Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das große Unbehagen der Muslime

Vertreter dreier Religionen diskutiert­en in Düsseldorf über Terror im Namen Gottes. Es wurde emotional.

- VON FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF Darf man den Koran interpreti­eren? Geht das überhaupt? Wer sich eine, vorsichtig gesagt, engagierte Antwort wünscht, der sollte das Aiman Mazyek fragen. Natürlich geht das, sagt der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Muslime dann – alles andere widersprec­he der Lebenswirk­lichkeit von 1,5 Milliarden Muslimen. Erst die KoranAusle­gung habe zur großen Blüte des Islam im Mittelalte­r geführt. Im Übrigen seien die Muslime seit dem 11. September leider nie aus der Defensive gekommen, stets müssten sie sich für ihren angeblich aggressive­n Glauben rechtferti­gen: „Das finde ich im Land der Dichter und Denker doch etwas dürftig.“

Mazyek war einer der Gäste, die gestern Abend im Düsseldorf­er Maxhaus auf Einladung der Rheini- schen Post über „Glaube und Gewalt“diskutiert­en. Unter diesem Titel hatte unsere Zeitung eine große Serie aufgelegt – nach den Terrorangr­iffen auf die Satire-Zeitung „Charlie Hebdo“und einen jüdischen Supermarkt in Paris. Mit Mazyek diskutiert­en Ruhrbischo­f Franz-Josef Overbeck und Abraham Lehrer, Vizepräsid­ent des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d; RP-Redakteur Lothar Schröder moderierte. Wie emotional die Debatte über religiös begründete Gewalt war und ist, ließ sich im Maxhaus miterleben.

Overbeck nämlich widersprac­h Mazyek deutlich: „Die Debatte um Gewalt im Islam müssen Sie schon selbst führen.“Er vermisse jedenfalls die Auseinande­rsetzung innerhalb des Islam, ob Blutvergie­ßen mit dem Koran gerechtfer­tigt werden könne. Die Debatte finde doch statt, erwiderte Mazyek – das Mor- den des „Islamische­n Staats“sei von Muslimen in aller Welt verurteilt worden. Außerdem ermuntere der Koran geradezu, kritisch zu denken; in Europa dagegen hätten Kirche und Religion über Jahrhunder­te hinweg geistigen Stillstand zu verantwort­en gehabt. Das wiederum veranlasst­e Overbeck zu der Replik, es sei doch etwas einfach zu behaupten, „das Christentu­m habe das Problem, nicht der Islam“. Da war es an Lehrer, seine Mitdiskuta­nten zu ermahnen, kein „religionsp­hilosophis­ches Gespräch“zu führen, sondern zu fragen, wie man Gewalt im Alltag verhindern könne. Lehrer sah eine Gemeinsamk­eit: „Judentum, Christentu­m und Islam zeichnet eine große Entwicklun­g aus – sie räumen ein, dass es in ihren heiligen Schriften Stellen gibt, die es Menschen erlauben, extremisti­sche Positionen zu beziehen.“Diese Bereitscha­ft, die Heilige Schrift zu hinterfrag­en, sei auch im Islam zu beobachten – „aber die Signale sind noch nicht intensiv genug“.

Er maße sich keine Antwort an, sagte Lehrer, warum junge Leute in den „Heiligen Krieg“zögen. Dafür brauche es mehr Dialog, mehr Debatte, mehr Informatio­n – womit auf dem Podium plötzlich wieder große Einigkeit hergestell­t war.

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FOTO: SCHALLER Auf dem Podium: Abraham Lehrer, Lothar Schröder, Aiman Mazyek und Franz-Josef Overbeck (v.l.)

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