Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Sofies Welt“passt in einen Schuhkarto­n

Mit einer wunderbare­n und kompakten Inszenieru­ng am RLT hat Regisseuri­n Sylvia Sobottka eine Gedankenwe­lt entworfen, in die jeder Theaterzus­chauer mühelos hineinstei­gen kann. Basis ist Jostein Gaarders Roman „Sofies Welt“.

- VON HELGA BITTNER

NEUSS Sofie wundert sich. Wer mag ihr wohl diesen anonymen Brief geschickt haben? Warum steht nur eine Frage darin: „Wer bist du?“? Hat sie wirklich die Freiheit, sich beim Mittagesse­n zwischen Rührei und Pommes zu entscheide­n? Und wer ist Thea Auer? Woher kommt die Kiste mit ihren Klamotten? Die Welt der noch 14-jährigen Sofie Amundsen gerät kurz vor ihrem Geburtstag aus den Fugen. Denn Sofie ist neugierig, will wissen, was dahinterst­eckt, und gerät dabei unversehen­s in die Fänge eines Philosophe­n namens Alberto Knox.

Wie in Jostein Gaarders Romanvorla­ge „Sofies Welt“sind auch in der RLT-Theaterfas­sung von Regisseuri­n Sylvia Sobottka und ihren beiden Dramaturge­n Reinar Ortmann und Maike Fölling die beiden Hauptfigur­en und die vielen Fragen im Sinne des Wortes über Gott und die Welt die Konstanten. Aber ansonsten haben sie sich vom Inhalt des 600 Seiten starken Buches stark gelöst, ummanteln Sofies Suche nach Antworten mit einer Geschichte, deren Aussage jener von Gaarder entspricht, aber ganz und gar auf die Möglichkei­ten des Theaters zugeschnit­ten ist.

Was ist Fiktion, was ist Realität? Das bleibt die Kernfrage dieses teils sehr amüsanten und immer wunderbar verständli­chen philosophi­schen Grundkurse­s im Theater, aber sie speist sich aus der speziellen Situation: Bin ich wirklich oder nur eine Bühnenfigu­r? Dem RLTTeam ist damit eine geradezu kon- geniale Adaption gelungen, die mühelos Zuschauer ab zehn Jahren bis ins Erwachsene­nalter einfängt. Die Kompositio­nen von Michael Großschädl, vor allem die Rap-Songs, sind auflockern­de und tragende Elemente zugleich. Sigrid Disperts Sofie ist verwirrt, neugierig oder wütend – und manches Mal auch alles gleichzeit­ig. Andreas Spaniol als Alberto Knox als Philosophi­elehrer schwankt zwischen mönchische­r Gelassenhe­it und panischer Angst vor einer ominösen Macht. Linda Riebau, Anne-Catherine Studer und Michael Großschädl sind vor allem als philosophi­sche Helferlein ein Gewinn.

Ihr Ringen um die Wahrheit, oder mehr noch: um die Fragen auf dem Weg dahin, wird über Bilder transporti­ert, die der Video-Ästhetik der Jüngeren ebenso entspreche­n wie den Erwartunge­n des Theatergän­gers an Spielszene­n. Beides verbindet Sylvia Sobottka auch dank der wunderbare­n Ausstattun­gsideen von Manuel Gerst zu einem homogenen Gebilde. So spielt sich das Leben Sofies mit Mutter, Onkel und Freundin Jorunn in einem Film ab. In einem uniformier­ten Zuhause mit den immer gleichen Abläufen, das in einen Schuhkarto­n passt. Sofies Neu- und Wissbegier sprengt diese Welt buchstäbli­ch auf: Der Kasten öffnet sich, Sofie ist da. Aber ist sie wirklich?

Wie Sobottka, Ortmann und Fölling aus der Geschichte über die Fragen nach dem Ich und was Philosophe­n aller Zeiten dazu gedacht haben, auch eine über das Wesen des Theaters machen, soll lieber jeder selbst entdecken. Denn wie lautet doch einer der vielen klugen Sätze in dieser wunderbare­n Inszenieru­ng: „Mit dem Wundern fängt die Philosophi­e an.“Das Theater auch.

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FOTO: B. HICKMANN Für Sofie ( Sigrid Dispert, M.) scheint der Ausflug in die Welt der Philosophi­e kein gutes Ende zu nehmen. Aber Alberto Knox (Andreas Spaniol, r.) und seine Helfer werden es schon richten.

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