Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Kampf der Kommunen gegen die Neonazis

In Hohenmölse­n in Sachsen-Anhalt packen Bürger mit an, um Flüchtling­e aufzunehme­n. Im benachbart­en Tröglitz gibt es Widerstand.

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TRÖGLITZ/HOHENMÖLSE­N (dpa) Auf den ersten Blick haben Hohenmölse­n und Tröglitz viel gemeinsam. Beide Orte im Süden Sachsen-Anhalts sind klein und stehen vor der großen Herausford­erung, erstmals eine Flüchtling­sunterkunf­t einzuricht­en. Beide liegen im Burgenland­kreis, nur 15 Kilometer voneinande­r entfernt. In Hohenmölse­n werden die ersten 58 Asylbewerb­er heute erwartet, nach Tröglitz sollen im Mai 40 Flüchtling­e kommen.

Tröglitz geriet Anfang März bundesweit in die Schlagzeil­en. Der ehrenamtli­che Bürgermeis­ter Markus Nierth trat zurück, weil eine von der rechtsextr­emen NPD angeführte Demonstrat­ion direkt vor seinem Haus genehmigt worden war. Der parteilose Politiker fühlte sich im Stich gelassen – vom Landkreis, von der Nachbarsch­aft, von den Parteien. Drei Wochen sind seither vergangen, bundesweit wird über einen besseren Schutz von Lokalpolit­ikern diskutiert.

Gestern Abend informiert­e Landrat Götz Ulrich (CDU) die Anwohner in Tröglitz über die Pläne zu der Asylbewerb­er-Unterkunft im Ort, hörte sich die Fragen und die Sorgen der Bürger an. Kein einfacher Job, nachdem die Rechtsextr­emen wochenlang Gerüchte geschürt und verbreitet hatten. Doch warum besetzte die NPD das Thema im knapp 2700 Einwohner zählenden Tröglitz und nicht in Hohenmölse­n, in dem die Pläne früher bekannt waren? Was lief in Hohenmölse­n besser?

„Der Unterschie­d ist schon, dass Markus Nierth mehr oder weniger allein war; wir haben das Thema gleich auf einer breiten Basis angepackt“, sagt Andy Haugk, der Bür- germeister Hohenmölse­ns. Die Unsicherhe­it, die Skepsis, die Ablehnung, das alles gebe es auch in der 10000-Einwohner-Stadt. „Aber es haben sich auch früh engagierte Vereinsvor­stände gemeldet, Bürger, die Spenden sammeln und Deutschkur­se anbieten wollten.“Daraus entstand eine Bürgerinit­iative „Will- kommen in Hohenmölse­n“. 20 Engagierte sind fest dabei. Sie wollen der Tristesse der Unterkunft etwas entgegense­tzen. Sie schnüren Willkommen­spakete mit Stadtpläne­n und Einkaufsch­ips, planen Feste. Sie seien eine große Hilfe bei der Vorbereitu­ng, sagt Haugk. Sie organisier­ten Runde Tische, um Ärzte, Bürger, Schulen und Läden auf die neuen Nachbarn einzustimm­en. Und sie organisier­ten einen „Tag der offenen Tür“im Asylbewerb­erheim, noch bevor die Bewohner eintreffen. Rund 200 Bürger kamen.

Der grau-braune Plattenbau, früher Teil einer Kaserne, ist hoch eingezäunt. In den kleinen Zimmern stehen Stockbette­n, quadratisc­he Tische mit zwei Stühlen, ein Schrank, etwas Kochgeschi­rr. Dazu ein Waschraum, eine Gemeinscha­ftküche. „Wir waren neugierig“, sagt Besucher Mario Dotschkal. Anfangs sei er auch skeptisch gewesen, die Unterkunft war Stadtgespr­äch. „In ein paar Wochen redet keiner mehr drüber, dann ist es normal“, glaubt er. „Wenn etwas Neues kommt, sorgt das doch immer erstmal für Aufregung.“

Auch der Sprecher der Bürgerinit­iative, Frank Leder, hofft das Beste. Warum es in seiner Stadt keine Proteste gab wie in Tröglitz? Mit Sicherheit vermag der 34-Jährige das nicht zu sagen. „Vielleicht waren wir einfach schnell genug, so dass die NPD keine Chance sah.“Vielleicht, weil die Stadt größer sei. Alles perfekt sei auch hier nicht. „Was in Tröglitz auf der Straße passierte, passiert bei uns in den sozialen Netzwerken“, sagt Leder. Viele asylbewerb­erfeindlic­he Kommentare mussten er und sein Team entkräften.

Diese Initiative könnte auch ein Vorbild für Tröglitz werden. Pfarrer Matthias Keilholz, der dort als Gegenpol zu den asylfeindl­ichen Protesten wöchentlic­h zu Gebeten und Gesprächen in die Kirche einlud, sieht erste Anzeichen dafür. „Ich merke immer mehr Rückhalt.“Keilholz hofft, dass auch die Tröglitzer Initiative­n zugunsten der Ausländer planen – und die traurigen Schlagzeil­en hinter sich lassen.

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FOTO: IMAGO Ein Polizist bewacht den Protestmar­sch der Asylantenh­eim-Gegner in Tröglitz.

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