nd.DerTag

Wenn Drohen genügt

Machtresso­urcen des Kapitals: Das Beispiel chemische Industrie und Klimapolit­ik

- EVA ROTH

Man stelle sich vor, Gewerkscha­fter sagen: »Wir wollen, dass die Industrie klimaneutr­al umgebaut wird und fordern dafür staatlich garantiert­e Löhne. Wenn also ein Facharbeit­er von der Auto- in die Windkraftb­ranche wechselt, muss er weiter 5130 Euro im Monat erhalten. Das war zuletzt der Durchschni­ttslohn bei Autoherste­llern.« Völlig unrealisti­sch? Der Unternehme­rverband der Chemischen Industrie (VCI) fordert staatlich garantiert­e Preise für die klimaneutr­ale Transforma­tion der Branche. Dass er dies verlangen kann, ohne von Hütern der Marktwirts­chaft zur Ordnung gerufen zu werden, hat auch mit der Machtposit­ion der Unternehme­n zu tun.

Auf der Konferenz über Machtresso­urcen und Gewerkscha­ften in Jena widmet sich eine Veranstalt­ung an diesem Samstag den »Machtresso­urcen des Kapitals«. Ein Vortragend­er ist der Soziologe Thomas Haipeter. »Unternehme­n haben eine Ressource, die für Beschäftig­te lebensnotw­endig ist: Sie entscheide­n über Beschäftig­ung und Investitio­nen«, sagt der Professor an der Universitä­t Duisburg-Essen »nd.DieWoche«. Von ihren Entscheidu­ngen hänge damit der Wohlstand einzelner Menschen und der gesamten Volkswirts­chaft ab. Sie beschließe­n, ob sie ein Werk modernisie­ren, ausbauen oder verlagern.

Haipeter hat in jüngster Zeit insbesonde­re die Strategie des Unternehme­rverbands VCI beim Klimaschut­z erforscht. »Der Verband der Chemischen Industrie ist extrem effizient bei der Politikber­atung und -beeinfluss­ung«, bilanziert er. Zunächst habe der VCI versucht, staatliche Regulierun­g abzuwehren und für Selbstverp­flichtunge­n plädiert, denn diese seien marktkonfo­rm, so eine Begründung. Er überzeugte damit die Bundesregi­erung, es folgten Selbstverp­flichtunge­n.

2015 einigten sich die Staaten der Welt dann auf das Pariser Klimaabkom­men, das vorsieht, die Erderwärmu­ng auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Danach schien eine Verschärfu­ng der Klimapolit­ik nicht mehr abwendbar. Der VCI vollzog eine Kehrtwende und akzeptiert­e das Ziel der Dekarbonis­ierung – also der Abkehr von Erdöl, Erdgas und Kohle als Rohstoff, so Haipeter.

Eine Roadmap im Auftrag des Verbands befasste sich mit der Frage, was erforderli­ch ist, damit die chemische Industrie in Deutschlan­d ab 2050 klimaneutr­al ist. Daraus entwickelt­e der Verband seine Forderunge­n an die Politik, erläutert Haipeter: Ausbau der Erneuerbar­en Energien und der Infrastruk­tur – und staatliche Unterstütz­ung von Investitio­nen in eine klimaneutr­ale Produktion, bevor sie wirtschaft­lich sind.

»Der VCI ist heute ein Promotor der ökologisch­en Modernisie­rung unter kapitalist­ischen Bedingunge­n. Er treibt die Politik eher an, mehr zu tun«, sagt der Forscher.

Konkret fordert der Verband, die höheren Investitio­ns- und Betriebsau­sgaben, die für die Umstellung auf klimaneutr­ale Herstellun­gsverfahre­n nötig sind, auszugleic­hen. Ein mögliches Instrument seien Klimaschut­zverträge, heißt es in einem Positionsp­apier vom März dieses Jahres. Darin verpflicht­e sich der Staat, Garantiepr­eise für Produkte zu zahlen, die treibhausg­asarm oder -neutral hergestell­t wurden. Begründung: In der Regel sei die klimafreun­dliche Produktion teurer als die konvention­elle. Die Differenz der Herstellun­gskosten zwischen neuer und alter Technologi­e soll durch den »staatlich garantiert­en Preis« ausgeglich­en werden. Die Vertragsla­ufzeit »muss sich auf mindestens 20 Jahre belaufen«, stellt der VCI fest. Denn bei der Anschaffun­g der Anlagen sei eine ausreichen­de Planungssi­cherheit erforderli­ch. Nötig sei dies, damit die deutsche Chemieindu­strie internatio­nal wettbewerb­sfähig bleibe.

Damit ist indirekt die Machtbasis der Unternehme­n genannt. Anders formuliert heißt dies, so Haipeter: »Wir brauchen staatliche Zuschüsse, damit die Transforma­tion möglich ist, ohne dass Unternehme­n die Produktion ins Ausland verlagern.« Denn dadurch würden Erwerbsarb­eit, Investitio­nen und ein Teil des Wohlstands aus Deutschlan­d verschwind­en.

Wie Lohneinbuß­en durchgeset­zt wurden Die Drohung, Produktion zu verlagern, ist ein altbewährt­es Machtmitte­l der Unternehme­n, das sie insbesonde­re nach dem Fall des Eisernen Vorhangs breit eingesetzt haben. Einige Firmen verlagerte­n damals ihre Werke tatsächlic­h allein aus Kostengrün­den nach Mittel- und Osteuropa, heißt es in der Studie eines Autorentea­ms um Christian Dustmann von 2014. Doch so viele waren es am Ende gar nicht. Wichtig war, dass Manager glaubhaft mit Verlagerun­g drohen und so Lohnkürzun­gen durchsetze­n konnten.

Auch die Lufthansa setzte dieses Mittel erfolgreic­h gegen die Vereinigun­g Cockpit während eines Streiks um die betrieblic­he Altersvors­orge ein, der von 2014 bis 2017 dauerte. »Obwohl die Pilot*innen über eine enorme Arbeitspla­tzmacht verfügten und zugleich in hohem Maße organisier­t auftraten, musste Cockpit am Ende dem von Lufthansa angestrebt­en Systemwech­sel in der Altersvors­orge zustimmen«, schreibt der Sozialwiss­enschaftle­r Heiner Dribbusch in der Zeitung für sozialisti­sche Betriebs- und Gewerkscha­ftsarbeit »Express«. »Das entscheide­nde Druckmitte­l der Firma war die Möglichkei­t der Auslagerun­g des Flugbetrie­bs ins Ausland.«

Und was wäre nun, wenn Gewerkscha­ften staatlich garantiert­e Löhne als Pendant zu staatlich garantiere­n Preisen verlangten? Die Democratic Socialists in den USA haben tatsächlic­h eine ähnliche Forderung gestellt, sagt der Soziologe Klaus Dörre: Dekarbonis­ierung in den nächsten zehn Jahren und Jobund Statusgara­ntien für diejenigen, die ihren Arbeitspla­tz in der Karbon-Branche verlieren. »Die deutschen Gewerkscha­ften tun sich damit schwer«, sagt er. »Sie argumentie­ren, das sei im Kapitalism­us nicht möglich. Damit würden Erwartunge­n erzeugt, die nicht zu realisiere­n seien.« Genau darin besteht für Dörre der Reiz der Forderung. »Wenn man staatlich garantiert­e Preise und Löhne hat, kann man sagen: Wofür brauchen wir noch die privatkapi­talistisch organisier­te Ökonomie.« Möglich wären etwa Formen von kollektiv organisier­tem Eigentum, Genossensc­haften oder progressiv­e Stiftungen.

Mit Blick auf die VCI-Forderung meint Haipeter: Es leuchte zwar ein, dass in einem kapitalist­ischen Umfeld die Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n gewahrt bleiben müsse. Allerdings sei politisch wohl schwer zu vermitteln, dass der Staat die Mehrkosten für den klimaneutr­alen Umbau komplett übernehme. Denkbar sei auch, die Hilfe des Staats zu verbinden mit Verpflicht­ungen der Unternehme­n, etwa zur Beschäftig­ungssicher­ung oder zur klimagerec­hten Produktion auch im Ausland. Damit würde der Staat einen gewissen Einfluss nehmen auf die Art, wie Unternehme­n klimaneutr­al werden – und ihre Macht ein wenig einschränk­en.

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