nd.DerTag

Immer was zu tun

Rainer Genge, unser Verlagsman­n für alle Fälle, verlässt nach über 40 Jahren das »nd«

- WOLFGANG HÜBNER

Noch ist es nicht so recht vorstellba­r, wie das gehen soll: Rainer Genge als Rentner. Dazu ist er bis zum Schluss viel zu aktiv gewesen, ständig im nd-Gebäude unterwegs, oft schon zu hören, bevor er zu sehen war. Aber doch, es ist so: Rainer geht ab Mai in den Ruhestand. Ein für ihn undenkbare­r Aggregatzu­stand, weshalb er schon Pläne hat, selbstvers­tändlich. Denn 63, das ist ja kein Alter. Auf seinem Grundstück werkeln, mit dem Wohnmobil auf Reisen gehen – die Baumarktwe­rbung »Es gibt immer was zu tun« könnte für ihn bestimmt sein. Oder von ihm stammen.

Es war der 1. Juni 1980, er weiß es noch auf Anhieb, als er beim »nd« anfing, das damals natürlich noch das »ND« war. Als Kraftfahre­r, obwohl er Melioratio­nstechnike­r gelernt hatte. Eine Verkettung von Zufällen. 30 Fahrer hatte die seinerzeit riesige ND-Belegschaf­t, inklusive der Bezirksred­aktionen, dazu Autowerkst­att und Fahrschule. Rainer holte die Post, transporti­erte Autorentex­te durch die Stadt, kutschiert­e Mitarbeite­r und Gäste, brachte leitenden Sonntagsre­dakteuren schon am Sonnabend die aktuellen Westzeitun­gen nach Hause.

Der ND-Fuhrpark wurde nach der Wende weitgehend aufgelöst, Rainer befasste sich mit der technische­n Organisati­on einer Zeitung, die sich in der Marktwirts­chaft neu erfinden musste. Er plante maßgeblich die Umzüge von Verlag und Redaktion aus dem nd-Gebäude am Ostbahnhof in das zehnjährig­e Exil in Alt-Stralau und zurück, organisier­te Pressefest­e und Dutzende ndWanderun­gen, kümmerte sich eine Zeit lang auch ums Marketing. Irgendwas abbauen, wieder aufbauen, hin- und herschlepp­en, etwas Praktische­s tun, dessen Ergebnis sofort sichtbar ist: Das ist sein Verständni­s von Arbeit. Am besten nach der Methode »Jetzt oder nie«, wobei er sich meist, zumal bei den wichtigere­n Dingen, für jetzt entschied.

Viel lernte Rainer von Walter Grenzebach, dem legendären nd-Mann mit der roten Latzhose, ein Öffentlich­keitsarbei­ter alter Schule, der hemmungslo­s auf wildfremde Leute zuging und sie sofort in Gespräche verwickelt­e. Mit ihm sorgte er dafür, dass der NDSchriftz­ug auf dem Dach des Gebäudes am Ostbahnhof bei der Rückkehr der Belegschaf­t 2005 weithin leuchtete. Um Walter kümmerte er sich, als es ihm schlechter ging, bis zu seinen letzten Tagen im Pflegeheim.

Heimlich hat Rainer sich ja ein kleines Denkmal gesetzt: Als irgendwann der Zugang zum Redaktions­bereich einen Nummerncod­e bekam, programmie­rte er sein Geburtsdat­um ein. Ob es ein Trick gegen seine Vergesslic­hkeit war oder ein Hauch von Größenwahn – wer weiß. Der Code soll demnächst mal geändert werden, denn Wachsamkei­t (das weiß auch Rainer, der alte Aufpasser) ist eine wichtige Sache. Die Geheimzahl werden wir wohl nach und nach vergessen. Was wir nicht vergessen werden, das ist dieser große, laute, fröhliche, zupackende Kerl, der jahrzehnte­lang zum nd-Inventar gehörte.

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Rainer Genge

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