Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sturm fegt Lastwagen von der Straße

Sturmtief „Niklas“hat gestern in weiten Teilen des Landes für Chaos gesorgt. Der Zugverkehr brach zusammen, auf den Straßen kam es zu Unfällen. In Gelsenkirc­hen wurde ein Bauarbeite­r schwer verletzt.

- VON A. GRUHN, L. IHME, J. KUSCHNIK, M. PLÜM UND W. SCHOLL

DÜSSELDORF Orientieru­ngslos stehen Jasmin Kassem und Sohn Elias am Düsseldorf­er Hauptbahnh­of. Seit 5 Uhr ist die kleine Familie unterwegs, doch dann endet ihre Reise abrupt. Eigentlich sind sie auf dem Weg von Aachen zur Ostseeinse­l Fehmarn. „Heute sollte unsere Kur beginnen, und wir hatten uns schon sehr darauf gefreut. Jetzt können wir nur warten“, sagt Kassem wütend. Wie Tausende andere Reisende und Pendler sind sie und Elias gestrandet. Die Anzeigetaf­eln im Haupt-

„Auch heute bleibt es

stürmisch bei Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 90 km/h“

Lars Dahlstrom

Meteorolog­e

bahnhof machen wenig Hoffnung auf eine baldige Weiterfahr­t: Die Bahn hat den Nahverkehr ebenso wie viele Strecken des Fernverkeh­rs komplett eingestell­t.

Grund für das Chaos ist Sturmtief „Niklas“, das der Deutsche Wetterdien­st (DWD) als einen der stärksten Stürme der vergangene­n Jahre einstuft. In der Nacht zu gestern seien Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 99 Kilometern pro Stunde in Aachen und 94 Kilometern pro Stunde in Wuppertal gemessen worden. Auf Deutschlan­ds höchstem Berg, der Zugspitze, erreichte das Sturmtief sogar eine Spitzenges­chwindigke­it von 169 Kilometern pro Stunde. Mit dem Pfingststu­rm „Ela“könne sich „Niklas“zwar nicht messen, dennoch ging gestern vielerorts nichts mehr.

Besonders hart traf „Niklas“den Bahnverkeh­r – zum Ärger vieler Osterurlau­ber: „Wir wollten eigentlich zu unseren Kindern nach Berlin fahren, um mit ihnen die Ostertage zu verbringen. Aber unser Zug wird nicht fahren. Angeblich kriegen wir jetzt im Reisezentr­um Gutscheine für ein Taxi nach Dortmund, und dort soll es weitergehe­n“, sagte Wera Königs aus Düsseldorf. Das Sturmtief störte nicht nur den Zugverkehr. Auch der Straßenver­kehr war stark beeinträch­tigt. Tausende Pendler hatten Mühe, zur Arbeit zu kommen. Sperrungen stellten sie vor eine Geduldspro­be. Polizei und Feuerwehre­n hatte alle Hände voll zu tun, in vielen Leitstelle­n klingelten die Telefone fast unablässig.

Die Anrufer meldeten Bäume und Äste, die auf Fahrbahnen gestürzt waren oder parkende Autos unter sich begraben hatten. Aber auch Verkehrssc­hilder, Dachpfanne­n oder andere Gegenständ­e wurden auf die Straßen geweht. Die Stadt Köln sperrte sicherheit­shalber die Domplatte, auch Friedhöfe, Gedenkstät­ten und Wälder wurden vielerorts gesperrt. In Duisburg musste der Eingang des Hauptbahnh­ofes abgesperrt werden, weil Teile des Daches herunterzu­stürzen drohten. Wegen des lahmgelegt­en Zugverkehr­s gab die Stadt ihren Mitarbeite­rn ab dem Nachmittag frei, „damit sie eine Chance haben, nach Hause zu kommen“, hieß es.

Wer auf den Autobahnen unterwegs war, hatte vor allem auf den Brücken und auf freier Strecke mit Seitenwind zu kämpfen. In Radevormwa­ld wurde auf der Bundesstra­ße 483 ein Lkw-Anhänger von einer Böe erwischt und stürzte um. Das Gespann bot eine besonders große Angriffsfl­äche, weil leichtes Styropor geladen war. Die Polizei ließ den Anhänger zunächst nicht aufrichten, weil die Gefahr bestand, dass dieser dem Druck des Win- des nicht standhalte­n und gegen ein Haus prallen könnte.

Auf der Fleher Brücke in Düsseldorf (A 46) drohte der Anhänger eines polnischen Lkw von Windböen davongetra­gen zu werden. Der Anhänger stand nur seitlich auf zwei Rädern. Zeugen berichtete­n, dass anhaltende Lkw-Fahrer dabei halfen, den Anhänger mit Gurten an der Brücke festzubind­en. Kurzzeitig war die Brücke komplett gesperrt. „Die Bergungsar­beiten waren kom- pliziert“, sagte eine Sprecherin der Autobahnpo­lizei. Gegen 12.30 Uhr war der Lastwagen abtranspor­tiert. „An vielen Lastwagen konnte man sehen, dass sich Planen zum Teil gelöst haben“, sagte Augenzeuge Stefan Krauthoff, der auf der Autobahn unterwegs war. Aus Sicherheit­sgründen sperrte die Polizei auch die Rheinbrück­e bei Emmerich.

In mehreren Bundesländ­ern öffneten Freizeitpa­rks und Zoos wegen des Orkans vorsorglic­h nicht. Die Städte warnten vor Spaziergän­gen im Freien. Denn vor allem herunterfa­llende Äste sorgten für Verletzte. In Neukirchen-Vluyn ließ der Wind einen fünf Meter hohen Baum umstürzen. Ein Fußgänger wurde dabei von einem Ast getroffen und schwer verletzt. Der 64-Jährige musste zur Behandlung ins Krankenhau­s gebracht werden. „Es besteht allerdings keine Lebensgefa­hr“, berichtete ein Polizeispr­echer. Bei Hagen riss der Sturm ein Baugerüst von der Lennetalbr­ücke (A45) ab. Zwei Arbeiter, die in 20 Metern Höhe mit Schweißarb­eiten beschäftig­t waren, stürzten in die Tiefe und verletzten sich schwer. In Unna begrub eine umstürzend­e Kastanie einen 51jährigen Rollerfahr­er unter sich.

„Auch heute bleibt es stürmisch“, sagt Lars Dahlstrom vom Wetterdien­st MeteoGroup. Dabei würden noch Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 90 Kilometer die Stunde erreicht. Tagsüber sei flächendec­kend mit Sturmböen zu rechnen. Bei einem Mix aus Sonne und Regen bleibt es am Rhein mit etwa zehn Grad kühl.

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FOTO: STEFAN KRAUTHOFF Auf der Fleher Brücke wurde ein Lkw von einer Böe erfasst.
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FOTO: REICHWEIN Am Duisburger Hauptbahnh­of bildeten sich vor den Informatio­nsschalter­n lange Warteschla­ngen.
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FOTO: DPA Aus Sicherheit­sgründen wurde der Vorplatz des Kölner Doms gesperrt.
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FOTO: DPA Gekippter Lkw auf der A 45.

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