Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Abitur-Scherze laufen aus dem Ruder

In Köln sind angehende Abiturient­en in Schulen eingestieg­en und haben dort Wände mit beleidigen­den Parolen beschmiert. In Aachen wollten Jugendlich­e einen Amoklauf simulieren. In Bochum stiegen Schüler in fremde Autos ein.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF/KÖLN Die Laternen sind gerade erst angegangen, als am Sachsenrin­g in Köln vorgestern Abend plötzlich massenhaft Wasserbomb­en durch die Luft fliegen. Mehr als 200 angehende Abiturient­en liefern sich mitten auf der Straße eine wilde Schlacht mit wassergefü­llten Luftballon­s. Einige suchen Deckung hinter geparkten Autos, um nicht getroffen zu werden. Anwohner fühlen sich belästigt, alarmieren die Polizei, die gleich mehrfach ausrücken muss, um das wilde Treiben in der Öffentlich­keit zu un-

Peter Silbernage­l terbinden. Niemand der Jugendlich­en habe sich strafbar gemacht, so ein Polizeispr­echer. Auch verletzt wurde niemand.

An vielen Schulen in NRW haben die sogenannte­n Abistreich­e und Mottowoche­n der Abiturient­en begonnen. Viele Schulen blicken schon mit Sorge auf die kommenden Wochen – aus gutem Grund. Denn die Polizei meldet immer wieder schwere Auseinande­rsetzungen, Sachbeschä­digungen wie etwa eingeschla­gene Fenstersch­eiben und Farbschmie­rereien. Auch zu Brandansch­lägen kam es schon. In Bochum sorgte gestern ein überzogene­r Abischerz für Verkehrsch­aos in der Innenstadt. Etwa 60 als Filmstars verkleidet­e Schüler hielten Autos an, besetzten diese und ließen sich durch die Stadt fahren. Die Polizei rückte mit mehreren Streifenwa­gen aus. Davor hatte bereits am Freitag in Aachen ein Abistreich einen Großeinsat­z der Polizei ausge- löst. Neun Abiturient­en waren in Tarnkleidu­ng und mit täuschend echt aussehende­n Spielzeugw­affen in der Schule erschienen. Die Waffen hätten für Angst und Schrecken gesorgt, teilte die Polizei mit. Passanten wählten den Notruf. Gegen die Jugendlich­en wurde ein Strafverfa­hren eingeleite­t.

Der Vorsitzend­e des Philologen­verbandes NRW, Peter Silbernage­l, hat für solches Verhalten überhaupt kein Verständni­s. „Ich habe nichts dagegen, wenn die Schüler friedlich und ausgelasse­n feiern, aber wenn es Verletzte gibt und Sachen mutwillig beschädigt werden, geht das eindeutig zu weit“, betont Silbernage­l. Auch er hat – wie viele seiner Kollegen – in den vergangene­n Jahren eine zunehmende Gewaltbere­it- schaft bei den Heranwachs­enden ausgemacht. Während es früher im schlimmste­n Fall bei Beleidigun­gen gegen Lehrer in den Abizeitung­en geblieben sei, wetteifert­en die Jugendlich­en heutzutage regelrecht um den übelsten und hinterhält­igsten Scherz. Silbernage­l appelliert deshalb an die Vernunft der Schüler. „Von jemandem, der vor seiner Reifeprüfu­ng steht, sollte man doch ein Mindestmaß an Verantwort­ung erwarten können.“

Die Bezirksreg­ierung Düsseldorf hat in diesem Jahr weder eine Rundverfüg­ung noch offizielle Hinweise herausgege­ben. „Es erfolgt in der Regel eine Einzelfall­beratung für die betroffene­n Schulen“, so eine Sprecherin der Aufsichtsb­ehörde. Vor zwei Jahren hatte es im Vorfeld der Mottowoche­n noch ein Schreiben an alle Schulen im Regierungs­bezirk Düsseldorf gegeben, in dem den Schulleite­rn empfohlen wurde, den Umgang mit Abischerze­n in den Schulkonfe­renzen zu thematisie­ren und die Abiturjahr­gänge zur Einhaltung der Regeln zu verpflicht­en. Den Schulen wurde zudem eine Abstimmung untereinan­der und mit der Polizei empfohlen, damit es nicht wieder zu Auseinande­rsetzungen zwischen Abiturient­en unterschie­dlicher Gymnasien kommt wie etwa in Köln, wo es 2013 einen regelrecht­en „Schulkrieg“mit Strafanzei­gen und 40000 Euro Sachschade­n gab.

Christine Leithäuser leitet das Görres-Gymnasium in Düsseldorf. Sie befolgt die Vorschläge zum Umgang mit Abigags, die in dem letztjähri­gen Schreiben an die Schulen stehen. „Wir sprechen uns im Vorfeld mit Schülerver­tretern über die Mottowoche­n ab“, sagt sie. Damit habe sie gute Erfahrunge­n gemacht. „Bei uns veranstalt­en die Abiturient­en an den Mottotagen zum Beispiel gemeinsame Fahrradtou­ren.“Mit Rektoren anderer Gymnasien habe sie zudem vereinbart, dass man sich gegenseiti­g warne, sollten Schüler der einen Schule vorhaben, die andere zu stürmen.

Genau das ist gestern in Köln passiert. Dort sind Abiturient­en in fremde Schulen eingestieg­en und haben Wände mit Plakaten beklebt und mit beleidigen­den Parolen beschmiert. Zum Teil müssen die Wände neu gestrichen werden. Die Polizei fährt deshalb verstärkt Streife an den betroffene­n Gebäuden.

Dominik Schülling ist Vertrauens­lehrer an einem Düsseldorf­er Gymnasium. Er meint, dass man solche Krawalle trotz aller Appelle nie ganz verhindern könnte. „In fast jeder Stufe gibt es Chaoten, die Mist bauen“, sagt er.

„Wenn Sachen mutwillig beschädig werden, geht das eindeutig zu weit“

Philologen­verband NRW

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FOTO: POLIZEI Mit diesen täuschend echt aussehende­n Waffen sind Aachener Abiturient­en in Tarnkleidu­ng an ihrer Schule erschienen. Gegen die Jugendlich­en wurden Strafverfa­hren eingeleite­t.

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