nd.DerTag

Fachkräfte statt Flüchtling­e

EU-Kommission will Visavergab­e für Arbeitskrä­fte vereinfach­en und gleichzeit­ig illegale Migration bekämpfen

- FABIAN LAMBECK, BRÜSSEL

Die von der EU-Kommission vorgestell­ten Eckpunkte für einen Migrations­pakt in der Union legen den Fokus auf die legale und gewünschte Einwanderu­ng qualifizie­rter Arbeitskrä­fte. Menschen, die vor Armut fliehen, sind weiter unerwünsch­t.

Der Auftakt hätte unglücklic­her nicht sein können: Kurz vor der Präsentati­on seiner Vorschläge für vereinfach­te Migrations­verfahren traf sich der zuständige Kommission­sVizepräsi­dent Margaritis Schinas mit Vertretern der ultrarecht­en Vox aus Spanien. Die Partei hetzt gegen »illegale Migranten« und will diese »deportiere­n« lassen. Vor allem in spanischen Medien war die Empörung deshalb groß, auch weil Schinas das Treffen mit den Rechtsausl­egern nicht öffentlich gemacht hatte. In seiner offizielle­n Tagesordnu­ng war das Gespräch nicht verzeichne­t.

Schinas verwies später darauf, dass er als Kommission­svertreter mit »allen Parteien von links bis rechts« sprechen müsse. Ein ebenfalls nachgereic­htes Foto zeigte den Vize entspannt lächelnd zwischen seinen rechtsextr­emen Gesprächsp­artnern. Offensicht­lich waren die Differenze­n in der Sache nicht so groß.

»Unser strategisc­hes Ziel sollte darin bestehen, die irreguläre Migration durch legale Zuwanderun­gsmöglichk­eiten zu ersetzen.« Ylva Johansson EU-Innenkommi­ssarin

Ebenso wie Vox unterschei­det auch die EU zwischen guter, also »legaler«, Migration in die Arbeitsmär­kte und »illegaler« Migration. Die EU zählt pro Jahr bis zu 3,5 Millionen legale Migrant*innen aus Nicht-EU-Staaten und 200 000 Illegalisi­erte, wobei die Dunkelziff­er höher liegen dürfte.

Die Kommission will nun die legale Einreise von Fachkräfte­n erleichter­n. Oder um es mit den Worten von EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson zu sagen: »Unser strategisc­hes Ziel sollte darin bestehen, die irreguläre Migration durch legale Zuwanderun­gsmöglichk­eiten zu ersetzen.« Dass die Rechnung aufgeht, darf bezweifelt werden. Für Kriegsflüc­htlinge, politisch Verfolgte oder Menschen aus gescheiter­ten Staaten ist es oft unmöglich, in ihrem Land entspreche­nde Papiere oder gar Visa zu beantragen, wie Flüchtling­sorganisat­ionen betonen.

Erklärtes Ziel des neuen Migrations- und Asylpakets, das derzeit in Brüssel geschnürt wird, ist die Bekämpfung des europäisch­en Fachkräfte­mangels. Kommissari­n Johansson machte das am Mittwoch in Brüssel noch einmal deutlich: »Wir haben einen Mangel in vielen Mitgliedst­aaten, weil die arbeitsfäh­ige Bevölkerun­g schrumpft.« Die demografis­chen Lücken sollen nun Menschen aus Drittstaat­en füllen. Doch was ist mit jenen ohne Ausbildung und Universitä­tsabschlus­s? Die sollen draußen bleiben.

Dabei perfektion­iert die EU ihre Strategie, wonach »illegale« Migration durch die Herkunftsl­änder gestoppt werden soll. So will die Kommission Marokko, Tunesien und Ägypten im Rahmen von »Talentpart­nerschafte­n enger an die EU binden«, wie Johansson erklärte. Diese Länder sollen bevorzugt Arbeitskrä­fte entsenden dürfen. Das

Magazin »Politico« vermutet, dass diese Partnersch­aft »wahrschein­lich eine stillschwe­igende Verpflicht­ung der Partnerlän­der voraussetz­en wird, gegen ›illegale‹ Migration vorzugehen«.

Für gut ausgebilde­te Fachkräfte soll es jedoch einfacher werden, Aufenthalt­s- und Arbeitserl­aubnisse in der EU zu beantragen. Die Kommission will dazu zwei Richtlinie­n überarbeit­en, um so den Mitgliedst­aaten die »rechtliche­n Instrument­e« in die Hand zu geben. Tatsächlic­h sind die Einzelstaa­ten für die Visavergab­e verantwort­lich, die EU setzt nur den Rahmen.

Ebendiesen Rahmen will die EU nun deutlich erweitern. So sollen Menschen mit Langzeitvi­sa zukünftig auch innerhalb der EU das Land wechseln dürfen. Bislang müssen sie fünf Jahre in einem Staat bleiben und dort arbeiten, andernfall­s verlieren sie ihr Visum.

Auch für Arbeitnehm­er*innen mit einem sogenannte­n Single-Permit-Visum, das für mehr als 90 Tage gilt, soll es Vereinfach­ungen geben. So sollen die Betroffene­n künftig ihren Arbeitgebe­r wechseln dürfen. Das sei bislang verboten gewesen und habe die Menschen erpressbar gemacht, wie Johansson unterstric­h.

Die Reform zielt auch auf die fünf Millionen aus der Ukraine Geflüchtet­en, die sich mittlerwei­le in der EU aufhalten. Anfang März hatten sich die EU-Staaten auf einen zunächst auf drei Jahre befristete­n Schutz für diese Menschen geeinigt. Diese Zeit soll nach dem Kommission­svorschlag für einen dauerhafte­n Aufenthalt­stitel angerechne­t werden.

Die Kommission plant eine EU-weite Plattform und einen Fachkräfte­pool, der Arbeitgebe­rn aus ganz Europa offenstehe­n soll. Ein entspreche­ndes Pilotproje­kt für diese Art von Jobbörse soll mit ukrainisch­en Geflüchtet­en anlaufen.

 ?? ?? Illegale Migration will die EU in den Herkunftsl­ändern effektiver eindämmen lassen und stattdesse­n Fachkräfte anlocken.
Illegale Migration will die EU in den Herkunftsl­ändern effektiver eindämmen lassen und stattdesse­n Fachkräfte anlocken.

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