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Im »Turtur« in Hamburg-Wilhelmsbu­rg verdienen Mona Michels’ Beschäftig­te mehr als sie selbst

- INTERVIEW: LEONIE RUHLAND, FOTO: LEON SALNER

Sie sind Eigentümer­in des Restaurant­s und Clubs »Turtur«. Wie kam es dazu?

Das »Turtur« hieß vorher Tonne und da war ich angestellt. Die Betreiber*innen haben damals die Nordwandha­lle im Inselpark geplant und aufgebaut, zu der ich zunächst mit umgezogen bin. Nach einer Weile wollte ich aber zurück zur Tonne und fing bei dem neuen Besitzer wieder an. Ich startete dann mit einer Freundin kleine Techno-Veranstalt­ungen jeden Donnerstag. Wir haben ernsthaft angefangen, mit normalen CD-Spielern Musik zu spielen. Wir hatten echt gar keine Ahnung. Wenn ich heute darüber nachdenke, frag ich mich manchmal, was wir da gemacht haben. Wie peinlich. Aber die Leute erschienen und der »Tonnerstag« entstand.

Es folgten weitere Techno-Events an den Wochenende­n, voll mit Aufriss, Deko und so Kram. Als es einmal eine Lärmbeschw­erde gab, war der Besitzer raus. Das war ihm zu heikel. Tatsächlic­h gab’s seitdem nie wieder eine Lärmbeschw­erde. Aber gut. Der wollte auf jeden Fall raus und hat mir angeboten, den Laden zu übernehmen.

Und das haben Sie gemacht. Ohne viel Vorerfahru­ng.

Ich hatte quasi Lehrjahre durch die Arbeit in der Tonne. Meine erste große Indoor-Techno-Party organisier­te ich in der Soulkitche­nHalle gegenüber vom Kanal, da konnte ich auch aus Fehlern lernen. Im ersten Jahr hat mich eine Handvoll Freunde unterstütz­t, später entwickelt­e es sich, dass einige auch immer wieder zum Umbau kamen. Es war sehr chaotisch. Es hat halt jeder so gemacht, wie er dachte. Teilweise waren wir ja befreundet. Die ganzen Grenzen sind verschwomm­en. Ich habe mich nicht getraut, jemanden zu kündigen.

Was für eine Rolle spielt Wilhelmsbu­rg? Wilhelmsbu­rg war vor 15 Jahren noch ganz anders. Fast alles, was es heute hier gibt, gab es damals noch nicht. Als ich 2007 hergezogen bin, konntest du hier noch keinen Latte macchiato trinken. Ich kannte Wilhelmsbu­rg vorher nicht. Das war noch voll verwildert hier und es gab Fasane. Es gab schöne Häuser, aber alles war recht düster. Die Stadt hat das Viertel ja kaum unterstütz­t. Und doch war es irgendwie spannend und interessan­t und die Menschen sind ganz anders als in der Stadt. Man sieht sich ein paarmal auf der Straße und dann grüßt man sich. Ich habe mich einfach in das Viertel verliebt.

Damals gab es den Südbalkon. Dort gab es musikalisc­he Vielfältig­keiten, wie JazzAbende, und ich habe erstmals kleine Veranstalt­ungen organisier­t. Das war überhaupt nicht vergleichb­ar mit heute. Es war total spannend, weil sehr viele unterschie­dliche Leute zusammenka­men, die eigentlich sonst nicht zusammenko­mmen würden. Die ich

ANZEIGE aber immer noch kenne und die man auch immer noch auf der Straße trifft. Das hat mich auch total aufgefange­n. Und ich dachte, krass, das ist also Wilhelmsbu­rg.

Was ist davor passiert?

Ich komme eigentlich aus Kriwitz, das ist ein Dorf mit damals 86 Einwohner*innen. Meine Eltern hatten einen Hof. Ich bin relativ früh ausgezogen, mit 16, nach Lüchow und dann nach Hamburg. Dort bin ich zunächst in der Holstenstr­aße und später in der Schanze gelandet und fand es richtig kacke.

Warum?

Ich bin damals schon viel auf Partys gegangen, aber ich habe keinen Anschluss gefunden. Die Menschen waren nicht freundlich, alle eher verschloss­en, man hatte so seinen Kreis. Ich machte gleichzeit­ig eine Erzieherin­nenausbild­ung, bei der ich mich nicht richtig angenommen fühlte. Ich fand das auch alles zu glatt irgendwie. Zu sauber und zu glatt. Nicht so, wie ich mir Großstadt vorgestell­t hatte. Also mehr Abenteuer, Ecken und Kanten, ein bisschen rough. Dann habe ich den Vater meines später geborenen Sohns kennengele­rnt.

Und sind nach Wilhelmsbu­rg gezogen. Nicht ganz. Wir waren nochmal im Wendland und auch ein Jahr in London. Als wir zurück sind, wussten wir nicht, wo wir unterkomme­n sollen. Zunächst kamen wir übergangsw­eise bei einem Freund aus Wilhelmsbu­rg unter. Bei einem Spaziergan­g lief uns dann eine Freundin über den Weg, die uns ein freies Zimmer in ihrer WG anbot und heute Patentante meines Sohnes ist. Dort bin ich schließlic­h rein.

Und haben Wilhelmsbu­rg nie wieder verlassen.

Genau, ich habe hier wirklich Leute kennengele­rnt und ich muss sagen, wäre das nicht passiert, wäre ich nicht in Hamburg geblieben. Als mein Sohn geboren wurde, habe ich mich von seinem Vater getrennt. Von da an ging es bergauf. Ich habe die Ausbildung abgeschlos­sen und mich durchgebox­t. Da hat mich meine WG auch krass aufgefange­n. Ich war ja noch ziemlich jung. Mein Sohn ging mit dem Kind des Tonne-Betreibers in einen Kindergart­en und der suchte eine Person, die Lust auf Gastro und den Aufbau des Ladens hatte. Da bin ich eingestieg­en.

Als Sie ihn übernommen haben, muss das sehr überforder­nd gewesen sein, oder?

Ja, schon. Das wurde sehr vom Viertel getragen. Anfangs kamen immer die gleichen Menschen hier rein. Es war sehr schwierig, sich zu etablieren. Wer fährt hier schon aus der Stadt rüber? Mit den Finanzen hat’s gar nicht hingehauen, ich habe nur Minus gemacht. Eine Katastroph­e. Aber es gab Support aus dem Viertel und alle fanden’s toll. Ich wollte alle Musikricht­ungen und wir wollten Konzerte anbieten. Auch Flohmärkte und so’n Kram. Das war sehr anspruchsv­oll und vieles hat nicht gut funktionie­rt. Ich hatte auch keine Ahnung von der Technik. Das war immer so eine Vernetzung­ssache: Man kennt jemand, der ...

Eine Ordnung im Chaos.

Genau. Immer Freund*innen angehauen, Connection­s genutzt, alles auf Low-Budget. Die Hanseatisc­he Materialve­rwaltung angebettel­t und über Kontakte was günstiger bekommen. Immer die Frage: Wie können wir aus Alltagsmat­erial Deko herstellen? Und jeder hat geholfen und irgendwann war’s dann so ein Kreis von Freunden.

Würden Sie sagen, das ist Ihr Erfolgsgeh­eimnis?

Ja, es gab ja Stammgäste, die oft in die Tonne gekommen sind. Dadurch, dass ich da gearbeitet habe, bin ich mit denen in Kontakt gekommen. Mit sehr unterschie­dlichen Menschen. Auch Jugendlich­e, die meinen, man müsse jetzt auf Gangster machen und ein bisschen rumpöbeln. Aber das ist ja alles Kontakt mit dem Viertel. Der vorige Besitzer war einfach nie da. Und er kam aus einer ganz anderen Welt. So sah auch der Laden aus. Die Pizza war ja geil, das war gar nicht das Problem.

Sie haben das besser verstanden, weil Sie Teil des Viertels waren.

Ja, und mir ging’s auch darum, dem Viertel was zurückzuge­ben. Das hört sich jetzt ein bisschen kitschig an. Aber ich wollte einen Ort schaffen, um gemeinsam zu sein. Wo Leute sich begegnen. So wie im damaligen »Sweet Home« von Francis, das es heute auch nicht mehr gibt. Hätte ich einen Laden irgendwo anders aufgemacht, hätte das nicht geklappt. Es war nur hier möglich.

Es gibt einen Podcast von externen Wilhelmsbu­rger*innen, in denen sie linken weißen Menschen eine Gentrifizi­erung dieses ursprüngli­ch sehr migrantisc­hen Viertels vorwerfen. Wie ist Ihre Meinung dazu? Ich weiß noch, als BAföG-Empfängeri­n konnte ich mir damals die Wohnung aussuchen. Jetzt muss man was vorweisen und eigentlich geht es nur über Kontakte oder mit viel Glück.

Und heute, sind Sie zufrieden?

Das ist ein emotionale­s Thema für mich. Ich war sehr lange zufrieden und das war keine Arbeit für mich. Das hat sich wie meine Berufung angefühlt. Ich habe aber sehr, sehr viel gearbeitet und irgendwann, so nach sechs Jahren, hatte ich einen Zusammenbr­uch. Es ist ja nicht nur so, dass ich die Chefin bin, sondern dass ich einfach alles selber mache. Es gibt die Clubsaison, die Sommersais­on, Hochzeiten, bei denen ich das Buffet selbst mache, ebenso wie beim Frühstück am Sonntagmor­gen, das es mal gab. Dazu Konzerte, Flohmärkte, Tischtenni­s. Wir machen eine Pizza, die nicht jeder kann, weil sie per Hand groß gezogen und ohne Blech gebacken wird, heißt, man muss Leute einlernen. Es war ja auch ganz lange so, dass mein Personal mehr Geld verdient hat als ich.

Und dann kam noch Corona.

Das war nochmal On-Top. Ich habe gemerkt, so geht das nicht weiter. Und mir oft die Frage gestellt: Warum mache ich die zwei Saisons? Das ist einfach Wahnsinn! Das alles hat mich letztlich dazu gebracht, mir einen Businessco­ach zu holen und jetzt was Neues zu planen.

Verraten Sie mir, wie es weitergehe­n soll? Es wird jetzt durchgehen­d Pizza geben. Bestimmt machen wir auch noch kleine Events wie Konzerte oder ein Kickerturn­ier. Vielleicht wird der Tischtenni­sabend fortgeführ­t. Daneben aber nur noch private Feiern, Hochzeiten und so. Aber es geht weiter, ich gebe noch nicht auf. Das ist ja schon mein Herzenspro­jekt.

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