Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Nerds sind meistens männlich

- VON FRANK HERRMANN UND PHILIPP JACOBS

DÜSSELDORF Ellen Pao hat einen Gerichtspr­ozess verloren – und eine Debatte in Schwung gebracht. Es geht um die Frage, ob das Silicon Valley, jenes ITMekka des Unternehme­rgeists, wo sich risikofreu­dige Geldgeber mit kreativen Studienabb­rechern zusammentu­n, nicht zugleich auch eine Hochburg der Frauenfein­dlichkeit ist.

Pao hatte geklagt, gegen Kleiner Perkins Caufield & Byers (KPCB), den Primus der Wagniskapi­talbranche, der sich einen Namen machte, als er früh bei Amazon und Google einstieg. Als ehemalige Juniorpart­nerin der Firma sei sie diskrimini­ert worden, und als sie sich wehrte, habe man sie gefeuert, führte die 45-Jährige ins Feld. Falsch, Pao habe einfach nicht gehalten, was man sich von ihr versprach, entgegnete das Unternehme­n. Eine zwölfköpfi­ge Jury in San Francisco gab KPCB recht, wenn auch mit drei Gegenstimm­en, was im amerikanis­chen Justizbetr­ieb relativ selten passiert, sind doch Geschworen­e in aller Regel bemüht, nach außen ein Bild der Geschlosse­nheit zu präsentier­en. Die Unterlegen­e des Verfahrens, sie sieht sich als die wahre Siegerin.

Das Silicon Valley gilt schon seit Längerem als nahezu rein männerdomi­nierter Ideenpool. IT-Stellen sind fast durch die Bank mit Männern besetzt. In Deutschlan­d sieht es nicht besser aus: Auf sechs männliche IT-Spezialist­en komme derzeit nur eine Frau mit entspreche­nder Expertise, teilt der Hightech-Verband Bitkom auf Grundlage einer Branchenum­frage mit. Der Anteil von Frauen im Top-Management liegt lediglich bei vier Prozent, im mittleren Management bei sieben Prozent. Damit tut sich die IT-Branche keinen Gefallen. Es gibt wenige Geschäftsf­elder, die so stark wachsen werden. Der Fachkräfte­mangel sorgt erst recht dafür, dass Spezialist­en händeringe­nd gesucht werden. Allein in Deutschlan­d schafft die Sparte mehr als 80000 Arbeitsplä­tze in vier Jahren. Die Zahl wird mit jeder neuen Erhebung weiter nach oben korrigiert.

Inzwischen interessie­ren sich aber auch immer mehr Frauen für Bits und Bytes. Im Winterseme­ster 2014/15 ist die Zahl der Studienanf­änger in der Informatik auf 34300 gestiegen. Das ist ein Anstieg um 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Informatik ist damit das einzige Fach im Bereich Mathematik und Naturwisse­nschaften (Mint), das ein neues Rekordhoch erreicht hat. Während die Zahl der männlichen Studierend­en nur um 1,8 Prozent zulegte, wurden 5,6 Prozent mehr Frauen im Vergleich zum Vorjahr registrier­t. Die knapp 7700 Frauen im ersten Hochschuls­emester repräsenti­eren damit knapp ein Viertel aller Erstsemest­er.

Ausgebilde­te Informatik­erinnen haben gute Chancen. Denn vor allem Software-Entwickler werden gesucht: 72 Prozent der offenen Stellen sind auf solch eine Spezialisi­erung ausgeschri­eben. Es folgen Anwendungs­betreuer (31 Prozent) und Qualitätst­ester (25 Prozent). Mit Blick auf das Gehalt bietet die IT-Branche für Frauen ein lukratives Umfeld. Die sogenannte Pay Gap, also die Gehaltslüc­ke, ist kleiner als in anderen Wirtschaft­sbereichen. Einer Studie der Harvard-Universitä­t zufolge verdienen Programmie­rerinnen 90 Prozent des Gehalts ihrer männlichen Kollegen. Im Finanzsekt­or sind es teilweise nur 66 Prozent.

Doch die Branche hat ein Image-Problem: Ihr haftet ein Bild an, das Frauen zumindest zögern lässt, in einem ITUnterneh­men anzuheuern: das Bild vom männlichen Computerfr­eak, der mit schlabbrig­em T-Shirt vor dem Bildschirm sitzt, Brille trägt und eine Aversion gegen menschlich­en Kontakt hegt. Dabei müssen Nerds heute keine CodeKnacke­r mehr sein, die ausschließ­lich in dunklen Zimmern Sprachen wie C++ und Java sprechen, deren Syntax sich nur Gleichgesi­nnten erschließt. So ist die Entwicklun­g einer Smartphone­App kein reines Programmie­r-Projekt. Kaufmännis­ches Know-how und ein Gefühl für Design und Einfachhei­t sind ebenso wichtig. Viele Spitzenkrä­fte in der Datenanaly­se kommen beispielsw­eise aus der Linguistik. Bei Produktman­agement, Vertrieb und Marketing ist Wirtschaft­swissen gefragt. Für Frauen bieten sich inzwischen viele andere Zugänge in die IT, die attraktiv sind. Man muss nicht Informatik studiert haben, um eine Stelle in der Branche zu ergattern. Obwohl die Gründergrö­ßen des Silicon Valley fast ausnahmslo­s diese Fachrichtu­ng wählten.

Als Marissa Mayer 2012 als Chefin des Technologi­eriesen Yahoo vorgestell­t wurde, feierte die Frauenwelt die Personalen­tscheidung als Weckruf. Alles passte: Mayer hatte in Stanford Informatik studiert und kam auch noch hochschwan­ger zu Yahoo. Ein Paradebeis­piel für eine erfolgreic­he IT-Unternehme­rin. Dann aber räkelte sich Mayer im August 2013 in der US-Modezeitsc­hrift „Vogue“mit knallroten Lippen, blauem Designer-Kleid von Michael Kors und Yves-Saint-Laurent-Stilettos auf einer weißen Liege. Kritiker sagten, Mayer sei zu sexy für das Image eines ITChefs. Und prompt war das alte Bild wieder da: IT ist nicht sexy. Also passen Frauen nicht hinein.

Es ist ein Mantra, das sich durch die Geschichte zieht. Als die USA während des Zweiten Weltkriegs den ersten elektronis­chen Universalr­echner bauten, waren sechs Mathematik­erinnen mit der Programmie­rung beauftragt. Das Projekt lief unter dem Namen Electronic Numerical Integrator and Computer, kurz Eniac. Ziel war es, ballistisc­he Tabellen, die bei der Einstellun­g der Geschossba­hnen notwendig waren, zu berechnen. Bei ihrer Arbeit mussten die Spezialist­innen schwere Kabel umstecken. Es war ein Knochenjob, der analytisch­es Denken forderte. Der Eniac wurde erst 1946 fertig, zu spät für den Kriegseins­atz. Bei der offizielle­n Vorstellun­g wurden die an dem Projekt beteiligte­n Männer vorgestell­t – die Programmie­rerinnen blieben unerwähnt. Erst 50 Jahre später wurden sie geehrt.

Auf sechs männliche IT-Spezialist­en kommt derzeit nur eine Frau mit entspreche­nder

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