängnis, das als Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 von US-Militär und US-Geheimdiensten betrieben wird. Die Haftanstalt auf der US-Militärbasis sei ein »rechtloser Ort«, so der Amerika-Experte bei Amnesty International in Deutschland, Matthias Schreiber, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. »Wenn die USA wirklich Glaubwürdigkeit als Verteidigerin der Menschenrechte wiedererlangen wollen, müssen sie das Lager schließen.«
Das Lager stehe »ganz exemplarisch für die unzähligen Menschenrechtsverletzungen,
die die USA seit der Ausrufung des globalen ›Kriegs gegen den Terror‹ 2001 begangen haben«. Guantanamo stelle einen »gefährlichen Präzedenzfall« dar, sowohl mit Blick auf fehlende rechtsstaatliche Verfahren »als auch mit Blick auf Straflosigkeit bei schwersten Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Verschwindenlassen«.
Das Lager steht seit mehreren Jahren in der Kritik. Gefangene waren dort ungeschützt vor Witterung unter freiem Himmel untergebracht, litten unter Folterpraktiken, wie Waterboarding, Schlafentzug und Kältefolter. Auch Zaklin Nastic, Menschenrechtspolitikerin der Linksfraktion, forderte die Schließung.
779 Menschen wurden »nach Guantanamo verschleppt und dort inhaftiert, gefoltert und schwer misshandelt – auch unter deutscher Beteiligung«, kritisierte Nastic. Sie geht von aktuell noch 39 Inhaftierten aus, denen Rechte als Kriegsgefangene oder zivile Gefangene verwehrt werden. Das Versprechen des früheren US-Präsidenten Barack Obama, das Gefängnis zu schließen, haben nachfolgende US-Regierungen nicht umgesetzt. »Die neue Bundesregierung muss die US-Administration mit Nachdruck auffordern, das zu tun, was auch UN-Experten wiederholt gefordert haben: Guantanamo umgehend schließen«, forderte Nastic. dal
Die Bundesregierung beteuert, eine »wertebasierte Außenpolitik« zu betreiben. Wenn es aber um das Gefangenenlager Guantanamo geht, kuscht Deutschland noch immer vor den USA.
Die Stärke der transatlantischen Allianz lasse sich nicht mit Panzern und Raketen messen, sondern in allererster Linie daran, dass Deutschland und die USA an einem Strang ziehen, wenn es darauf ankommt, Grundnormen des Völkerrechts zu verteidigen. Nach diesen Worten düste die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in der vergangenen Woche zu ihrem US-Amtskollegen Antony Blinken. Mit ihm demonstrierte die Grünen-Politikerin den Schulterschluss, um sich anschließend mit der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, zu treffen. Man versicherte sich gegenseitig, wie wichtig ein »stetes Eintreten für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit« sei.
Wäre die Zeit in Washington D.C. nicht so knapp bemessen gewesen – Baerbock hätte als Vorkämpferin einer »wertebasierten Außenpolitik« gewiss auch andere Themen angesprochen. Doch sie hätte sich nicht für die Schließung des Foltergefängnisses Guantanamo starkgemacht und womöglich – wegen der fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen durch die USA – Washington mit Sanktionen gedroht. Spätestens seit Anfang der 2000er Jahre bekanntgeworden war, dass die USA ihren Kuba-Stützpunkt als Gefangenenund Folterzentrum nutzen, hätte Deutschland intervenieren müssen. Doch das hat keine der seither amtierenden Regierung gewollt. Man machte sich eher gemein mit der US-Strategie zur Verschleppung von Menschen, die von geheimen Diensten als »feindliche Kämpfer« eingestuft wurden. Diese Praxis begann – anders als behauptet – nicht erst nach den Anschlägen von 9/11. Das sogenannte Rendition Programm des US-Auslandsgeheimdienstes CIA begann unter Bill Clinton, der von 1993 bis 2001 Präsident war.
2001 kidnappten die USA Murat Kurnaz, einen in Deutschland geborenen und aufgewachsenen türkischen Staatsbürger. Er war von 2002 bis 2006 in Guantanamo eingesperrt. Berlin interessierte sich für den Fall. Bereits im Oktober 2002 schickte man Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) nach Guantanamo, um Kurnaz zu befragen. Heraus kam: An den Terrorvorwürfen gegen Kurnaz ist nichts dran. Das bestätigten auch Mitarbeiter der CIA. Sie deuteten an, den Mann um Weihnachten 2002 freizulassen. Dazu kam es nicht, denn Deutschland weigerte sich, den unschuldig Festgesetzten aufzunehmen. Politisch verantwortlich für diese skandalöse Entscheidung waren das Bundesinnenministerium und das Bundeskanzleramt. Chefs waren damals Otto Schily (SPD) und sein Parteifreund Frank-Walter Steinmeier. Der ist aktuell Bundespräsident und wird im Februar für eine weitere Amtszeit gewählt.
Es gab nachweislich immer wieder Bemühungen aus den USA, Deutschland in die Klärung von »Guantanamo-Schicksalen« einzubinden. Präsident Barack Obama hatte die Absicht, das Camp auf Kuba zu schließen. Deshalb schickte er einen Sonderbeauftragten auch nach Berlin. Der bat, Gefangene aus Guantanamo aufzunehmen. Es ging unter anderem um zehn Uiguren. Die chinesischen Staatsbürger wurden in ihrer Heimat verfolgt, konnten also nicht dorthin abgeschoben werden. Die Bundesregierung verweigerte Obama diesen »Gefallen« und torpedierte so dessen Bemühungen zur Schließung der Guantanamo-Hölle. Das war 2009 und 2010. Da war Angela Merkel (CDU) Kanzlerin und Steinmeier ihr Außenminister. Beide waren vor allem aus wirtschaftlichen Gründen mehr an einem guten Verhältnis zu Peking interessiert.
Es gibt noch eine Reihe weiterer Belege dafür, dass mehrere Bundesregierungen nichts gegen die CIA-Rendition-Operationen und damit gegen das »Modell Guantanamo« unternahmen. Ende Mai 2004 beispielsweise informierte Daniel Coats, damals US-Botschafter in Berlin, Schily von der irrtümlichen Entführung eines Deutschen durch die CIA. Schily versprach Stillschweigen und antwortete später auf die Frage, warum er nichts unternommen habe: »Ich bin nicht der Erfüllungsgehilfe der Staatsanwaltschaft.«
Auch die Verschleppung des Deutschen Mohammed Haydar Zammar nach Syrien hätte die Bundesregierung zur Hilfeleistung veranlassen müssen. Doch Steinmeier und andere leugneten Jahre nach dem Vorfall jegliche Mitverantwortung. Niemand hatte Kenntnis davon, dass Deutschland als Drehkreuz für Gefangenenflüge der CIA und des US-Militärs diente – wurde behauptet. Zu der Zeit führte die EU entsprechende Untersuchungen und andere EU-Staaten versuchten, der CIA Fesseln anzulegen. Auch Deutschland hätte dem kriminellen US-Treiben nicht tatenlos zusehen dürfen. Doch die Bundesregierung lehnte es gegenüber dem Parlament sogar ab, die ihr bekannte Anzahl mutmaßlicher CIA-Flüge in Deutschland bekanntzugeben. Aus »Gründen der Luftverkehrssicherheit«.
Im BND-Untersuchungsausschuss des Parlaments unternahm die Regierung alles, um die Herausgabe von Akten zu verzögern oder ganz zu unterbinden. Man begrenzte Aussagegenehmigungen und log, dass sich die Balken bogen. Das Spiel auf Zeit war so unnütz wie unwürdig, denn längst war klar, dass das US-Hauptquartier EUCOM in Stuttgart und seine Dienststellen in Möringen, Heidelberg, Mannheim und Ramstein als Organisatoren solcher Flüge agierten. Die endeten nicht nur in Guantanamo, sondern auch in entlegenen Ecken Polens oder Rumäniens, wo gleichfalls US-Foltergefängnisse betrieben wurden.
Wie hilfreich deutsche Nachrichtendienste dabei waren, wird wohl nie zu ergründen sein. Nicht untersucht wurde, ob die Bundeswehr auch dafür sorgte, dass Guantanamo »Nachschub« bekam. Immerhin brüstet sich die KSK-Truppe inzwischen damit, dass deutsche Elitekämpfer in Afghanistan einen wichtigen Part bei der Ergreifung von »Hochwertzielen« übernommen haben. Unvorsichtig hatte das Verteidigungsministerium im August 2010 auf Anfrage mitgeteilt, dass seit Beginn der deutschen Mission 2002 mehr als 50 gesuchte Personen festgenommen wurden. Wohin überstellte man sie? Zu viele Antworten stehen noch immer aus.