Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Erschütternde Passionen mit Musik
Die Kölner Oper bietet Musiktheater von Dallapiccola und Zimmermann.
KÖLN Nicht viel mehr als zwanzig Jahre trennen Luigi Dallapiccolas „Il Prigioniero“(Der Gefangene) und Bernd Alois Zimmermanns „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“, laut Untertitel eine „Ekklesiastische Aktion“. Und doch liegen Welten zwischen Dallapiccolas klangsinnlicher Spielart der Zwölftonmusik und Zimmermanns dürrer, von zwei Sprechern begleiteter Partitur. Thematisch sind die im Ergebnis so unterschiedlichen Werke nah verwandt: Beide verarbeiten Grenzerfahrungen des 20. Jahrhunderts und stellen eine einsame Männerstimme in den Mittelpunkt.
Zimmermann, der sich nach Abschluss der Komposition das Leben nahm, kombinierte Ausschnitte aus den alttestamentlichen Büchern der Weisheit über die vergebliche Mühsal des Menschen mit dem berühmten Großinquisitor-Kapitel aus Dostojewskis „Brüdern Karamasow“. Auch Dallapiccola verschränkt zwei Texte, und auch hier taucht ein Großinquisitor auf. Einsamkeit und Folter in aussichtsloser, in sicheren Tod mündender Gefangenschaft thematisieren also beide Musiktheater-Werke.
In der Kölner Doppelaufführung in der Oper am Dom gehen die nahtlos ineinander über. Das Leitungsteam mit Regisseur Markus Bothe und dem Dortmunder GMD Gabriel Feltz hat sich eine musikalische Klammer ausgedacht: Bei Zimmermann wird am Schluss ein Fragment des Bach-Chorals „Es ist genug“von brutalen Orchesterschlägen geradezu zerschossen. Wenn er in Köln erklingt, erinnert man sich, denn genau dieser Choral ertönte zu Beginn, vor den ersten Fanfaren von Dallapiccolas „Prigioniero“.
Auch Robert Schweers Bühne betont das Verbindende dieser Albtraum-Szenarien. Bei Dallapiccola flimmert auf dunklem Hintergrund Buchstabensalat, eine mächtige Wand aus gepresstem Bleibuchstaben lässt nur einen niedrigen Raum frei, in dem Bo Skovhus als Gefangener gebückt stehen und laufen kann. Später schieben sich die Wände nach hinten auf, aber die bedrückenden Buchstaben-Massen bleiben präsent. Die Szene lässt sich weder zeitlich noch örtlich verorten, der Chor tritt in Mönchskutten auf, später sieht man rote Soutanen, vom Inquisitor jedoch nur rote Schuhe. Gottlob erspart Bothe sich allzu konkrete Elends-Ästhetik.
Gabriel Feltz im Graben stattet beide Partituren mit maximaler Präzision und Spannung aus. So mitreißend hört man selten Neue Musik. Bassbariton Bo Skovhus wird beiden Rollen, die in Grenzbereiche vorstoßen, mit schonungsloser Intensität gerecht, alle weiteren Rollen sind famos besetzt. Ein erschütternder Passions-Abend.