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Zwangsräum­ung vorerst abgewendet

In Friedrichs­hain sollten am Mittwochmo­rgen zwei Familien aus ihren Wohnungen geworfen werden

- CLAUDIA KRIEG

Weil ihr Block abgerissen werden soll und die Vermieteri­n sie loswerden will, droht Menschen im Berliner Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg die Zwangsräum­ung ihrer Wohnungen.

Es sei »sehr brenzlig« gewesen, sagt Felix Baller vom Berliner Bündnis gegen Antizigani­smus und für Roma*-Empowermen­t (BARE) am Donnerstag­morgen. Zusammen mit einem Dutzend Aktivist*innen steht der BARE-Mitarbeite­r an der Straße der Pariser Kommune, Ecke Am Wriezener Bahnhof und erklärt, dass eine für diesen Tag angekündig­te Zwangsräum­ung von zwei Familien im Eckhaus Straße der Pariser Kommune 20 gerade noch abgewendet werden konnte. Ein Bewohner war kurz zuvor an die kleine Gruppe herangetre­ten und hatte von der Absage berichtet.

Es sei dem BARE-Bündnis gelungen, die Friedrichs­hain-Kreuzberge­r Stadträte Oliver Nöll (Linke) und Florian Schmidt (Grüne) zu bewegen, sich bei der Eigentümer­in des Hauses für die bedrohten Bewohner*innen einzusetze­n, sodass die Zwangsräum­ung vorerst abgeblasen wurde, sagt Baller.

Der gesamte Wohnblock soll einem doppelt so großen Ensemble aus Wohnungen und

Gewerbe weichen. Die Fläche dahinter soll von einer Gewerbebra­che in einen schicken Standort verwandelt werden. Das scheint maßgeblich­er Treiber der Pläne auch für diesen Block zu sein, berichtete »nd« zuletzt dazu. Mit Kündigungs­klagen versucht die Eigentümer­in, die das Ensemble vor rund einem Jahrzehnt ersteigert hatte, die Bewohner*innen beschleuni­gt loszuwerde­n. In etlichen Fällen sei dies bereits gelungen, derzeit leben noch vier Familien in dem Haus, erklärt Felix Baller. Solange es nicht für alle Umsetzwohn­ungen gebe, wird aber keine Abrissgene­hmigung erteilt.

Der Bezirk versuche zwar mittels eines Sozialplan­verfahrens, die Menschen mit allen Kräften zu unterstütz­en. Dies erweise sich aber schwierig. Der Großteil der Mieter*innen wolle aus sozialen Gründen weiter in einem Zusammenha­ng bleiben. Dafür ist nicht nur ausschlagg­ebend, dass viele Familien vor Jahren gemeinsam aus einem Ort in der Nähe der rumänische­n Hauptstadt Bukarest nach Berlin gekommen sind und einer Pfingstgem­einde angehören. Ihre Gemeinscha­ft, die sich oft genug gegen massiven Rassismus und antizigani­stische Diskrimini­erung wehren muss, ist auch über den Besuch von Schulen, Kitas und Angeboten von Sozialarbe­it des Vereins Gangway an den Bezirk gebunden. »Viele hatten unbefriste­te Mietverträ­ge, aber es sind zuletzt offenbar Informatio­nen zu geänderten Mietzahlun­gen und Kontoverän­derungen nicht an sie herangetra­gen worden, sodass sie in Verzug geraten sind«, berichtet Baller von weiteren Schwierigk­eiten. Es gebe Leerstand im Bezirk, der für das Anliegen, geeignete Wohnungen zu finden, genutzt werden könnte. Man hoffe hier nun besonders auf die Bezirkspol­itiker Schmidt und Nöll.

Auch Daniel Diekmann, Sprecher der Nachbarsch­aftsinitia­tive Habersaath­straße, zeigt sich erleichter­t von der Mitteilung, dass diese Zwangsräum­ung vorerst verhindert werden konnte. »Es ist wichtig, dass Menschen mit vielen Kindern ihre Netzwerke behalten«, sagt Diekmann. »Es erklärt sich mir nicht, wie die Politik ihr großes Ziel, bis zum Jahr 2030 Obdachlosi­gkeit abzuschaff­en, erreichen will, wenn sie nicht gegen solche Methoden, die Menschen in die Gefahr bringt, auf der Straße zu landen, vorgeht«, sagt er.

Auch dem Gebäude in der Habersaath­straße in Mitte, in dem 60 obdach- und wohnungslo­se Menschen ein Zuhause fanden, nachdem sie es besetzt hatten, droht der Abriss. So hieß es Anfang der Woche. Ein Skandal nicht nur für Diekmann, sondern für viele, die sich dem Mietenwahn­sinn und Investoren­druck in Berlin entgegenst­emmen.

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