Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Atom-Deal mit dem Iran auf der Kippe

Mal melden die Außenminis­ter Fortschrit­te, mal Rückschläg­e. Die entscheide­nden Gespräche über das Nuklearpro­gramm stocken.

- VON MATTHIAS BEERMANN UND HELMUT MICHELIS

DÜSSELDORF Die Geheimverh­andlungen über das iranische Atomprogra­mm in Lausanne scheinen zwar voranzukom­men. Doch einen Durchbruch gibt es offenbar noch nicht – zu viele Details sind strittig. Worüber wird verhandelt? Der Atom-Streit schwelt bereits seit zwölf Jahren. Die internatio­nale Gemeinscha­ft, in Lausanne vertreten durch die Außenminis­ter der UNVetomäch­te USA, Russland, China, Frankreich und Großbritan­nien sowie Deutschlan­ds, will verhindern, dass sich der Iran unter dem Deckmantel ziviler Forschung heimlich Atombomben beschafft. Teheran bestreitet solche Pläne und besteht darauf, seine Energiever­sorgung durch Atomkraft zu ergänzen. Vor welchem Hintergrun­d findet das Treffen in Lausanne statt? Auf beiden Seiten wird die Zeit knapp. Die Republikan­er beherrsche­n seit Januar beide Kammern des US-Kongresses. Republikan­ische Senatoren warnten Teheran in einem offenen Brief, der Nachfolger von Barack Obama könne ein Abkommen widerrufen. Das scheint zwar juristisch wirkungslo­s. Der künftige US-Präsident könnte jedoch gegen den Iran wieder einen harten Kurs einschlage­n. Dessen Präsidente­n Hassan Rohani würde ein Scheitern in Lausanne möglicherw­eise sein Amt kosten: Hardlinern in Teheran gilt der vergleichs- weise moderate Rohani, der einen Kurs der Annäherung an den Westen und den als „großen Satan“verteufelt­en Erzfeind USA steuert, als Verräter an der islamische­n Revolution. Was will die internatio­nale Gemeinscha­ft erreichen? Im Nahen Osten toben heftige Machtkämpf­e, zuletzt ging auch der Jemen in Flammen auf. Die Terrormili­z „Islamische­r Staat“destabilis­iert großflächi­g die Region um Syrien und den Irak. Selbst den Konservati­ven in den USA ist bewusst, dass Teheran im Kampf gegen diese Bedrohunge­n ein nützlicher regionaler Verbündete­r sein kann – ein Argument, das in Washington den Willen zur Atom-Einigung zuletzt stark gefördert hat. Was will der Iran? Teheran möchte schnell Sanktionse­rleichteru­ngen. Seit Jahren leben die Iraner mit galoppiere­nder Inflation und explodiere­nden Lebenshalt­ungskosten. Die Landeswähr­ung hat die Hälfte ihres Werts eingebüßt; der Außenhande­l liegt am Boden. Die Öl-Industrie müsste dringend in ihre maroden Anlagen investiere­n, kommt aber weder an das Geld dafür noch an die nötige westliche Ausrüstung. Viele Firmen mussten Mitarbeite­r entlassen, große Bevölkerun­gskreise verarmen. Wie argumentie­rt Israel? Premiermin­ister Benjamin Netanjahu misstraut Teheran zutiefst und setzt auf ein Scheitern der Gespräche. Er wird nicht müde, vor einem „schlechten Deal“zu warnen, einem zu laschen Abkommen, das es dem Iran ermögliche­n würde, insgeheim weiter an der Bombe zu bauen. Netanjahu – und mit ihm viele Israelis – halten das moderate Auftreten Rohanis für einen billigen Trick, um die Sanktionen loszuwerde­n. Der Iran habe sich „offen zur Zerstörung Israels verpflicht­et“, betont Netanjahu. In der Tat hatte Irans geistliche­r Führer Ajatollah Ali Chamenei erst vor wenigen Wochen neun Thesen verbreitet, warum das „zionistisc­he Regime“ausradiert werden müsse. Chamenei ist der eigentlich­e starke Mann im Iran – und Befürworte­r des Atomprogra­mms. Ein Deal mit Teheran wäre der „bisher schlimmste Bruch der US-Solidaritä­t“mit Israel, schrieb die israelisch­e Zeitung „Haaretz“. Welche Rolle spielt Deutschlan­d? Politisch würde ein Abkommen die Region stabilisie­ren und Deutsch- land in seinem Bestreben helfen, dem Staat Israel beizustehe­n. Auch sind durch einen Wirtschaft­saufschwun­g im Iran gefüllte Auftragsbü­cher für deutsche Firmen zu erwarten, zumal „Made in Germany“im Land einen sehr guten Ruf hat: Die Bundesrepu­blik war lange Zeit einer der wichtigste­n Handelspar­tner, und das einzige Atomkraftw­erk Buschehr entstand nach deutschen Plänen. In vielen Fabriken stehen deutsche Maschinen, die überholt oder ausgetausc­ht werden müssen – ein lukratives Geschäft auch für Mittelstän­dler. Woran hakt es in Lausanne? Offenbar an vier Punkten: der Dauer des Abkommens, dem Tempo der Aufhebung der UN-Sanktionen sowie deren Wiederaufn­ahme, falls der Iran die Vereinbaru­ng unterläuft, und der westlichen Überwachun­g des Atomprogra­mms für mindestens zehn Jahre, was Teheran ablehnt. Was geschieht, wenn in Lausanne keine Einigung erzielt wird? Die selbst gesetzte Frist endet heute um Mitternach­t; eine endgültige Vereinbaru­ng soll bis Ende Juni stehen. Ein Flop könnte den Anfang vom Ende der Reformhoff­nungen im Iran markieren und den Nahen Osten noch tiefer im Chaos versinken lassen.

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FOTO: AFP Die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini und Irans Außenminis­ter Mohammad Dschawad Sarif in Lausanne.

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