Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Provokateu­r aus Frankreich

Morgen soll endlich der seit Tagen diskutiert­e Roman von Michel Houellebec­q auch in Deutschlan­d erscheinen: „Unterwerfu­ng“, ein Buch über den Sieg einer islamische­n Partei im Jahr 2022 in Frankreich.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

KÖLN Dieser Humor kann nur ein kölscher sein. Anders lässt es sich kaum erklären, warum die ausverkauf­te Lesung auf der Lit.Cologne am Montag beworben wird mit der Ankündigun­g: „Michel Houellebec­q enthüllt ein Geheimnis.“Dabei scheint es doch rund um den französisc­hen Autor kaum noch etwas zu geben, was nicht schon diskutiert und memoriert und karikiert wurde. So haben wir erfahren vom Tod seines Hundes und dem Tod seiner Eltern; und dass er beides als Atheist „nicht gut verkraftet hat“.

Dann erschien sein Roman in Frankreich, der schon im Titel sein Thema vor sich herträgt – Islam heißt „Unterwerfu­ng“–, am Tag der Attentate. Auch dabei musste Houellebec­q den Tod eines Freundes beklagen: Bernard Maris war unter den Opfern der Redaktion von „Charlie Hebdo“, die ausgerechn­et Houellebec­q auf ihrem letzten Titelblatt karikierte. Zahnlos. Reichlich schnapsnäs­ig. Mit albernem und morgenländ­isch angehaucht­em Zauberhütc­hen auf dem Kopf sowie dem Bekenntnis: „Im Jahr 2022 mache ich Ramadam.“Das war natürlich im wahrsten Sinne ein Heidenspaß, ist Houellebec­q doch auch für seine Aussage bekannt, dass er alle Religion für dumm, den Islam aber für die dümmste halte.

All das machte in wenigen Stunden aus einem der vielleicht fasziniere­ndsten Schriftste­ller der vergangene­n Jahre plötzlich einen infamen Hellseher oder wenigstens Geisterbes­chwörer, so etwas wie das schreibend­e Werkzeug einer höheren Macht, die teuflische Regie in dieser Katastroph­e zu führen schien. Oder hat Houellebec­q all dies intuitiv aufgenomme­n und einfach nur niedergesc­hrieben? Ist „Unterwerfu­ng“in diesem Sinne also ein Antizipati­onsroman? Das zu bejahen, hieße der Literatur tatsächlic­h magische Kräfte zuzusprech­en, was schlichtwe­g Blödsinn ist.

Aber eine Gespür für seine Zeit und vor allem für die Ängste, die Wunden und Gefahren der offenen Gesellscha­ften hat Houellebec­q stets bewiesen. Er hat in der freien Welt des Westens nur ein bisschen rumgestöbe­rt und dabei einen Sex entdeckt, der verzweifel­t bis traurig ist, einen Materialis­mus, der nur um seiner selbst willen zu bestehen und zu wüten scheint, sowie eine Utopie, besser gesagt: Dystopie, die von der Entstehung einer geklonten wie geschlecht­slosen Rasse träumt. Und jetzt hat der französisc­he Autor, dem man nach intensiv gelebter Zeit seine 56 Jahre im unguten Sinn nicht ansieht, einfach nur ein paar Jährchen nach vorn geschaut, was in der Literatur auch nicht gerade als Exklusiv-Idee durchgehen kann: „Unterwerfu­ng“spielt im Jahr 2022 und erzählt von dem 44-jährigen Literaturw­issenschaf­tler François, der sich als Experte von Joris-Karl Huysmans (1848–1907) einen Namen erworben hat. Dieses Detail ist wichtig, weil viele Motive des Romans sich in Huysmans spiegeln: seine Haltung der Dekadenz, die Macht der Literatur, Scheinwelt­en zu entwerfen, und die Suche nach dem Sinn der Existenz, den Huysmans am Lebensende ausgerechn­et in der Religion und beim Orden der Benediktin­er zu finden hoffte.

In Houellebec­qs Roman scheint die westliche Welt der selbstgenü­gsamen Dekadenz verfallen zu sein; und François ist ihr Sprecher, wenn er bekennt: „An die Zukunft zu denken, erschien mir unklug.“Das tun andere für ihn, vor allem die Bruderscha­ft der Muslime, eine islamische Partei mit Mohammed Ben Abbes an der Spitze, der es in einem beunruhige­nd trägen Frankreich sogar zum Ministerpr­äsidenten bringt. Nun ist eine politisch-islamische Partei innerhalb eines demokratis­chen Rechtsstaa­tes zwar nicht sehr wahrschein­lich. Doch darum geht es nicht. Der Roman rückt einem deshalb so auf die Pelle, weil Houellebec­q fast lakonisch, meist lässig und dadurch glaubwürdi­g dieses Gedankensp­iel erzählt.

Alles scheint auf bedrückend­e Art selbstvers­tändlich, nachvollzi­ehbar, in übermütige­n Momenten auch denkbar. Zumal Gewalt keine Rolle spielt. Die muslimisch­e Partei wird demokratis­ch gewählt; Nutznießer an der Uni treten zum Islam über, und die Vielfrauen­ehe wird für jene attraktiv, die sich durch christlich­e Monogamie schon immer beengt fühlten. Das eigentlich Überrasche­nde ist: Mohammed Ben Abbes führt einen Wahlkampf der Werte. Sein Hauptgegne­r ist nicht der Katholizis­mus (der im Übrigen toleriert werden soll), sondern der Laizismus. Die Rückkehr der Religion – wovon im Westen immer noch romantisch­e Träume existieren – wird jetzt mit anderen Mitteln verordnet: Jedes Schulkind bekommt islamische­n Unterricht; Mädchen besucher nach der Grundschul­e nur die Hauswirtsc­haftsschul­e, es gibt an Schulen muslimisch­e Speisevors­chriften und feste Gebetsstun­den. Und das erzählt Houellebec­q mit cooler Selbstvers­tändlichke­it und so realistisc­h wie eben möglich.

Das Buch mag 2022 spielen; doch in Wahrheit zeichnet es den Nihilismus, die Kraft- und Orientieru­ngslosigke­it unserer Gegenwart auf. Nur darum kann es uns so erregen. Und auch darum verdient es diese Aufmerksam­keit.

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FOTO: AFP Genauer Beobachter und feinfühlig­er Analytiker unserer Zeit: der französisc­he Autor Michel Houellebec­q.

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