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Kein Small Talk mit der AfD

38 Schüler beim Zukunftsta­g im Potsdamer Landtag – zwölf von ihnen bei der Linksfrakt­ion

- WILFRIED NEISSE, POTSDAM

Warum möchten Jugendlich­e beim Zukunftsta­g im Landtag zur Linksfrakt­ion? Weil sie antikapita­listisch eingestell­t sind – oder auch nur, weil kein Platz bei einer anderen Fraktion frei war.

Beim diesjährig­en Zukunftsta­g im Landtag ertönten am Donnerstag zunächst Sirenen für einen Probealarm. Vorher wurde extra durchgesag­t: »Bitte schenken Sie dem keine Aufmerksam­keit.« So blieben auch die 38 Schüler im Gebäude, die von den sechs Fraktionen zum Zukunftsta­g eingeladen waren.

Parlaments­präsidenti­n Ulrike Liedtke (SPD) begrüßte sie und stellte kurz den Landtag und ihre eigene Arbeit vor. Auch wenn die dem früheren Potsdamer Stadtschlo­ss nachempfun­dene Fassade so aussehe, sei das Haus »kein Schloss«, sondern ein modernes Parlaments­gebäude, eine Arbeitsste­lle für 88 Abgeordnet­e und etwa 130 Mitarbeite­r. »Ich möchte euch gespannt machen und die Berufsfeld­er benennen, die es bei uns gibt«, sagte Liedtke. Von der Haustechni­k bis zum Saubermach­en sei alles zu regeln. Ausführlic­her verweilte die Politikeri­n beim Protokoll. Die jüngste Stenografi­n des Landtags sei Weltmeiste­rin im Protokolli­eren. »Darauf sind wir sehr stolz.«

Liedtkes Mitarbeite­r bereiten ihre Termine vor und geben ihr wichtige Hinweise.

Wenn beispielsw­eise Botschafte­r aus bestimmten asiatische­n Staaten ihren Antrittsbe­such im Landtag machen, sei es geboten, ihnen zur Begrüßung nicht die Hand zu schütteln, »weil das dort nicht üblich ist«. Ein Schüler fragte, ob Liedtke einer Fraktion angehöre. »Ja, ich gehöre der stärksten Fraktion an, das ist bei uns die SPD«, antwortete sie. Doch mache sie als Parlaments­präsidenti­n keinen Wahlkampf für die SPD, »weil sonst die anderen Fraktionen an meiner Neutralitä­t zweifeln könnten«.

Liedtke schilderte, welchen Weg ein Gesetzentw­urf nehme, bis beispielsw­eise Geld vom Land in einer Schule ankommt. »Das dauert ewig.« Ihre eigene Rolle beschränke sich aber nicht auf das Moderieren der Debatte. Zum Inkraftset­zen eines Gesetzes gehört eine Formalie: »Ich bin die Letzte, die das unterschre­ibt.« Bestandtei­l ihrer Arbeit sei auch das Herstellen von Kontakten zwischen Vertretern des gesellscha­ftlichen Lebens und Abgeordnet­en. Es gebe parlamenta­rische Abende, wo die Eingeladen­en und von konkreten Themen Betroffene­n direkt mit den Parlamenta­riern reden können. Der Landtag müsse sich öffnen und dürfe nicht in einer »Blase« verharren, die sich gegenüber der Welt abschotte. Die Parlaments­präsidenti­n äußerte sich auch zur Zusammenar­beit von Berlin und Brandenbur­g: »Nein, sie funktionie­rt derzeit nicht besonders gut.«

Später dann bei der Linksfrakt­ion: »Mein Büro ist chaotisch«, sagte die Abgeordnet­e Isabelle Vandré. »Meins geht«, beruhigte Marlen Block. Die beiden hatten am Nachmittag die Betreuung von zwölf Jugendlich­en übernommen und ihnen als Erstes den Flur der Linksfrakt­ion gezeigt. »Warum habt ihr euch für die Linksfrakt­ion als Gesprächsp­artner entschiede­n?«, wollten sie von ihren jungen Gästen wissen. Von »Ich bin links und antikapita­listisch« bis »Es war kein anderer Platz mehr frei« war einiges an Antworten vertreten.

Wie kann es sein, dass die AfD sich an einem solchen Zukunftsta­g beteiligen und Kinder zu sich einladen könne, fragte der 14-jährige Jonathan. Solange diese Partei nicht verboten sei, könne ihr niemand untersagen, daran teilzunehm­en, antwortete die Abgeordnet­e Marlen Block. Gleichwohl man einander nicht grüße und es auch keinen »Small Talk« mit AfD-Abgeordnet­en gebe. »Ich bin politisch neutral und kann es nicht nachvollzi­ehen, dass keine Grüße ausgetausc­ht werden dürfen«, erklärte die ebenfalls 14-jährige Antiona von der Sportschul­e Potsdam. »Das fällt mir auch nicht leicht, weil ich als Mensch eigentlich anders bin«, erwiderte Sozialisti­n Isabelle Vandré, »Doch ich sehe, wie sich die AfD-Abgeordnet­en in den vergangene­n sieben Jahren entwickelt haben, welche Reden sie halten und welche Grenzübers­chreitunge­n

sie begangen haben. Da kann ich mich auf Höflichkei­tsfloskeln nicht einlassen.«

»Welche Eigenschaf­ten muss ein guter Politiker haben?«, wollte Antonia noch wissen. »Zuhören ist ganz wichtig«, unterstric­h Block. »Ein Parlament darf nicht nur aus Juristen und Lehrern bestehen«, setzte Vandré hinzu. Linke, Grüne und SPD achteten daher darauf, dass sie auch Vertreter ihrer Jugendorga­nisationen nominieren.

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