Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Film erzählt mit verstörend­er Ruhe von Kleists Selbstmord

Jessica Hausner erzählt in „Amour Fou“eine dramatisch­e Geschichte in statischen Szenen. Der Film kommt morgen ins Kino.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Vermutlich kann es einen die gesamte Lebensener­gie kosten, der ewige Außenseite­r zu sein. Heinrich von Kleist wollte 1811 nicht mehr leben. Er hatte Theaterstü­cke geschaffen von großer Gültigkeit. Sie gehören bis heute zum Edelsten und Gewichtigs­ten der Theaterges­chichte. Und er hatte sich als Journalist versucht, hatte in Berlin die täglich erscheinen­den Abendblätt­er herausgege­ben, befeuert vom Geist der Aufklärung stieß er auf die Unerbittli­chkeit der Zensur und musste die Arbeit schließlic­h einstellen. An eine Stelle in der preußische­n Verwaltung war nicht mehr zu denken, also quälten ihn Geldsorgen und das Gefühl tiefsten Unverstand­enseins. 1811 schrieb er in einem Brief, er sei „so wund, daß mir, ich möchte fast sa- gen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert.“Kleist wollte sich dem Tageslicht nicht mehr aussetzen. Er wollte sterben, aber nicht allein. Er suchte eine Begleiteri­n ins Jenseits, und schließlic­h fand er sie: Henriette Vogel, eine feinsinnig­e, musische Frau, Mutter einer Tochter und schwer erkrankt. Mit ihrem Einverstän­dnis erschoss Kleist am 21. November 1811 am Kleinen Wannsee in Berlin erst sie, dann sich.

Von den Wochen bis zu jenem Tag erzählt die Österreich­erin Jessica Hausner in „Amour Fou“. Und sie tut es mit der unerbittli­chen Ruhe und Genauigkei­t, mit der sie auch schon auf den Wallfahrts­ort Lourdes geblickt hat und in „Hotel“eine quälende Horrorgesc­hichte entwickelt­e. Ihr Kleist ist ein zurückhalt­ender Außenseite­r, der wie ein Geist in den Salons seiner Zeit auftaucht und nach einer Gleichgesi­nnten sucht. Ein Untoter, eingesperr­t in die starre Welt der Konvention­en, die er durch den größten Tabubruch, der ihm möglich scheint, durchbrech­en will. Auf eigene Kosten. Christian Friedel spielt ihn als stillen Fanatiker, der nur eine Waffe besitzt, die Macht seiner Worte, und die nutzt er, um Henriette Vogel auf seine Seite zu ziehen, sie mit dem Nihilismus zu infizieren, der ihn selbst schon innerlich ausgehöhlt hat.

Birte Schnöink spielt diese Frau als introverti­ertes Geschöpf, das seine Gefühle in ein wenig Hausmusik einschließ­t, den Ehemann achtet, das Töchterche­n liebt, doch anfällig ist für Schwermut und die abstrakte Idee vollendete­r Liebe im Tod. Es wird sehr viel nicht erzählt in Hausners Version von Kleists Tod. So ge- duldig sie ihre Szenen entwickelt und dem Zuschauer zur Betrachtun­g empfiehlt, als blättere sie durch handkolori­erte Bilderböge­n, ihre „Amour Fou“ist keine verrückte Liebe, die im Selbstmord Erfüllung finden würde. Bei ihr setzt der Tod schlicht einen Schlusspun­kt. Fast still. Die Erschöpfun­g mündet in das absolute Nichts. Und die Liebesbete­uerungen der beiden Todgeweiht­en sind nicht mehr als Lippenbeke­nntnisse, Schreibhal­tungen, romantisch­e Posen.

Der Kleist von Jessica Hausner war seiner Zeit also noch viel mehr voraus, als er selbst es empfunden haben mag. Er war ein Postmodern­er, einer, der nicht mehr an die Wirklichke­it glaubte, nur noch an die Macht des Wortes, Wirklichke­iten zu schaffen. So schrieb er seine Abschiedsb­riefe und trat er an das Ufer des Wannsees. Und schoss.

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FOTO: DPA Christian Friedel als Kleist und Birte Schnöink als Henriette Vogel.

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