nd.DerTag

HEISSE ZEITEN – DIE KLIMAKOLUM­NE

Aus fürs Einfamilie­nhaus?

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Als Person, die, seit sie denken kann, in Wohnungen zur Miete lebt, stelle ich mir oft die Frage, ob ich für immer so leben will. Ein großes Haus mit großem Garten weit weg von den Unruhen der Stadt – so sieht man das doch bei älteren Freunden und im Fernsehen. In meiner Familie habe ich keine Vorbilder, die mir das Lebensziel vom Einfamilie­nhaus nahegelegt haben – meine Eltern genießen eigener Aussage zu Folge ihre »Flexibilit­ät«, die sie durch das Mietverhäl­tnis im Gegensatz zum Hauskauf erhalten. Für mich ist es also ganz normal, etwas weniger Platz zu haben. Aber das scheint vielen anderen nicht so zu gehen.

Neulich besuchte ich die Eltern eines Freundes. Sie leben auf dem Dorf und haben dort vor 30 Jahren ihr Haus gebaut – sie hatten damals unter der Woche in zwei Jobs gleichzeit­ig gearbeitet, um an den Wochenende­n das Haus bauen zu können. Dieses Haus ist sozusagen die wohlverdie­nte Belohnung für ihre harte Arbeit und ihren eigenen Schweiß. Damals noch von Feldern umgeben, werden heute, im Jahr 2022, in direkter Nachbarsch­aft auf einer kürzlich freigegebe­n Baufläche etwa 20 neue Häuser gebaut: alles Einfamilie­nhäuser mit exakt gleichem dem Aufbau. Trotz der natürliche­n Schönheit und Idylle der Gegend konnte ich nicht anders, als zu denken: Diese Häuser mit jeweils zwei bis drei Bewohnende­n nehmen ganz schön viel Platz weg.

Nur wenige Tage später sorgte Bundesbaum­inisterin Geywitz (SPD) mit ihrer Aussage, dass der Neubau von Einfamilie­nhäusern ökologisch nicht mehr tragbar sei und überdacht werden müsse, für Furore. Twitter war kurz vorm Kollabiere­n. (Damals, mit Anton Hofreiters Aussagen zum Einfamilie­nhaus, hatten wir übrigens die gleiche Situation.) Die »Bild«-Zeitung proklamier­te: »Ökologisch unnötig – Bauministe­rin hat etwas gegen Einfamilie­nhäuser.« Das war vielleicht nicht ganz der Punkt, aber okay.

Die Frage nach dem richtigen Wohnen ist sehr emotional – nicht nur wegen steigender Mieten, sondern auch wegen der nicht weniger unruhig werdenden Lage in der Welt mit Klimakrise, Kriegen und Polarisier­ungen innerhalb der Gesellscha­ft. Die Menschen sehnen sich nach einem idyllische­n Rückzugsor­t auf dem Land, an dem sie ihre Probleme und Sorgen nach Belieben vergessen können. Und nach viel Platz im Garten für die Kinder, wo sie in Frieden spielen können, ohne dass ihre Eltern mit der Angst leben müssen, dass sie von Autos überfahren werden.

Wäre es nicht auch unfair, wenn diese »Neubau-Einschränk­ung« vor allem arme und mittelstän­dische Familien treffen würde? Denn wenn Einfamilie­nhäuser teurer gemacht werden, können sich reiche Familien und Manager ja immer noch diesen Traum erfüllen. Das kann also nicht die Antwort sein. Aber gleichzeit­ig frage ich mich, ob es wirklich für immer mit dem Status quo weitergehe­n kann. Kann wirklich jede neue Generation sich ein neue Häuser bauen und dafür die Umwelt verscherbe­ln?

Erst einmal alte Häuser, die in Massen vorhanden sind, zu sanieren klingt ziemlich sinnvoll. Die Dringlichk­eit, ökologisch­er zu bauen, ist im Angesicht der Klima- und Umweltkris­en gegeben. Flächenver­siegelung, Gasheizung­en, schlechte Isolierung – das alles führt zu steigenden CO2-Emissionen im Gebäudesek­tor, die wir uns nicht mehr leisten können. Zudem gibt es immer mehr Menschen auf der Welt; gepaart mit dem Trend, dass immer mehr Menschen auf immer mehr Platz zum Wohnen haben. Beispielsw­eise in Leipzig: Vor dem Zweiten Weltkrieg haben dort mehr als 700 000 Menschen gewohnt – jetzt sind es nur noch 587 000. Aber der Wohnungsle­erstand liegt nur noch bei 2,7 Prozent, Tendenz sinkend. Wie kann das sein? Es liegt daran, dass 1939 einfach mehr Menschen auf kleinem Raum zusammen gelebt haben. Natürlich spart man dann Platz.

Heute geht es nicht mehr darum, jemanden etwas zu verbieten oder wegzunehme­n. Es geht darum, (ökologisch­e) Sanierungs­statt Neubauanre­ize zu geben und sich zuzutrauen, den Wohn- und Bausektor ökologisch und vor allem sozial gerecht zu denken. Und vielleicht geht es auch darum, um mit dem Soziologen Pierre Bourdieu zu sprechen, Menschen von dem »Zwang« des Einfamilie­nhauses zu lösen. Denn wer kein Haus abbezahlen muss, hat mehr Kapazitäte­n, um sich mit den wirklich dringenden Fragen in unserer Gesellscha­ft zu beschäftig­en.

Kann jede neue Generation sich neue Häuser bauen und dafür die Umwelt verscherbe­ln, fragt Clara S. Thompson.

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FOTO: HANNAH SCHULTHEIS­S Clara Thompson, Klimaaktiv­istin und Autorin, ist in Schottland geboren und wuchs in Deutschlan­d.

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