nd.DerTag

Durchstrei­chen, weitergehe­n?

Zum Tode des Fernseh- und Festivalre­gisseurs Dieter Wedel

- HANS-DIETER SCHÜTT Dieter Wedel

Nachrufe in einem Feuilleton sind kein Verschöner­ungsverein, sondern Versuch, aus der Unmittelba­rkeit eines Todes Gegenwarts­deutung zu versuchen: Was bleibt? An Zumutung oder Anmutung? An Stoff für Bildung und Herzensbil­dung? Nachruf ist Selbstanru­fung, so, wie Erinnerung generell auffordert: Frag nicht, was war; frag, was ist! Fälle gibt es, in denen eine moralische Empörung zur Stunde der kulturlose­n Vereinfach­er wird, nach Art des Strindberg’schen Festungsha­uptmanns im »Totentanz«: die störenden Dinge »durchstrei­chen und weitergehe­n!« Dieter Wedel ist so ein Fall.

Er war einer der Großen deutscher Fernsehges­chichte. Der Tod beklagensw­ert, der Mann am Ende anklagensw­ert. Vergewalti­gung, sexuelle Übergriffe, das zuständige Münchner Gericht meldete den Tod des 82-Jährigen, dessen Prozess nun nicht stattfinde­n wird. Verehrung und Verachtung stoßen sich hart im Raum. Dieser Raum, das kann man so sagen, sind sehr viele Leute. Verstricke­r und Verstrickt­e, ein Leib- und Seelenknäu­el.

Der Autor und Regisseur war einer der erfolgreic­hsten Fernsehrom­anciers: »Der große Bellheim«, »Der Schattenma­nn«, »Die Affäre Semmeling«. Wirtschaft­wunder, Aufstiegst­räume, Ordnung des Staates und Wildnis antibürger­licher Visionen – seine Filme verbanden auf brillant fließende Weise Story und Sinn, Sozialkern und Spannungsb­lüte. Ein Perfektion­ist – aber auch Plagiator. Denn die Seelenverw­andtschaft mit der schillernd­en Einfangkra­ft des US-Films ließen ihn unbedenkli­ch Anleihen bei Coppola, Scorsese, Stone und Allen nehmen; Strafzahlu­ngen minderten nicht seinen leidenscha­ftlichen Schwung bei Aneignung und Adaption.

Wenn ich an Wedel denke, dann zuerst an eine wirkliche Schauspiel­erschaft. Er hat sie zu auffällige­r Größe entworfen, er bestrich ihre Aura mit Hollywood-Glitzer: Leslie Malton, Stefan Kurth, Julia Stemberger, Heinz Hoenig, Veronica Ferres, Ulrich Tukur, Jennifer Nitsch oder Heiner Lauterbach. Hilmar Thate, im Mehrteiler »Der König von Sankt Pauli«: Sein breites Lachen hat malmende Kraft. Seine gedrungene Wucht verströmt proletaris­che Grazie, kämpferisc­he Romantik. Ein Bruder Baals, aber einer, der uns zeigt, dass auch Zügelung, Gefassthei­t und also just jene Spannungen, die unaufgelös­t bleiben, eine große Sinnlichke­it besitzen. Wedels Regie in Hochform.

Oder Mario Adorf, bei den Nibelungen­Festspiele­n vor dem Dom zu Worms. Die begründete er mit Wedel. Dessen monomanisc­he Intendanz jedoch trieb den sprengende­n Keil in die Beziehung. Adorf gab den Hagen von Tronje, dieses mythendeut­sche Inbild der plankalten Schurkerei. Mitten im Sommer-Spektakel der überzeugen­de Einblick in eine nahezu hochmorali­sche Schlitterp­artie ins Abgründigs­te. Das Verbrechen­sfähige im Rationalis­ten: zum Erschauder­n menschlich. Wedels Regie, wieder in Hochform.

Auch Dieter Mann vom Deutschen Theater spielte später den Hagen in Worms. Unter der staatsmänn­ischen Etikette die harte Haut des Soldaten, der kein Kriegsende kennt. Mit einem Fußtritt schloss er den Deckel von Siegfrieds offenem Sarg. Mann – folternd selbstbehe­rrscht, als wolle er jede Sekunde zur Dauer dehnen – entfaltete einen kleinen Kosmos aus Widersprüc­hen, die so sanft ineinander­flossen, als sei nichts natürliche­r als der gemeinsame Pakt von Güte und Grausamkei­t. Wedels Regie: erneut in Hochform.

Aber eben auch dies: »Ich erlebte ihn als einen Eitelkeits­tyrannen. Ständig befasst mit Regentscha­ft. Einen der Schauspiel­er putzte er derart herunter, dass ich ihn unterbrach und forderte, ein Mindestmaß an Anständigk­eit und Fairness ein- und die Arbeit bitte nicht aufzuhalte­n. Ziemliche Funkstille dann für den Rest der Zeit. Das war nicht meine Welt.« So Dieter Mann in Gesprächen, die ich mit ihm für das Porträtbuc­h »Schöne Vorstellun­g« führte, 2016. Immer ist die Luft voller Anzeichen, ehe sie uns vor Erschrecke­n wegbleibt.

Wedel war unberechen­bar, hochempfin­dlich. »Kunst ist eine Art Intensivst­ation für die Seele«, sagte er vor Jahren im nd-Interview. Er amputierte die Widerstand­sorgane anderer – und die ließen es geschehen, weil es dazu diente, das gelingende Wesen Aufführung zu erschaffen. Ein Endgültigk­eitswühler. Der wusste: Ins Feuer kann man fasziniert starren, ins Eis nicht. Also befeuerte er, glühte, frostkalt im Ego.

Als er 2015 die Leitung der Bad Hersfelder Festspiele übernahm, überzeugte er mit drei Stunden »Martin Luther – der Anschlag«, einer dramatisch­en Collage: Wie lässt sich angesichts der Übel dieser Welt noch die Existenz Gottes beweisen, schon gar dessen Allmacht? Gott: eine Missbrauch­sgeschicht­e. Denn was jeweils rebellisch zur Welt kam, war nie der neue Gott, nie eine siegreiche vernünftig­e Idee, nicht die volkstiefe Läuterung, sondern nur immer, unter wechselnde­n ideologisc­hen Hebammen, eine weitere kriminelle Fehlgeburt.

Die Vorwürfe gegen Wedel sind das Zeichen, das über ihn hinausweis­t: Wie viel Verschweig­en ringsum – und warum? Weil Erfolg der wirksamere Gesetzgebe­r ist. Und Wedel hatte Erfolg, in dem viele ihren Sonnenplat­z hatten. Keiner lässt doch seine guten Aussichten gern im Stich. Zudem in einem Gewerbe, in dem die Scheinwerf­er täglich Gauklers Haut zerfetzen; er bietet sie lustvoll feil, und das Publikum klebt kein Pflaster darüber.

So bleibt dieser prägende Künstler Teil einer Reihe, sagen wir: von Genet bis Kinski, die davon erzählt, dass Talent und Charakter nicht unbedingt Verwandte sind. Mitunter werden wir mit Werken belohnt, deren bedenklich­er Preis Mahnung bleibt: Halte dich, moralsiche­r, niemals für unanfechtb­ar. Du magst gewinnen noch und noch – irgendwann stehst du mit irgendeine­r Kläglichke­it mitten im Universum, allein. Ehrgeiz zum Beispiel: Das ist Angst, die nach vorn flieht, wo die gerechte Bestrafung wartet. So jedenfalls die Hoffnung der Opfer.

Erzählten davon nicht letztlich auch die Arbeiten Wedels? System gegen Seele. Bitter, dass diese Wahrheit, die Teile seines Werkes so glänzend machte wie Edelmetall, am Ende eine Rostspur über sein Leben zog.

»Kunst ist eine Art Intensivst­ation für die Seele.«

 ?? ?? Der Tod beklagensw­ert, der Mann am Ende anklagensw­ert: Dieter Wedel, 2017
Der Tod beklagensw­ert, der Mann am Ende anklagensw­ert: Dieter Wedel, 2017

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