Fachkräfte statt Flüchtlinge
EU-Kommission will Visavergabe für Arbeitskräfte vereinfachen und gleichzeitig illegale Migration bekämpfen
Die von der EU-Kommission vorgestellten Eckpunkte für einen Migrationspakt in der Union legen den Fokus auf die legale und gewünschte Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Menschen, die vor Armut fliehen, sind weiter unerwünscht.
Der Auftakt hätte unglücklicher nicht sein können: Kurz vor der Präsentation seiner Vorschläge für vereinfachte Migrationsverfahren traf sich der zuständige KommissionsVizepräsident Margaritis Schinas mit Vertretern der ultrarechten Vox aus Spanien. Die Partei hetzt gegen »illegale Migranten« und will diese »deportieren« lassen. Vor allem in spanischen Medien war die Empörung deshalb groß, auch weil Schinas das Treffen mit den Rechtsauslegern nicht öffentlich gemacht hatte. In seiner offiziellen Tagesordnung war das Gespräch nicht verzeichnet.
Schinas verwies später darauf, dass er als Kommissionsvertreter mit »allen Parteien von links bis rechts« sprechen müsse. Ein ebenfalls nachgereichtes Foto zeigte den Vize entspannt lächelnd zwischen seinen rechtsextremen Gesprächspartnern. Offensichtlich waren die Differenzen in der Sache nicht so groß.
»Unser strategisches Ziel sollte darin bestehen, die irreguläre Migration durch legale Zuwanderungsmöglichkeiten zu ersetzen.« Ylva Johansson EU-Innenkommissarin
Ebenso wie Vox unterscheidet auch die EU zwischen guter, also »legaler«, Migration in die Arbeitsmärkte und »illegaler« Migration. Die EU zählt pro Jahr bis zu 3,5 Millionen legale Migrant*innen aus Nicht-EU-Staaten und 200 000 Illegalisierte, wobei die Dunkelziffer höher liegen dürfte.
Die Kommission will nun die legale Einreise von Fachkräften erleichtern. Oder um es mit den Worten von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zu sagen: »Unser strategisches Ziel sollte darin bestehen, die irreguläre Migration durch legale Zuwanderungsmöglichkeiten zu ersetzen.« Dass die Rechnung aufgeht, darf bezweifelt werden. Für Kriegsflüchtlinge, politisch Verfolgte oder Menschen aus gescheiterten Staaten ist es oft unmöglich, in ihrem Land entsprechende Papiere oder gar Visa zu beantragen, wie Flüchtlingsorganisationen betonen.
Erklärtes Ziel des neuen Migrations- und Asylpakets, das derzeit in Brüssel geschnürt wird, ist die Bekämpfung des europäischen Fachkräftemangels. Kommissarin Johansson machte das am Mittwoch in Brüssel noch einmal deutlich: »Wir haben einen Mangel in vielen Mitgliedstaaten, weil die arbeitsfähige Bevölkerung schrumpft.« Die demografischen Lücken sollen nun Menschen aus Drittstaaten füllen. Doch was ist mit jenen ohne Ausbildung und Universitätsabschluss? Die sollen draußen bleiben.
Dabei perfektioniert die EU ihre Strategie, wonach »illegale« Migration durch die Herkunftsländer gestoppt werden soll. So will die Kommission Marokko, Tunesien und Ägypten im Rahmen von »Talentpartnerschaften enger an die EU binden«, wie Johansson erklärte. Diese Länder sollen bevorzugt Arbeitskräfte entsenden dürfen. Das
Magazin »Politico« vermutet, dass diese Partnerschaft »wahrscheinlich eine stillschweigende Verpflichtung der Partnerländer voraussetzen wird, gegen ›illegale‹ Migration vorzugehen«.
Für gut ausgebildete Fachkräfte soll es jedoch einfacher werden, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse in der EU zu beantragen. Die Kommission will dazu zwei Richtlinien überarbeiten, um so den Mitgliedstaaten die »rechtlichen Instrumente« in die Hand zu geben. Tatsächlich sind die Einzelstaaten für die Visavergabe verantwortlich, die EU setzt nur den Rahmen.
Ebendiesen Rahmen will die EU nun deutlich erweitern. So sollen Menschen mit Langzeitvisa zukünftig auch innerhalb der EU das Land wechseln dürfen. Bislang müssen sie fünf Jahre in einem Staat bleiben und dort arbeiten, andernfalls verlieren sie ihr Visum.
Auch für Arbeitnehmer*innen mit einem sogenannten Single-Permit-Visum, das für mehr als 90 Tage gilt, soll es Vereinfachungen geben. So sollen die Betroffenen künftig ihren Arbeitgeber wechseln dürfen. Das sei bislang verboten gewesen und habe die Menschen erpressbar gemacht, wie Johansson unterstrich.
Die Reform zielt auch auf die fünf Millionen aus der Ukraine Geflüchteten, die sich mittlerweile in der EU aufhalten. Anfang März hatten sich die EU-Staaten auf einen zunächst auf drei Jahre befristeten Schutz für diese Menschen geeinigt. Diese Zeit soll nach dem Kommissionsvorschlag für einen dauerhaften Aufenthaltstitel angerechnet werden.
Die Kommission plant eine EU-weite Plattform und einen Fachkräftepool, der Arbeitgebern aus ganz Europa offenstehen soll. Ein entsprechendes Pilotprojekt für diese Art von Jobbörse soll mit ukrainischen Geflüchteten anlaufen.