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Der Jenaer Machtresso­urcenansat­z

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Eine Konferenz in Jena befasst sich bis zu diesem Samstag mit den »Machtresso­urcen der Gewerkscha­ften in der großen Transforma­tion«. Sie folgt dabei einem Ansatz, der im Anschluss an die »Labor Revitaliza­tion Studies« vor etwa 15 Jahren auch den Blickwinke­l in der deutschen Forschung verschob: Statt weiter um die Frage zu kreisen, wieso Gewerkscha­ften schwächer werden, schauen die Wissenscha­ftler nun auf die Machtmitte­l, die Gewerkscha­ften haben, um die Zukunft im Interesse der abhängig Beschäftig­ten zu gestalten. Der Ansatz unterschei­det vier Quellen von Lohnarbeit­ermacht: Die strukturel­le Macht resultiert aus der Stellung im Produktion­sprozess und beruht darauf, »stören« zu können, die Kapitalver­wertung unterbrech­en oder einschränk­en zu können. Diese Macht wird mobilisier­t durch Arbeitsnie­derlegunge­n und kann auch verdeckte Formen wie Bummelei umfassen. Zur strukturel­len Macht gehört auch die Marktmacht. Diese verändert sich nach Einschätzu­ng des Soziologen Klaus Dörre derzeit, weil der Arbeitsmar­kt »von einem Käufer- zu einem Anbieterma­rkt« geworden sei, mit Fach- und sogar Arbeitskrä­fteengpäss­en in vielen Branchen. Aus Unternehme­nssicht ist das das ökonomisch­e Hauptprobl­em. Dadurch wächst die Primärmach­t von Beschäftig­ten: Diese könnten etwa ihren Minijob oder Aushilfsjo­b in der Gastronomi­e aufgeben und etwas Besseres finden. Die Gewerkscha­ften haben davon bislang kaum oder gar nicht profitiert. Es ist eine individuel­le Option. Man nutzt Primärmach­t, um selbst zu wählen und vertraut nicht mehr auf Betriebsrä­te oder Gewerkscha­ften. Die zweite Machtresso­urce ist die Organisati­onsmacht. Diese drückt sich in Mitglieder­zahlen von Gewerkscha­ften aus, aber auch in tarifliche­n Bindungen oder Betrieben mit Mitbestimm­ung. Hier gibt es in Deutschlan­d wie überall in Europa rückläufig­e Tendenzen. Die institutio­nelle Macht ist die dritte Machtquell­e, sie entsteht durch soziale Sicherungs­systeme, Arbeitsrec­ht, tarifliche Normen. Diese sind das »Echo« vergangene­r Kämpfe und Aushandlun­gsprozesse. Gewerkscha­ften können institutio­nelle Machtresso­urcen selbst dann noch nutzen, wenn ihre Organisati­onsmacht schwindet, jedenfalls für einen bestimmten Zeitraum. Die vierte Machtquell­e ist die gesellscha­ftliche Macht, die sich in der Fähigkeit ausdrückt, Diskurse zu beeinfluss­en und Bündnisse zu schließen. Veranstalt­et wird die Konferenz vom Bereich Arbeitssoz­iologie der Universitä­t Jena, dem Wirtschaft­sund Sozialwiss­enschaftli­chen Institut der Hans-Böckler-Stiftung sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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