Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mehr Bürger wollen Kinder schützen

Über die Jahre betrachtet steigen die Zahlen der Kinderschu­tzMeldunge­n und der Inobhutnah­men. Das heißt nicht automatisc­h, dass es mehr Gewalt gibt, wohl aber eine gestiegene Sensibilit­ät.

- VON JÖRG JANSSEN

Die Wachsamkei­t im Umgang mit vernachläs­sigten, geschlagen­en oder missbrauch­ten Kindern nimmt in Düsseldorf offenbar zu. „Die Zahl der Meldungen zum Schutz von Kindern liegt heute deutlich höher als noch vor fünf Jahren“, sagt Jugenddeze­rnent Burkhard Hintzsche. Der städtische Spitzenbea­mte führt das auch auf eine größere Sensibilit­ät in der Bevölkerun­g zurück. Spektakulä­re Vernachläs­sigungsfäl­le hätten das Thema bundesweit stärker ins Bewusstsei­n gerückt.

„Allerdings ist nicht jede Meldung immer auch ein Fall“, erläutert der Jugendschu­tz-Experte. Immer wieder gebe es Hinweise, die nicht belastbar seien. „Darunter kann ein Nachbar sein, der noch eine Rechnung zu begleichen hat und deshalb die Familie von gegenüber beim Jugendamt anschwärzt.“So lag laut Jugendamt-Controllin­g bei 1387 Meldungen im Jahr 2014 in 816 Fällen keine Kindeswohl­gefährdung und auch kein Hilfe- oder Unterstütz­ungsbedarf vor.

Gemeldet wird die mögliche Gefährdung eines Kindes von ganz unterschie­dlichen Stellen. Der Bogen reicht von der Familie über die Schule, die Kita, den Arzt bis hin zur Jugendhilf­e. Verschwind­end gering ist allerdings die Zahl der Kinder, die selbst ihre Schutzbedü­rftigkeit anzeigen. 2009 gab es nur fünf dieser Fälle, im vergangene­n Jahr waren es 25. „Viele Kinder sind von denen, die ihnen wehtun, abhängig, sie fürchten, diese Bezugspers­on bei der Meldung von Unregelmäß­igkeiten zu verlieren“, meint der Jugenddeze­rnent.

Regelmäßig­en Umgang mit Jungen und Mädchen, die besonderen Schutz brauchen, hat Jessika Kuehn-Velten. Seit 26 Jahren arbeitet die Diplom-Psychologi­n in der Kinderschu­tz-Ambulanz am Evangelisc­hen Krankenhau­s (EVK) in Bilk. Ungefähr 240 Fälle pro Jahr gibt es dort. Bei 41 Prozent der im vergangene­n Jahr behandelte­n Kinder ging es um körperlich­e Misshandlu­ng, bei 25 Prozent um sexuellen Missbrauch, 25 Prozent wurden vernachläs­sigt, 30 Prozent dieser Kinder waren Zeugen häuslicher Gewalt, gut acht Prozent waren von seelischer Gewalt betroffen. „Dass es unter dem Strich mehr als 100 Prozent sind, liegt daran, dass einige dieser rund 240 Kinder mehrere Formen der Gewalt ertragen mussten.“Ob die Gefährdung von Kindern zunimmt, vermag KuehnVelte­n nicht einzuschät­zen. „Zu uns kommt ja nur ein Teil der Fälle, die in Düsseldorf geschehen.“Klar ist, dass es die Ambulanz wohl noch lange geben wird. „Unsere Idee vor einem Vierteljah­rhundert war, dass wir uns irgendwann selbst überflüssi­g machen. Aber die Themen Vernachläs­sigung, Missbrauch und Gewalt haben sich leider nicht erledigt“, meint die Expertin.

Meist gestiegen sind in den vergangene­n zehn Jahren auch die sogenannte­n Inobhutnah­men, also die Herausnahm­e des Kindes aus seiner Familie. Allerdings mahnt der Jugenddeze­rnent auch hier vor voreiligen Schlussfol­gerungen. Bei den 836 Inobhutnah­men im Jahr 2014 seien in 321 Fällen Düsseldorf­er Kinder betroffen gewesen. In mehr als 500 Fällen sei es um auswärtige Jungen und Mädchen gegangen, darunter 190 unbegleite­te minderjähr­ige Ausländer.

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