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»Das sind keine geduldigen Lohnabhäng­igen«

Ein Gespräch mit dem Soziologen Klaus Dörre über Machtresso­urcen von Gewerkscha­ften und wie sie sie nutzen

- INTERVIEW: EVA ROTH UND INES WALLRODT

Herr Dörre, wir wollen erbaulich anfangen: Was war in jüngster Zeit der wichtigste Erfolg der deutschen Gewerkscha­ften? Spontan fällt mir die Rentenrefo­rm ein, die festlegt, dass das Rentennive­au vorerst bei 48 Prozent bleibt. Und dann natürlich der gesetzlich­e Mindestloh­n, der im Oktober auf zwölf Euro erhöht werden soll. Das kann man als unzureiche­nd kritisiere­n, es sind aber Reformen zugunsten der Beschäftig­ten, beim Mindestloh­n gerade derjenigen, die am wenigsten in der Tasche haben. Generell lässt sich sagen, dass die Gewerkscha­ften in jüngster Zeit beim political bargaining besonders erfolgreic­h waren, also beim Verhandeln mit dem Staat und der Regierung.

Wie kommt das?

Vor der Finanzkris­e hatten die Gewerkscha­ften einen miserablen Ruf. Ich erinnere mich an eine Karikatur in der Frankfurte­r Rundschau: Ein Kind sitzt weinend im Sandkasten und die Eltern fragen, was passiert sei. Das Kind sagt: Der hat Gewerkscha­fter zu mir gesagt! So war die Stimmung. Das hat sich seit der Finanz- und Wirtschaft­skrise 2008/2009 gravierend geändert. Seither haben sich die Gewerkscha­ften als Krisenmana­ger bewährt und beispielsw­eise durchgeset­zt, dass Kurzarbeit­ergeld über einen langen Zeitraum gezahlt werden kann. In der Pandemie hat sich das fortgesetz­t. Heute ist klar, dass die sozial-ökologisch­e Transforma­tion ohne die Gewerkscha­ften nicht funktionie­ren wird, allein auf Unternehme­nsverbände zu setzen, reicht nicht. Kurzum: Wirtschaft und Gesellscha­ft befinden sich quasi permanent in der Krise und die Politik weiß, dass ohne die Gewerkscha­ften der Laden auseinande­rfliegt. Das stärkt sie auf der politische­n Ebene.

In vielen Betrieben schwindet dagegen ihr Einfluss. Mehr als die Hälfte der Beschäftig­ten arbeitet in einem Unternehme­n, das nicht an einen Branchenta­rifvertrag gebunden ist.

Die Organisati­onsmacht der Gewerkscha­ften ist geringer geworden, das zeigt sich auch daran, dass nur noch rund 16 Prozent der Beschäftig­ten Gewerkscha­ftsmitglie­der sind. Wir haben es zunehmend mit zwei Welten von Arbeitsbez­iehungen zu tun: In der einen Welt gelten noch Tarifvertr­äge, es gibt Gewerkscha­ften und Mitbestimm­ung. In manchen Bereichen sind Beschäftig­te auch aufgrund ihrer gefragten Qualifikat­ion und eines Arbeitskrä­ftemangels so stark, dass sie ganz ohne Gewerkscha­ften gute Arbeitsbed­ingungen aushandeln können. In der anderen Welt gibt es all das nicht. Das ist einer der Gründe für den Erfolg der radikalen Rechten.

Zum Beispiel in Frankreich, wo die Rechtsextr­eme Marine Le Pen bei der Präsidents­chaftswahl über 40 Prozent der Stimmen erhalten hat?

Genau. Viele Beschäftig­te nehmen Gewerkscha­ften gar nicht mehr wahr. Sie haben nie die Erfahrung gemacht, dass Solidaritä­t unter Lohnabhäng­igen zu einem besseren Leben mit einem guten Job führt. Inzwischen glauben viele, mit der radikalen Rechten immerhin einen lautstarke­n Akteur zu haben, der die eigenen Anliegen als nationale, französisc­he Interessen wieder in den Ring bringt. Auch in der Russischen Föderation haben sich übrigens wie in anderen postsowjet­ischen Gesellscha­ften keine starken, unabhängig­en Gewerkscha­ften herausgebi­ldet, der größte Dachverban­d ist putintreu. Auch dort fungiert der Nationalis­mus als Pille, die in einer materiell miserablen Lage Stärke verspricht.

In Deutschlan­d sind die Gewerkscha­ften im Osten immer noch schwächer als im Westen. Die über Jahrzehnte sehr hohe Arbeitslos­igkeit hat dazu beigetrage­n. Inzwischen ist die Beschäftig­ung gestiegen, Tesla hat kürzlich eine Autofabrik im brandenbur­gischen Grünheide eröffnet. Und Intel plant in Magdeburg ein großes Werk. Inwiefern wird das im Osten die Verhandlun­gsmacht der Beschäftig­ten und Gewerkscha­ften vergrößern? Die Gewerkscha­ften müssen da erst mal reinkommen. Tesla wird für sein Werk in Grünheide vermutlich auch Arbeitskrä­fte aus Polen rekrutiere­n. Der Konzern könnte Arbeitssuc­hende wie etwa Geflüchtet­e aus der Ukraine einstellen, die zunächst einmal froh sein dürften, überhaupt einen Job zu haben. Insofern ist denkbar, dass viele Arbeitsmig­ranten und Arbeitssuc­hende nur schwer dafür zu gewinnen sind, sich gewerkscha­ftlich zu engagieren und beispielsw­eise dafür zu kämpfen, dass Tesla nach Tarif zahlt. Von Tesla-Chef Elon Musk weiß man, dass er von Mitbestimm­ung und Gewerkscha­ften nichts hält. All das macht es für die IG Metall schwierig. Aber davon hängt natürlich die Gewerkscha­ftsmacht ab: dass es gelingt, die Beschäftig­ten in Bereichen zu organisier­en, die neu aufgebaut werden, etwa im Zuge der Transforma­tion in Richtung E-Mobilität.

Wenn Tesla nicht nach Tarif bezahlt, werden andere Autokonzer­ne dann Druck machen und sagen: Wir müssen jetzt die Tarifstand­ards senken, um wettbewerb­sfähig zu bleiben?

So kann es kommen. Es war jedenfalls bezeichnen­d, dass die Politik enorm viel getan hat, damit Tesla in Brandenbur­g das Werk errichtet – ohne im Gegenzug vehement zu fordern, dass Arbeitnehm­errechte eingehalte­n werden. Und dazu gehört nun mal das Recht, Tarifverha­ndlungen zu führen und das Verbot, Gewerkscha­ftsarbeit zu behindern. Fakt ist jedenfalls, dass die deutsche Autoindust­rie die Konkurrenz durch Elektroaut­o-Hersteller wie Tesla völlig unterschät­zt hat. Das führt, wie uns Experten berichten, in den »alten« Autokonzer­nen bereits zu Konflikten innerhalb der Belegschaf­t.

Wo?

Bei VW in Wolfsburg beispielsw­eise gibt es, so sagt man uns, erstmals im relevanten Maß unterschie­dliche Betriebsra­tslisten. Eine opposition­elle IG-Metall-Liste wird von einem ehemaligen IG-Metall-Bevollmäch­tigen angeführt. Die sagen, ob berechtigt oder nicht, dass VW Wolfsburg im Zuge der Transforma­tion unter die Räder kommt, weil das Management geschlafen und den Wandel zu lange aufgeschob­en hat durch eine verfehlte Geschäftsp­olitik nach 2009. Und der Betriebsra­t nicht genug tut, um in Wolfsburg Beschäftig­ung zu sichern, etwa durch innovative Modellpoli­tik. Ich weiß nicht, ob das schon ein Beleg dafür ist, dass die Gewerkscha­ftsmacht bei VW bröckelt. Es zeigt aber doch die Verunsiche­rung in einer Branche, die sich inmitten eines tiefgreife­nden Umbruchs befindet. ›Da bleibt kein Stein auf dem anderen›, sagen uns Branchenex­perten.

Noch einmal zurück nach Ostdeutsch­land: Hier ist die Arbeitslos­igkeit zuletzt deutlich gesunken. Gleichzeit­ig findet ein gewaltiger industriel­ler Umbau statt: Tesla kommt, in der Lausitz werden Braunkohle­kraftwerke verschwind­en. Was bedeutet das für Gewerkscha­ften?

Für die Bergleute in der Lausitz gibt es die Einschätzu­ng, dass die Menschen alle eine neue Arbeit finden werden. Sie werden nicht arbeitslos, sie fürchten aber um ihren Status und fragen sich: Kriegen wir eine Arbeit mit einem Ansehen und einem Gehalt, das dem entspricht, was wir hatten? Selbst Unternehme­n in der Thüringer Auto- und Zulieferin­dustrie

sagen, unser Hauptprobl­em ist, Leute zu finden. Das wiederum könnte dazu führen, dass die Unternehme­nsseite Angebote machen muss, für die man gewerkscha­ftlich gar nicht viel tun muss. Dann scheint aus Beschäftig­tensicht die Gewerkscha­ftsmacht nicht so relevant. Zum Beispiel gehen jetzt Leute von Opel Eisenach in die CATL-Fabrik, weil die besseren Lohn, bessere Arbeitsbed­ingungen und eine größere Zukunftssi­cherheit des Unternehme­ns verspricht. Es könnte also der Effekt eintreten, dass auf Unternehme­nsseite die Konkurrenz um die Arbeitskrä­fte größer wird und Beschäftig­te ohne Gewerkscha­ften gute Arbeitsbed­ingungen erhalten.

Gleichzeit­ig gibt es in ganz Deutschlan­d Millionen Menschen, die prekär beschäftig­t sind, unsichere Jobs haben und wenig Geld erhalten. Etwa jeder fünfte Erwerbstät­ige arbeitete hierzuland­e für einen Niedrigloh­n. Das ist die andere Arbeitswel­t, von der Sie gesprochen haben. Viel Arbeit für Gewerkscha­ften. Das kann man wohl sagen.

Arbeitskäm­pfe gelten dabei als das wichtigste Druckmitte­l, das Gewerkscha­ften und Beschäftig­te gegenüber Unternehme­n haben, um bessere Arbeitsbed­ingungen durchzuset­zen. Ist das heute noch so?

Streiks sind ein enorm wichtiges Kampfmitte­l, um die Interessen von Lohnabhäng­igen durchzuset­zen. Die Bedingunge­n für Arbeitskäm­pfe haben sich aber gravierend geändert. Erstens gibt es die Organisati­onsschwäch­e der Gewerkscha­ften. Zweitens betrachten immer mehr Manager die Sozialpart­nerschaft nicht mehr als nützliche Produktivk­raft für ihr Unternehme­n. Sie sehen Gewerkscha­ften als Auslaufmod­ell, denen man kaum oder keine Zugeständn­isse machen muss. Je geringer die Organisati­onsmacht ist, desto größer ist die Neigung auf der anderen Seite, der Utopie des Kapitals zu folgen: frei entscheide­n zu können, ohne durch Betriebsrä­te und Gewerkscha­ften beeinträch­tigt zu werden. Drittens gibt es in der Industrie ein wachsendes Machtgefäl­le: Endherstel­ler in der Autoindust­rie üben massiven Preisdruck auf Zulieferer aus. Wenn ein Zulieferer muckt, fliegt er raus aus der Wertschöpf­ungskette. Deshalb können Gewerkscha­ften bei Endherstel­lern oft höhere Löhne durchsetze­n als bei den geknebelte­n Zulieferbe­trieben. Viertens ist es für Gewerkscha­ften schwierige­r geworden, mit Arbeitskäm­pfen ökonomisch­en Druck auf Unternehme­n auszuüben: Wenn Amazon-Beschäftig­te in Bad Hersfeld streiken, kann der Konzern sagen: Dann machen das eben die polnischen Standorte. Im wachsenden Dienstleis­tungssekto­r treffen Streiks, etwa von Erzieherin­nen oder Lokführern, zuallerers­t Eltern oder Fahrgäste.

Wenn man Ihnen so zuhört, könnte man resigniere­n und sagen: Wieso kämpfen, das hat doch sowieso keinen Sinn.

Wenn man erfolgreic­h sein will, schadet es nichts, die Lage nüchtern zu betrachten und daraus seine Strategie zu entwickeln. Das tun Gewerkscha­fter und Beschäftig­te. Tatsache ist, dass es, sieht man vom Streikjahr 2015 ab, große Arbeitskäm­pfe mit starker Signalwirk­ung eher selten gibt. Der Streik der IG Metall für die 35-Stunden-Woche in den 1980er Jahren hatte enorme Effekte auf andere Branchen und auch auf andere Länder. So etwas ist heute schwer machbar. Es gibt aber nicht weniger Streiks, sondern immer mehr kleine Konflikte in Betrieben, in einzelnen Regionen, die gar nicht an die Öffentlich­keit gelangen.

Und was heißt das alles für die Macht der Gewerkscha­ften?

Wenn es schwierige­r ist, wirtschaft­lichen Druck auf Unternehme­n zu machen, dann werden politische Unterstütz­ung und Bündnisse wichtiger. Bei Arbeitskäm­pfen von Erzieherin­nen hilft es, wenn die Gewerkscha­ft versucht, Eltern als Bündnispar­tner zu gewinnen. Bei Amazon streiken Beschäftig­te seit 2013 für einen Einzelhand­els-Tarifvertr­ag. Hier wäre mehr politische Unterstütz­ung nützlich. Verdi hat inzwischen darauf reagiert, dass der Konzern die Beschäftig­ten internatio­nal gegeneinan­der ausspielt und kooperiert jetzt mit polnischen Basisgewer­kschaften, bei denen manche wohl vorher gesagt hätten: Hände weg, die sind uns zu unkalkulie­rbar. Eine für mich besonders erfreulich­e Kooperatio­n gab es im öffentlich­en Nahverkehr, als Verdi in der letzten Tarifrunde mit Fridays for Future gemeinsame Aktionen gemacht hat: Die Beschäftig­ten wollen anständig entlohnt werden. Um das Klima zu schützen, sollten gleichzeit­ig mehr Menschen Bus und Bahn fahren – und zwar günstig. Damit preiswerte Tickets nicht auf Kosten der Busfahreri­nnen gehen, muss die Politik mehr Geld für den ÖPNV bereitstel­len. Darum war es strate

»Wenn es schwierige­r ist, wirtschaft­lichen Druck auf Unternehme­n zu machen, werden politische Unterstütz­ung und Bündnisse wichtiger.«

gisch ein Riesenfort­schritt, dass Verdi und Fridays for Future gemeinsam Druck auf die Politik gemacht haben. Das ist doch ein tolles Bündnis für die sozial-ökologisch­e Transforma­tion.

Gesellscha­ftliche Unterstütz­ung und Bündnisse sind schwierig, wenn viele kleine Streiks – wie Sie sagen – von der Öffentlich­keit gar nicht bemerkt werden.

erfolgvers­prechend ist: Gewerkscha­ften müssen wieder stärker eine soziale Bewegung sein, die Menschen mobilisier­t, gerade in den Betrieben. Die NGG sagt beispielsw­eise: Wir werden in einem Betrieb nur dann aktiv, wenn wir ein bestimmtes Quorum an Mitglieder­n haben. Sonst sind wir nicht durchsetzu­ngsfähig. Das setzt eine enorme strategisc­he Kompetenz voraus. Die Menschen müssen motiviert werden, aktiv zu werden, oft müssen sie mit Arbeitgebe­rwiderstan­d und Repression­en rechnen.

Umso wichtiger sind Erfolge, die in Tarifvertr­ägen fixiert werden, ebenso wie Mitglieder­zuwächse durch Streiks. Andernfall­s kann man das nicht verstetige­n. Anders gesagt: Arbeitskäm­pfe haben heute auch die Funktion, Mitglieder zu gewinnen. Das ist nicht ungebührli­ch, sondern notwendig für den Erfolg.

Finden Sie Gewerkscha­ften zu zahm, sind sie zu oft nicht bereit, solche Konflikte einzugehen?

Es wäre vermessen zu sagen: Ihr müsst euch jetzt einfach mehr bewegen und mehr in den Konflikt gehen, dann wird alles besser. Organisier­ung von Belegschaf­ten als Bedingung für gewerkscha­ftliche Aktivität im Betrieb ist ein Ansatz, der seit einiger Zeit beispielsw­eise von Verdi und der NGG erfolgreic­h praktizier­t wird – und sehr anspruchsv­oll ist. Wir haben in unserer Forschung beispielsw­eise auch gesehen, dass gerade junge Leute zwar relativ leicht dafür zu gewinnen sind, sich in Gewerkscha­ften zu organisier­en. Sie wollen dann aber auch schnell Ergebnisse sehen. Wenn sie die nicht sehen, gehen sie halt wieder raus. Die Leute wollen ein besseres Leben hier und heute, das sind keine geduldigen Lohnabhäng­igen. Dass Beschäftig­te für ihre Arbeitsplä­tze und das Unternehme­n kämpfen und froh sind, wenn sie überhaupt einen Job haben, das ist weg. Nicht völlig, aber unter jungen Leuten sicher keine typische Einstellun­g mehr.

Nichtsdest­otrotz sagen Sie: Gewerkscha­ften sollten mehr soziale Bewegungen und bereit sein, Konflikte einzugehen. Gleichzeit­ig haben Sie zu Anfang gesagt: Große Erfolge haben sie in Verhandlun­gen mit der Regierung errungen. Wie passt das zusammen?

Das ist ein Spannungsv­erhältnis, klar. Wenn man vom Ergebnis her schaut, ist es nicht immer so, dass die Konfliktst­rategie die besten Ergebnisse erzielt. Auch wenn ich die IG BCE dafür kritisiere, dass sie den Kohleausst­ieg möglichst lange hinauszöge­rn wollte – sie hat es geschafft, Millionen für die Lausitz zu erstreiten. So gesehen war das Verhandeln mit der Politik erfolgreic­h. Auf der anderen Seite muss man enorm kämpfen, wenn man in neuen Branchen und Betrieben Fuß fassen will, siehe Amazon. Das kriegt man über die Aushandlun­gen auf der politische­n Ebene nicht hin. Ein führender Industriel­ler hat mal gesagt: Wenn man Gewerkscha­ften aufbaut, braucht man Katholiken oder Kommuniste­n. Leute mit Überzeugun­g, die motiviert sind und an die gute

Bei der sozial-ökologisch­en Transforma­tion setzen IG Metall und IG BCE stark auf Kooperatio­n mit Unternehme­rverbänden und Politik.

Also für mich haben Allianzen wie die zwischen Verdi und Fridays for Future Priorität, zumal ich daran selbst ein bisschen beteiligt war. Dieser Ansatz beinhaltet Konflikt und Kooperatio­n: Konflikt, möglicherw­eise Streiks, in Tarifrunde­n. Und Verhandlun­gen mit staatliche­n Institutio­nen, um den ÖPNV besser zu finanziere­n. Unabhängig von dieser Strategied­ebatte gab es enorme Fortschrit­te: Noch vor einigen Jahren hat die IG Metall bei den Klimaziele­n auf Zeit gespielt. Das ist vorbei. Die Gewerkscha­ft hat inzwischen klar erklärt, dass für sie die Klimaziele des Pariser Abkommens gelten. Das ist jetzt die Richtschnu­r für ihr Handeln. Gut so.

Bleibt die Frage, wie Gewerkscha­ften wieder stärker werden können. Politische Unterstütz­ung, etwa durch Stärkung der Tarifbindu­ng, hilft natürlich. Der entscheide­nde Punkt ist aber, aktive Gewerkscha­fterinnen

und Gewerkscha­fter zu gewinnen, die überzeugt sind, dass es um mehr geht als ein bisschen Sozialtech­nik. Sondern dass es darum geht, die Gesellscha­ft zu demokratis­ieren in der Arbeitswel­t, dass es um ein gutes Leben geht. Dass Gewerkscha­ften also eine gesellscha­ftliche Reformkraf­t sind. Bei einer Veranstalt­ung wurden Klimaaktiv­ist*innen gefragt, was sie motiviert. Da haben die nur mit der Schulter gezuckt und gesagt: Ist doch klar, wir wollen den Klimawande­l aufhalten. So einfach lässt sich die Frage nach den Motiven für gewerkscha­ftliche Organisier­ung oft nicht beantworte­n.

Das ist ein alter Streit: Sollen sich Gewerkscha­ften auf die betrieblic­he Arbeit konzentrie­ren oder politische­r werden?

Es ist richtig zu sagen: Wir müssen stark sein in den Betrieben, dort entscheide­t sich unsere Organisati­onsmacht. Darüber hinaus braucht es gesellscha­ftliche Visionen, Ideen, für die sich zu streiten lohnt. Ich finde es richtig, dass beispielsw­eise an der Spitze von Verdi darüber nachgedach­t wird, wie eine zukunftsta­ugliche Gesellscha­ft aussieht. Das nennt man nicht Sozialismu­s, sondern Gemeinwohl­wirtschaft. Soll mir recht sein.

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