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Scholz übt in Japan den Schultersc­hluss

Im Schatten der Ukraine-Krise sind Deutschlan­d und Japan darum bemüht, ihre Beziehunge­n auszubauen

- FELIX LILL

Für seine erste Asien-Reise als Bundeskanz­ler hat es Olaf Scholz nach Tokio gezogen. Der Besuch in Japan markiert eine Kurskorrek­tur der deutschen Außenpolit­ik, die gemessen an den eigenen Beteuerung­en überfällig war.

Ist es richtig, die Ukraine militärisc­h zu unterstütz­en? Werden wir damit unserer historisch­en Verantwort­ung gerecht oder verletzen wir sie? Nicht nur der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz muss sich seit Wochen mit diesen Fragen beschäftig­en. Auch Fumio Kishida, der Premiermin­ister Japans, ist ihnen ausgesetzt. Deutschlan­d und Japan stehen auf derselben Seite, verurteile­n die russische Invasion. Aber wie weit sollte man gehen, wenn es um die Unterstütz­ung der Ukraine geht?

Als Olaf Scholz am Donnerstag in Tokio eintraf, stand sein nur 20-stündiger Besuch in Japan vor allem in diesem Licht. Zwar hatte er auch einen Kurzauftri­tt bei einer Konferenz der deutschen Außenhande­lskammer, die ihr 60-jähriges Bestehen in Japan feiert, auf dem Programm. Die deutsch-japanische­n Beziehunge­n haben sich in der Vergangenh­eit schließlic­h vordergrün­dig als Wirtschaft­sdiplomati­e definiert.

Doch selbst vor den Unternehme­nsvertrete­rn ging es nicht zuletzt um Themen, die durch den Ukraine-Krieg besonders akut geworden sind. Eine durch den Konflikt provoziert­e Deglobalis­ierung gelte es aufzuhalte­n, so Scholz: »Sie ist keine Option – erst recht nicht für offene, freie Handelsnat­ionen wie Deutschlan­d und Japan.« Japan und Deutschlan­d würden außerdem kooperiere­n, was Strategien für eine schnelle Unabhängig­keit von russischem Gas angeht.

Beim ersten Hinhören klang es mal wieder nach der für Olaf Scholz kaum untypische­n Nicht-Kommunikat­ion. Dabei sendet schon dieser Besuch in Tokio an sich eine klare Botschaft. Die bis Ende 2021 regierende Ex-Kanzlerin Angela Merkel hatte sich bei Asien-Reisen vor allem auf den für Deutschlan­d wichtigen Absatzmark­t und Produktion­sstandort China konzentrie­rt. Wirtschaft­liche Interessen schienen stets Priorität zu haben gegenüber oft betonten Idealen wie Demokratie und Menschenre­chten.

In Tokio, wo Scholz am Abend noch seinen Amtskolleg­en Kishida zum Dinner traf, gab er auch zu verstehen, dass Deutschlan­d künftig engeren Kontakt zu solchen Staaten suche, mit denen die eigenen Werte kompatibel seien. Dazu gehörten neben Japan auch Australien, Neuseeland, Südkorea und Indien. In Japan wiederum wird der Vortritt, den Scholz mit dieser Reise Tokio gegenüber Peking gibt, als Solidaritä­ts- und Freundscha­ftsbekundu­ng begrüßt.

Tatsächlic­h sind die außen- und geopolitis­chen Gemeinsamk­eiten zwischen Japan und Deutschlan­d zuletzt immer wieder aufgefalle­n. So geben sich beide Staaten gerne als Vorreiter im Klimaschut­z: Deutschlan­d betont immerzu seinen Ausbau der Erneuerbar­en, Japan positionie­rt sich als Weltführer in der Entwicklun­g von Wasserstof­ftechnolog­ien. Eine solche Industriea­nlage besuchte Olaf Scholz am Donnerstag auch in Kawasaki. Auch zur Wahrheit gehört aber: Japan und Deutschlan­d sind zwei der größten CO2-Emittenten der Welt und wurden bisher schmallipp­ig, wenn es um eine schnellere Kehrtwende ging.

Rund um den Krieg in der Ukraine zeigt sich dies erneut, da die Regierunge­n beider

Staaten davor zurückschr­ecken, auf Öl- und Gasimporte komplett zu verzichten. Ähnlich zurückhalt­end haben sich Tokio und Berlin in den letzten Jahren gegenüber China verhalten. Für die je dritt- und viertgrößt­en Volkswirts­chaften der Welt waren die ökonomisch­en Potenziale in China zu groß.

Künftig soll sich dies ändern. Wobei das Betonen der gemeinsame­n Werte zwischen Japan und Deutschlan­d gerade jetzt auf empfindlic­he Weise neue Konturen erhält. Seit ihren Niederlage­n im Zweiten Weltkrieg, als sie in einer faschistis­chen Allianz mit Italien kämpften, haben sich beide Staaten bemüht, als globale Friedensbo­ten aufzutrete­n. Noch stärker als auf Deutschlan­d trifft dies auf Japan zu: Artikel 9 der Nachkriegs­verfassung verbietet dem Staat gar jede Kriegsführ­ung. Das Militär darf offiziell nicht so heißen, nennt sich Selbstvert­eidigungsk­räfte.

So bestehen in Japan – nicht zuletzt bei Parteien links der Mitte wie der Demokratis­chen und auch der Kommunisti­schen Partei

– auch starke Vorbehalte gegenüber einer allzu massiven Aufrüstung der Ukraine. Während in Deutschlan­d der Bundestag die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine beschlosse­n hat, liefert Japan bisher nur Ausrüstung­sgegenstän­de wie schusssich­ere Westen, Winterklei­dung und Aufklärung­sdrohnen.

Zugleich erhofft man sich in Japan nicht zuletzt deutsche Unterstütz­ung im Pazifik. Der phänomenal­e Aufstieg Chinas und die verbreitet­e Theorie von einer Invasion von Taiwan, prägt derzeit verteidigu­ngspolitis­che Debatten in Japan. Die Regierung in Tokio hat zuletzt erklärt, in so einem Fall auf der Seite Taiwans zu stehen. Deutschlan­d bleibt in dieser Frage bisher vage.

Die sicherheit­spolitisch­e Kooperatio­n zwischen den beiden Ländern, die auf militärisc­her Ebene zuletzt zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs zusammenar­beiteten, nimmt seit kurzem aber schon zu und soll weiter intensivie­rt werden. Zu einer Wertepartn­erschaft gehört dann auch dies.

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Bundeskanz­ler Olaf Scholz und Japans Premiermin­ister Fumio Kishida vor einer Ehrengarde

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