Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Copilot war früher suizidgefä­hrdet

Die Staatsanwa­ltschaft hat bestätigt, dass die Ärzte Andreas L. vor Jahren für selbstmord­anfällig hielten. Das befeuert die Debatte über eine Lockerung der ärztlichen Schweigepf­licht.

- VON E. QUADBECK, M. PLÜCK, D. RICHTERS UND C. SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Der Copilot der Germanwing­s-Maschine, bei deren Absturz in den Alpen vor einer Woche 150 Menschen ums Leben kamen, war vor seiner Karriere als Berufspilo­t als suizidgefä­hrdet eingestuft und in psychother­apeutische­r Behandlung. Das teilte die Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft mit. Sie bestätigte damit erstmals Hinweise auf eine psychische Erkrankung des 27-Jährigen. Die Behandlung sei jedoch erfolgt, bevor der Mann den Pilotensch­ein erwarb.

Bis zuletzt hätten „weitere Arztbesuch­e bei Fachärzten für Neurologie und Psychiatri­e mit Krankschre­ibungen stattgefun­den, ohne dass Suizidalit­ät oder Fremdaggre­ssivität attestiert worden ist“. Aus Ermittlerk­reisen erfuhr unsere Zeitung jedoch, dass auf dem sichergest­ellten Computer des Copiloten Hinweise auf den Besuch von Websites mit suizidalem Inhalt gefunden wurden.

Die Staatsanwa­ltschaft Düsseldorf wertet derzeit die in Andreas L.s Wohnung sichergest­ellten Indizien aus. Es sei zudem eine Reihe von Zeugen „aus dem persönlich­en und berufliche­n Umfeld vernommen“worden. Aufgrund der sichergest­ellten Dokumente bestätige sich bisher nur, dass der Copilot zum Zeitpunkt des Fluges krankgesch­rieben war und dies seinem Arbeitgebe­r nicht mitgeteilt hatte. Auch Hinweise auf ein organische­s Leiden gebe es in den ärztlichen Unterlagen nicht. Nach wie vor fehle es, so die Staatsanwa­ltschaft, auch an belegbaren Hinweisen auf eine Ankündigun­g einer Selbsttötu­ng oder ein Bekenntnis, dass Andreas L. ein Flugzeug zum Absturz bringen wollte. Ebenso wenig gebe es Hinweise auf ein Motiv.

Die Krankenges­chichte von Andreas L. hat eine Diskussion über die ärztliche Schweigepf­licht für sicherheit­srelevante Berufe wie Piloten ausgelöst. Die CDU-Verkehrspo­litiker Dirk Fischer und Thomas Jarzombek, die eine solche Lockerung gefordert hatten, ernteten gestern Widerspruc­h. Ärztepräsi­dent Frank Ulrich Montgomery bezeichnet­e die ärztliche Schweigepf­licht als „hohes Gut“und als „Menschenre­cht“. Er betonte, ein Arzt dürfe seine Informatio­nen über einen Pa- tienten nur dann offenbaren, wenn er „ganz konkrete Anhaltspun­kte“habe, dass der Patient eine Gefahrensi­tuation herbeiführ­en werde.

„Ich warne bei diesem Thema vor Schnellsch­üssen“, sagte auch SPDFraktio­nsvize Karl Lauterbach, der selbst Mediziner ist. Eine allgemeine Aufhebung der ärztlichen Schweigepf­licht für Patienten in bestimmten Berufen könne dazu führen, dass die Betroffene­n nicht mehr zum Arzt gingen, sagte Lauterbach. Er mahnte zugleich mehr Sensibilit­ät bei den Ärzten an. Sie müssten sich auch dafür interessie­ren, ob etwa ein Pilot seine Krankheit den Flugärzten mitteilt.

Auch CDU-Gesundheit­sexperte Jens Spahn widersprac­h einer Lockerung der Schweigepf­licht. „Der Patient muss sich immer auf das besondere Vertrauens­verhältnis zum Arzt verlassen können, nur dann wird er ehrlich und offen sein“, sagte Spahn. Ilja Schulz, Chef der Pilotengew­erkschaft Vereinigun­g Cockpit, warnte ebenfalls: „Wenn mein Arzt von der Schweigepf­licht entbunden ist, werde ich ihm gegenüber kein Problem ansprechen, weil immer die Angst vorm Fluglizenz­entzug mitschwing­t.“

Innerhalb der Ärzteschaf­t wird das Thema kontrovers diskutiert. Der Vorsitzend­e des Hartmannbu­ndes, Klaus Reinhardt, schlug vor, dass bei Berufen „mit hohem, theoretisc­hem Gefährdung­spotenzial“eine Krankschre­ibung direkt an den Arbeitgebe­r gehen solle – allerdings ohne die Diagnose zu offenbaren. Leitartike­l Sonderseit­e

Newspapers in German

Newspapers from Germany