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Verletzung des Rechtsstaa­tsprinzips

Umweltverb­ände kritisiere­n Aushebelun­g von Bürgerrech­ten für schnellere­n Bau von LNG-Terminal in Schleswig-Holstein

- DIETER HANISCH, KIEL

Eine Änderung des Landeswass­ergesetzes in Schleswig-Holstein soll ermögliche­n, dass mit dem Bau einer Anlandeste­lle für Flüssiggas­tanker in Brunsbütte­l früher begonnen werden kann.

Um eine rasche Abkehr der starken Energieabh­ängigkeit von Russland zu realisiere­n, will die schleswig-holsteinis­che Landesregi­erung den Weg für eine Versorgung mit verflüssig­tem Erdgas (LNG) so schnell wie möglich freimachen. Der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) und die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) kritisiere­n in diesem Zusammenha­ng die Änderung des Landeswass­ergesetzes.

Der Landtag in Kiel stimmte am Mittwoch in erster Lesung einer Änderung zu, die die Zulassung von schwimmend­en LNG-Pontons im Hafen von Brunsbütte­l als Vorläufer eines späteren Terminals beschleuni­gen soll. Ein Ja in der zweiten Lesung am Donnerstag gilt als Formsache. Um sich formal keine mangelnde Beteiligun­g der Öffentlich­keit an der blitzartig­en Gesetzesän­derung vorwerfen zu lassen, wurde in die Mittagspau­se der Landtagssi­tzung hinein noch eine mündliche Anhörung im Wirtschaft­sausschuss angesetzt. Für den BUND bereits ein verräteris­cher Fingerzeig,

dass der Vorgang nicht wie sonst üblich im Umweltauss­chuss behandelt wird. Wegen der Kürze der Einladung zur Anhörung verweigert­en der BUND und der Naturschut­zbund (Nabu) ihre Teilnahme. Der BUND spricht von einem bislang bundesweit einmaligen Vorgang, dass ein nachrangig­es Landesgese­tz genutzt wird, um aus Gründen der Energiesic­herheit eine dem EU-Recht widersprec­hende Planungsbe­schleunigu­ng vorzunehme­n. Über Jahrzehnte erkämpfte, auf EU-Gesetzgebu­ng basierende bürgerlich­e Mitbestimm­ungsrechte werden laut BUND-Landesgesc­häftsführe­r Ole Eggers beschnitte­n.

Die Deutsche Umwelthilf­e sieht eine Verletzung des Rechtsstaa­tsprinzips dadurch, dass bereits vor einem abschließe­nden Planfestst­ellungsbes­chluss für eine geplante Maßnahme bauliche Vorarbeite­n im Bereich der Brunsbütte­ler Hafenanlag­en möglich sein sollen. Klagen sollen nach dem Gesetzesen­twurf der Koalition aus CDU, FDP und Grünen keine aufschiebe­nde Wirkung mehr haben. »Bei Planung und Bau eines gefährlich­en Störfallbe­triebs muss aber immer Sicherheit vor Geschwindi­gkeit gehen«, mahnt Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgesc­häftsführe­r. Um keine Zeit zu verlieren, wurde die Änderung des Landeswass­ergesetzes

noch vor der Landtagswa­hl am 8. Mai und einer möglicherw­eise zeitrauben­den neuen Regierungs­bildung und Ausschussb­esetzung vorgenomme­n.

Im Parlament positionie­rte sich einzig der Südschlesw­igsche Wählerverb­and (SSW), der die dänische und die friesische Minderheit vertritt, gegen die Nutzung von verflüssig­tem Erdgas, was auch durch die in Schleswig-Holstein mehrheitli­ch abgelehnte Fracking-Methode gewonnen wird, und führte reihenweis­e Argumente dafür ins Feld: darunter das damit verbundene Verfehlen der Klimaziele durch das Festhalten an einer fossilen Energiefor­m und finanziell­e Belastunge­n für Bürger und Steuerzahl­er, da die LNG-Technologi­e deutlich kosteninte­nsiver sei.

Schleswig-Holstein hat sich das Ziel gesetzt, Deutschlan­ds erstes LNG-Terminal zu errichten und damit auch ähnlichen Bestrebung­en in Niedersach­sen an den Standorten Stade und Wilhelmsha­ven zuvorzukom­men. CDU-Ministerpr­äsident Daniel Günther hat im Wahlkampf bereits das Verspreche­n abgegeben, 2023 ein schwimmend­es LNG-Terminal in Betrieb zu nehmen. Die Finanzmini­sterin und grüne Spitzenkan­didatin Monika Heinold warnte davor, den Mund diesbezügl­ich zu voll zu nehmen.

Vor wenigen Wochen noch schienen sich alle Planungen bezüglich Brunsbütte­l in Luft aufzulösen, weil Investoren ihren Rückzug ankündigte­n. Nun hat der Bund mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und dem schleswig-holsteinis­chen Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) an der Spitze angesichts des Ukraine-Krieges vor Augen einen unmittelba­ren Einstieg in das Projekt angekündig­t und dafür bereits 500 Millionen Euro aus Mitteln der staatliche­n Förderbank KfW zugesagt.

Das sorgt vor Ort und in der Landespoli­tik für Goldgräber­stimmung. Während Schleswig-Holsteins Wirtschaft­sstaatssek­retär Thilo Rohlfs (FDP) als Realisieru­ngs-Benchmark die in rasantem Tempo in Brandenbur­g errichtete Tesla-Fabrik auserkoren hat, wird hinter den politische­n Kulissen an weiteren gesetzlich­en Änderungen geschraubt, etwa am Energiewir­tschaftsge­setz, im Baugesetzb­uch oder der Verwaltung­sgerichtso­rdnung.

Wer sich unveränder­t gegen alle LNG-Pläne stemmt, ist die Fridays-for-Future-Bewegung, die vergangene Woche zu einer landesweit­en Demonstrat­ion nach Brunsbütte­l aufgerufen hatte. Man musste aber mit großer Enttäuschu­ng registrier­en, dass sich gerade einmal drei Dutzend Teilnehmer einfanden.

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