Immer was zu tun
Rainer Genge, unser Verlagsmann für alle Fälle, verlässt nach über 40 Jahren das »nd«
Noch ist es nicht so recht vorstellbar, wie das gehen soll: Rainer Genge als Rentner. Dazu ist er bis zum Schluss viel zu aktiv gewesen, ständig im nd-Gebäude unterwegs, oft schon zu hören, bevor er zu sehen war. Aber doch, es ist so: Rainer geht ab Mai in den Ruhestand. Ein für ihn undenkbarer Aggregatzustand, weshalb er schon Pläne hat, selbstverständlich. Denn 63, das ist ja kein Alter. Auf seinem Grundstück werkeln, mit dem Wohnmobil auf Reisen gehen – die Baumarktwerbung »Es gibt immer was zu tun« könnte für ihn bestimmt sein. Oder von ihm stammen.
Es war der 1. Juni 1980, er weiß es noch auf Anhieb, als er beim »nd« anfing, das damals natürlich noch das »ND« war. Als Kraftfahrer, obwohl er Meliorationstechniker gelernt hatte. Eine Verkettung von Zufällen. 30 Fahrer hatte die seinerzeit riesige ND-Belegschaft, inklusive der Bezirksredaktionen, dazu Autowerkstatt und Fahrschule. Rainer holte die Post, transportierte Autorentexte durch die Stadt, kutschierte Mitarbeiter und Gäste, brachte leitenden Sonntagsredakteuren schon am Sonnabend die aktuellen Westzeitungen nach Hause.
Der ND-Fuhrpark wurde nach der Wende weitgehend aufgelöst, Rainer befasste sich mit der technischen Organisation einer Zeitung, die sich in der Marktwirtschaft neu erfinden musste. Er plante maßgeblich die Umzüge von Verlag und Redaktion aus dem nd-Gebäude am Ostbahnhof in das zehnjährige Exil in Alt-Stralau und zurück, organisierte Pressefeste und Dutzende ndWanderungen, kümmerte sich eine Zeit lang auch ums Marketing. Irgendwas abbauen, wieder aufbauen, hin- und herschleppen, etwas Praktisches tun, dessen Ergebnis sofort sichtbar ist: Das ist sein Verständnis von Arbeit. Am besten nach der Methode »Jetzt oder nie«, wobei er sich meist, zumal bei den wichtigeren Dingen, für jetzt entschied.
Viel lernte Rainer von Walter Grenzebach, dem legendären nd-Mann mit der roten Latzhose, ein Öffentlichkeitsarbeiter alter Schule, der hemmungslos auf wildfremde Leute zuging und sie sofort in Gespräche verwickelte. Mit ihm sorgte er dafür, dass der NDSchriftzug auf dem Dach des Gebäudes am Ostbahnhof bei der Rückkehr der Belegschaft 2005 weithin leuchtete. Um Walter kümmerte er sich, als es ihm schlechter ging, bis zu seinen letzten Tagen im Pflegeheim.
Heimlich hat Rainer sich ja ein kleines Denkmal gesetzt: Als irgendwann der Zugang zum Redaktionsbereich einen Nummerncode bekam, programmierte er sein Geburtsdatum ein. Ob es ein Trick gegen seine Vergesslichkeit war oder ein Hauch von Größenwahn – wer weiß. Der Code soll demnächst mal geändert werden, denn Wachsamkeit (das weiß auch Rainer, der alte Aufpasser) ist eine wichtige Sache. Die Geheimzahl werden wir wohl nach und nach vergessen. Was wir nicht vergessen werden, das ist dieser große, laute, fröhliche, zupackende Kerl, der jahrzehntelang zum nd-Inventar gehörte.