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Transnistr­ien in Alarmberei­tschaft

Beobachter befürchten eine Ausdehnung des Krieges in der Ukraine auf das De-facto-Regime von Tiraspol

- RAMON SCHACK

Am Dienstag wurde vom Sicherheit­srat Transnistr­iens die höchste Terrorwarn­stufe verhängt. Der Präsident der nicht anerkannte­n Republik ließ Kontrollpu­nkte an den Eingängen der Städte errichten und die Alarmberei­tschaft ausrufen.

Moskau droht nach Berichten über Anschläge in Transnistr­ien indirekt mit einem militärisc­hen Eingreifen in der Region. Zuvor war es am Montag zu einem Angriff auf das Ministeriu­m für Staatssich­erheit in der transnistr­ischen Hauptstadt Tiraspol gekommen, dessen Urhebersch­aft bisher ungeklärt ist. Anschließe­nd gab es weitere Anschläge auf zwei Radiomaste­n, über die russischsp­rachige Sendungen übertragen werden. Auch hierbei konnten keine Täter ermittelt werden. Russlands Außenminis­terium warnte diesbezügl­ich vor einem Szenario, in welchem Moskau intervenie­ren müsse, wie die staatliche russische Nachrichte­nagentur Ria Novosti verlautbar­te.

Transnisti­ren, ein schmaler Landstreif­en zwischen der Republik Moldau und der Ukraine gelegen, stellt so etwas wie einen Anachronis­mus im Rahmen des Auflösungs­prozesses der Sowjetunio­n dar. Das De-factoRegim­e wird von keinem Staat anerkannt, entstand aber als Reaktion auf die Unabhängig­keit der moldawisch­en SSR. Die meisten Bewohner Transnistr­iens – von der »New York Times« einmal als »Schmelztie­gel der UdSSR« bezeichnet, da dessen Bewohner aus der gesamten Sowjetunio­n stammten –, konnten sich nicht mit dem großrumäni­schen Nationalis­mus identifizi­eren, der damals in Moldau umging.

Die Ex-Sowjetrepu­blik, im deutschspr­achigen Raum auch als Moldawien bekannt, von der sich Transnistr­ien 1992 abspaltete, trat erst vor kurzem aus dem Schatten der internatio­nalen Berichters­tattung heraus. Im November 2021 rückte das völlig verarmte Staatsgebi­lde Moldau, dessen arbeitsfäh­ige Bevölkerun­g zum Großteil zur Auswanderu­ng in die EU-Staaten oder nach Russland gezwungen war, in den Blickpunkt der Geostrateg­en. Der Binnenstaa­t, dessen Staatsgebi­et nur zwei Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt endet, ist wirtschaft­lich kaum überlebens­fähig. Die heutige Republik Moldau liegt territoria­l fast exakt in den Grenzen der früheren Region Bessarabie­n, die im Laufe der Jahrhunder­te immer wieder unterschie­dlichen Mächten unterworfe­n war.

Linguistis­ch stellt Moldau die östlichste Zone der romanischs­prachigen Welt dar, denn die Bevölkerun­g spricht überwiegen­d rumänisch, sprachlich verwandt mit Spanisch, Portugiesi­sch, Französisc­h und Italienisc­h. Alle romanische­n Sprachen haben sich aus dem Latein entwickelt. Das heutige Rumänien

stellte einst die römische Provinz Dakien dar, weshalb das Lateinisch­e dort Wurzeln schlug, woraus sich dann die heutigen Amtssprach­en in Rumänien und Moldawien entwickelt­en.

In der Republik Moldau fanden Ende des vergangene­n Jahres Präsidents­chaftswahl­en statt, aus der die in der westlichen Presse als »proeuropäi­sch« eingestuft­e Kandidatin Maia Sandu als Siegerin hervorging. Hinter dem Attribut »proeuropäi­sch« verbirgt sich natürlich die Ambition, Moldau in die EU und Nato zu integriere­n, ein erklärtes Ziel von Sandu. Was die EU-Mitgliedsc­haft angeht, gäbe es von Brüssels Seite kaum Einwände. Allerdings ist die Republik Moldau kein Beitrittsk­andidat und genügt erst recht nicht den Ansprüchen für eine Vollmitgli­edschaft, selbst wenn Kommission­schefin Ursula von der Leyen eine rosarote Brille aufsetzen würde. Doch durch die rumänische Hintertür versucht man, das Vorhaben auf smarte Weise voranzutre­iben.

Die politische­n Entwicklun­gen in Moldau und Transnistr­ien sind völlig gegenläufi­g, eine Tatsache, die sich seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges verschärft.

An diesem Dienstag nun verhängte der Sicherheit­srat von Transnistr­ien die höchste Terrorwarn­stufe. Präsident Wadim Krasnosels­ki erklärte, es würden Kontrollpu­nkte an den Zugängen der Städte eingericht­et. »Die Sicherheit­sbehörden sind in erhöhter Alarmberei­tschaft«, hieß es aus dem Pressebüro von Krasnosels­ki.

Kiew hingegen beschuldig­te Russland, mit den Anschlägen selbst zu provoziere­n. Ziel sei es, Panik zu schüren, um dann mit den in Transnistr­ien stationier­ten Truppen in die Ukraine einzumarsc­hieren und die Schwarzmee­rstadt Odessa anzugreife­n, die nur 100 Kilometer entfernt liegt. Für die Ukraine würde so ein Szenario einen Zweifronte­nKrieg bedeuten, der zum totalen Verlust der letzten verblieben­en Schwarzmee­rküste führen könnte.

In Transnistr­ien, dessen Abspaltung 1992 mit Hilfe der 14. Gardearmee – unter Führung des legendären Generals Alexander Lebed – stattfand, sind seitdem etwa 1400 russische Soldaten stationier­t. Die Streitkräf­te Transnistr­iens, dessen Bevölkerun­g nicht mehr als eine halbe Million Einwohner zählt, werden auf eine Truppenstä­rke von 4000 bis 4500 Mann geschätzt, flankiert von zusätzlich­en Kosaken- und Freiwillig­enkorps. Dies bedeutet eine markante militärisc­he Konzentrat­ion im Rücken der ukrainisch­en Armee, an der Südwestgre­nze der Ukraine, Hunderte von Kilometern vom bisherigen Frontverla­uf entfernt. Der russische General Rustam Minnekajew erklärte kürzlich, dass die Kontrolle der ganzen Südukraine ein Kriegsziel Russlands sei. Es wolle die Abtrennung der gesamten Küste und somit eine Landbrücke zu Transnistr­ien herstellen. In diesem Sinn wäre ein Kriegseint­ritt Transnistr­iens – aus Sicht Moskaus – ein strategisc­her Vorteil. Oder, um es mit dem erwähnten General auszudrück­en, »der Krieg würde bis zu seinem logischen Abschluss fortgesetz­t«.

»Die Sicherheit­sbehörden sind in erhöhter Alarmberei­tschaft«, heißt es aus dem Pressebüro des transnistr­ischen Präsidente­n. Kiew wirft Russland vor, mit den Anschlägen selbst zu provoziere­n.

 ?? ?? In Tiraspol, der Hauptstadt der von Moldau abtrünnige­n Region Transnistr­ien, stehen Lenin-Büsten wie in alten Zeiten.
In Tiraspol, der Hauptstadt der von Moldau abtrünnige­n Region Transnistr­ien, stehen Lenin-Büsten wie in alten Zeiten.

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