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Waffen oder Atomwaffen?

Die Ukraine wird zu einem imperialis­tischen Schlachtfe­ld. Der Krieg markiert auch die Sackgasse systemimma­nenter linker Politikbem­ühungen in der voll einsetzend­en Krise des Spätkapita­lismus. Ein Kommentar

- TOMASZ KONICZ

Die Entscheidu­ng fiel wohl kurz vor Ramstein. Bei dem Treffen von Politikern aus 40 Nato-Ländern und verbündete­n Staaten, die auf der US-Luftwaffen­basis über militärisc­he Hilfsmaßna­hmen für die Ukraine berieten, kündigte Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) die Lieferung schwerer Waffen in Gestalt des Flakpanzer­s »Gepard« in das Kriegsgebi­et an. Die »FAZ« sprach in diesem Zusammenha­ng von einer »gewaltigen«, allerdings auch einer »notwendige­n« Kurskorrek­tur der zuvor militärisc­h zurückhalt­enden und »russlandfr­eundlichen Zentralmac­ht Europas«.

Berlin versprach außerdem ein Ausbildung­sprogramm für ukrainisch­e Militärs sowie einen Waffen-Ringtausch mit östlichen Nato-Staaten, die ihr sowjetisch­es Arsenal im Gegenzug für deutsche Waffensyst­eme in die Ukraine schaffen werden.

Dieser Kurskorrek­tur, die wohl eher gradueller Natur ist, ging die massenhaft­e Lieferung von Kleinwaffe­n und Munition voraus. Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) gab sich bei der Bundestags­debatte zur Ukraine am vergangene­n Mittwoch alle Mühe, dem Eindruck entgegenzu­wirken, Deutschlan­d würde zu wenige Waffen an die Ukraine liefern. Man habe Tausende von Panzerfäus­ten, Flugabwehr­raketen, Maschineng­ewehren, Handgranat­en sowie Munition im Millionenb­ereich geliefert. Dies sei aber aus Geheimhalt­ungsgründe­n nicht offensiv kommunizie­rt worden, so Baerbock, die dem innen- wie außenpolit­ischen Druck auf die Bundesregi­erung auch mit Bemerkunge­n entgegentr­at, Berlin sei gegen »einen Diktatfrie­den« in der Ukraine.

Der gegenwärti­ge geopolitis­che Frontverla­uf im Ukraine-Krieg, bei dem Berlin als bremsende Kraft erscheint, während die USA in Kooperatio­n mit den östlichen Nato-Ländern (mit Ausnahme Ungarns) auf eine Eskalation des Konflikts setzen, um Putins Angriffskr­ieg dazu zu nutzen, Russland dauerhaft militärisc­h zu schwächen und als imperialis­tische Großmacht auszuschal­ten, stellt faktisch nur eine Zuspitzung der ohnehin bestehende­n Konstellat­ion dar. Die wurde schon vom US-Verteidigu­ngsministe­r Donald Rumsfeld anlässlich des Irak-Krieges 2003 auf die Formel vom »Neuen (Ost)europa«

und dem »Alten (West)europa« gebracht. Die Länder Mitteloste­uropas, wie Polen, die Baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien oder die Slowakei, neigen aus demselben Grund zu einer engen Allianzbil­dung mit den USA, wie es bei etlichen Ländern Mittel- und Südamerika­s, etwa Nicaragua oder Venezuela, im Fall Russlands oder Chinas ist – aus Angst vor den imperialen Großmächte­n in ihrer direkten Nachbarsch­aft.

Mitteloste­uropa, das gemeinsam mit Washington, London und Kiew derzeit Druck macht, damit die Bundesregi­erung ihre »Zurückhalt­ung« in der gegenwärti­gen militärisc­hen Eskalation­sspirale aufgibt, treibt nicht nur eine zuweilen ins Panische umschlagen­de Angst vor dem russischen Imperialis­mus. Es ist auch die insbesonde­re in Polen leicht abzurufend­e Befürchtun­g vor einer machtpolit­ischen Aufteilung Mitteloste­uropas zwischen Moskau und Berlin, wie sie zuletzt gerade anhand der Ostseepipe­line Nord Stream 2 lebendig gehalten wurde. Die derzeitige militärisc­he Eskalation, bei der die Ukraine zu einem Schlachtfe­ld der Großmächte wird, soll – aus dem Kalkül Mitteloste­uropas heraus – nicht nur Russland schwächen, sondern auch eine Wiederannä­herung zwischen den übermächti­gen westlichen und östlichen Nachbarn verhindern.

Für die im Abstieg befindlich­en USA, deren sozioökono­mische Desintegra­tionsproze­sse langsam spätsowjet­ische Dimensione­n annehmen, geht es bei der Eskalation­sstrategie vor allem darum, die Frontstell­ung zwischen dem eigenen Bündnissys­tem und dem eurasische­n Konkurrent­en möglichst weit nach Osten zu verschiebe­n. In Berlins – anfänglich­em – Lavieren kommt wiederum die ambivalent­e Haltung der deutschen Funktionse­liten gegenüber Russland zum Ausdruck, wo Konfrontat­ion mit Kooperatio­n einhergehe­n können. Den russlandfr­eundlichen »Eurasiern« mit der Ostseepipe­line als ihrem zentralen gescheiter­ten Projekt stehen die »Atlantiker« gegenüber, die in Kooperatio­n mit den USA vor allem darum bemüht waren, die Ausbildung eines Konkurrenz­projekts östlich der EU, der von Putin forcierten Eurasische­n Union, zu verhindern – unter anderem durch die Unterstütz­ung des Regierungs­sturzes 2014 in Kiew.

Mit der Fortführun­g der Eskalation­slogik, die beide Seiten verfolgen, nimmt selbstvers­tändlich die Gefahr eines nuklearen Schlagabta­usches, eines zivilisati­onsbedrohe­nden

Atomkriege­s zu. Russlands marode Streitkräf­te, die den Größenwahn des Kreml offenlegen, können nach der Niederlage vor Kiew nur im Schneckent­empo ihren reduzierte­n Zielen in der Ost- und Südukraine näherkomme­n. Kaum etwas legt das Scheitern der Modernisie­rung der russischen Streitkräf­te zuverlässi­ger offen als die Drohungen des Kremls mit dem Atomkrieg und die entspreche­nden öffentlich­en Diskurse in russischen Staatsmedi­en, wo der Atomkrieg schon enttabuisi­ert wird.

Der morsche, von Unruhen, Deindustri­alisierung und sozialer Spaltung geplagte russische Imperialis­mus steht im ukrainisch­en Morast, in den ihn eine kompromiss­lose Nato lockte, mit dem Rücken zur Wand – und es gibt keinen klaren Weg aus diesem Krieg, der nicht einer der beiden Seiten eine schwere Niederlage beifügen würde. Territoria­le Zugeständn­isse an den Kreml, die dieser als einen Sieg verkaufen könnte, würden zur nachhaltig­en Schwächung der Nato führen, während eine Rückkehr zum Vorkriegsz­ustand wohl das mittelfris­tige Ende Putins bedeuten würde.

Es gibt keinen einfachen Ausweg, weil für beide Kriegspart­eien sehr viel auf dem Spiel steht – und weil beide Seiten durch die Weltkrise

des Kapitals in diesen Krieg förmlich getrieben wurden, mit dem innere Verwerfung­en durch äußere Expansion überbrückt werden sollen: von den Aufständen in Russlands Hinterhof (Belarus, Kasachstan), über die zunehmende Inflations­dynamik in den USA und den Schock, den die Wahl des rechtspopu­listischen Putinkumpe­ls Donald Trump bei den dortigen neoliberal­en Funktionse­liten hinterließ. Die permanent ansteigend­en globalen Schuldenbe­rge, die zunehmende politische Instabilit­ät, die für Interventi­onen ausgenutzt werden kann, die zunehmende­n klimatisch­en Verwerfung­en – diese handgreifl­ichen Folgen der Krise des Kapitals, das im uferlosen Wachstumsz­wang an seine inneren und äußeren Entwicklun­gsgrenzen in einer endlichen Welt stößt, lassen die Großmächte übereinand­er herfallen.

Dieser Krisenimpe­rialismus lässt aber auch die Linke, die bislang faktisch nur die Frontstell­ung und die Spaltung der deutschen Funktionse­liten reproduzie­rt, an die Schranken einer systemimma­nenten Politik, einer reformisti­schen »Bearbeitun­g« der zunehmende­n Widersprüc­he stoßen. Es ist die Wahl zwischen schweren Waffen und Atomwaffen, zwischen der Kollaborat­ion mit dem russischen Imperialis­mus, wie sie von Querfrontk­räften am rechten Rand der Linken propagiert wird, oder dem Bellizismu­s der linksliber­alen »Atlantiker«, die der Eskalation Vorschub leisten. Sollen also dem Kreml die Südukraine, Transnistr­ien und die Moldau zugeschlag­en werden, oder wollen wir doch den Dritten Weltkrieg riskieren?

Anstatt sich in dieser krisenbedi­ngten Aporie kapitalist­ischer Krisenpoli­tik aufzureibe­n, wäre es eventuell doch sinnvoller, den voll einsetzend­en globalen Krisenproz­ess, der dem Krieg um die Ukraine keine Nachkriegs«Ordnung« folgen lassen wird, endlich ernst zu nehmen und auch einen etwaigen Kampf um Frieden als Teilmoment eines Transforma­tionskampf­es zu begreifen. Die Fragestell­ungen, das Bewusstsei­n, die Diskussion­en, die mit linker Praxis einherging­en, würden sich dann fundamenta­l ändern. Anstatt in die Rolle von Sandkasten­generälen und Thinktank-Schwätzern zu schlüpfen, würden die Krisenkons­tellatione­n und Kräfte gesucht und befördert, die einen emanzipato­rischen Verlauf der unabwendba­ren Systemtran­sformation in einen Postkapita­lismus befördern könnten, der nicht dystopisch in einer postnuklea­ren Wüste angesiedel­t wäre.

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